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„Er trotzt der Sonne“

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Rumäniens politisch geschickter Doppelspieler Nicolae Ceausescu, 68, kommt zusehends unter Druck. Der eigenwillige Staatschef auf dem Balkan, für den die rumänische Sprache kaum noch genügend Superlative aufzubieten hat, um seine Großtaten zu rühmen, wird sowohl von den USA als auch der Sowjetunion - die er immer wieder gegeneinander ausgespielt hat — mehr und mehr kritisiert, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

So entzog vergangene Woche der amerikanische Senat mit einer deutlichen Abstimmungsmehrheit von 57 zu 36 Stimmen Rumänien wegen andauernder Menschenrechtsverletzungen gegen religiöse und ethnische Minderheiten erstmals, wenn auch nur für ein halbes Jahr, die Meistbegünstigungsklausel für rumänische Produkte auf dem US- Markt. Den damit verbundenen

Verlust für Rumänien schätzt das US-Handelsministerium auf etwa 300 Millionen Dollar im heurigen Jahr.

Einen Monat zuvor stimmte Präsident Ronald Reagan noch der jährlich fälligen Verlängerung dieses Vorzugsstatus zu, obwohl das amerikanische Außenministerium große Bedenken wegen der Menschenrechtssituation in Rumänien geäußert hatte.

Reagan wollte Ceausescu entgegenkommen, um so „einen aufrechten Dialog und eine Verbesserung der dortigen Bedingungen erreichen zu können“.

Diese weitverbreitete Hoffnung im Westen - daß man Rumänien zumindest teilweise aus dem Ostblock herauslocken könnte - hat sich heute als Illusion erwiesen. Ceausescu ließ sich nämlich bis jetzt durch nichts von seiner menschenverachtenden Politik im Lande selbst abhalten.

Auf der anderen Seite hatte der Besuch Michail Gorbatschows in Rumänien im Mai ein frostiges Klima auf dem Balkan hinterlassen. Ganz unüblich zu den ständigen gegenseitigen Lobsprüchen sparte der Gast aus dem Kreml nicht mit harschen Worten an den rumänischen Hausherrn. „Selbst wenn ihr mir sagt, es ist alles in Ordnung in eurem Land…, glaube ich es nicht“, erklärte er kurz und bündig nach seiner Ankunft in Bukarest

Die katastrophale Lage der rumänischen Wirtschaft ist offenbar selbst für kommunistische Verhältnisse untragbar geworden.

Kein Wunder, traf doch Gorbatschow, den Kopf voller Reformideen, mit Ceausescu ein Relikt des Steinzeitkommunismus, der nach altbewährten stalinistischen Rezepten in den 22 Jahren seiner Herrschaft allen inneren und äußeren Reformen trotzen konnte. Der Preis, den das rumänische Volk für seinen Langzeitherrscher bezahlen muß, ist indes aber gewaltig.

Der nach außen hin unabhängige Kurs Ceausescus hat seine unverkennbare Kehrseite im Land selbst. Die von Großtaten erfüllte Politik des „Conducators“ („Führer“) — wie er sich gerne nennen läßt — brachte Rumänien in eine Dauerkrise unvorstellbaren Ausmaßes.

Wahnwitzige Wirtschaftsprojekte wie die Errichtung giganti-

scher, aber zum Großteil unausgelasteter petrochemischer und erdölverarbeitender Industrien bei Ploiesti, Temesvar und Gheorg- hiu-Dej in der Gegend von Bacau (siehe Graphik), Energieprojekte an der Donau, wie das Atomkraftwerk Cemavoda, und das Jahrhundertbauwerk eines Kanals von der Donau ins Schwarze Meer bei Konstanza machten Rumänien zum Armenhaus Europas.

Da die Erdölimporte aus der Sowjetunion mit Lebensmitteln bezahlt werden, müssen die 22 Millionen Rumänen den Gürtel immer enger schnallen. Von den sechs Milliarden Dollar Auslandsschulden können nicht einmal mehr die Zinsen zurückbezahlt werden.

Dezentralisierung ist nach wie vor ein Fremdwort in Rumänien, alles was erzeugt, exportiert oder eingeführt wird, entscheidet einzig und allein Nicolae Ceausescu. Der bizarre Personenkult um den „großen Conducator“, der das „goldene Zeitalter Rumäniens“ einführte, steht im krassen Gegensatz zur völligen Verarmung der Bevölkerung.

Westliche Beobachter registrierten bislang so gut wie keinen öffentlichen Widerstand gegen das Regime, was aber dieses System mit den Menschen macht, läßt sich in Rumänien deutlicher als anderswo verifizieren.

Innerhalb der rumänischen Bevölkerung herrschen Angst und Mißtrauen, westliche Experten schätzen, daß ein Drittel aller Rumänen direkt oder indirekt mit dem Sicherheitsdienst der Polizei („Securitate“) zusammenarbeitet Die Bauern auf dem Lande wagen es nicht, heimlich ein Stück Vieh zu schlachten, da die private Nutzung verboten ist und sofort angezeigt werden kann.

Jeder Rumäne kennt die unveröffentlichte Bestimmung Nummer 408, die sie verpflichtet, jedes Gespräch mit einem Ausländer innerhalb von 24 Stunden der Polizei zu melden.

Während der letzten drei Winter hatte die rumänische Bevölkerung Unvorstellbares zu erleiden. Rigoros durchgeführte Strom- und Heizungsabschaltungen ließen die rumänischen Städte gespenster- haft erscheinen. Nach Mitteilung eines Helsinki-Menschenrechts- Verbandes erfroren bei den niedrigen Zimmertemperaturen von unter 12 Grad Tausende Alte und Kleinkinder im letzten Winter.

Durch die praktische Wertlosigkeit des rumänischen Lei sind Tauschgeschäfte - ähnlich wie in der Nachkriegszeit — wieder üblich.

Nicolae Ceausescu legte jeder rumänischen Ehefrau die Pflicht auf, mindestens vier Kinder zu gebären, damit sich die Bevölkerung von 22 auf 30 Millionen Menschen bis zur Jahrtausendwende vergrößere. Empfängnisverhütung ist streng verboten, jede Frau im gebärfähigen Alter wird monatlich von einem Arzt kontrolliert, um nicht genehmigte Abtreibungen zu verhindern.

Gleichzeitig werden ältere Menschen, die „ihre Nützlichkeit schon vollbracht haben“, ohne medizinische und soziale Betreuung aus den Städten ausgebürgert und auf dem Land ihrem Schicksal überlassen. Westliche Touristen gewinnen so bisweilen den Eindruck, als ob nur junge Menschen die Straßen bevölkern würden. /

Bukarest bietet das deutlichste Bild der umwälzenden Pläne des roten Monarchen. Alte Stadtkerne werden rücksichtslos geschliffen, um Platz für neue, monumentale Großprojekte zu gewinnen, die den Ruhm des „größten Revolutionärs“ verkünden sollen, „der selbst der Sonne zu trotzen vermag“, dichtete sein Hofpoet Dimitri Bradescu.

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