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Erbanlagen aus der Retorte

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Auf dem Kongreß der amerikanischen Chemie Gesellschaft in San Francisco enthüllte Dr. Har Gobind Khorana vom MIT in Massachusetts daß es einem Team unter seiner Leitung gelungen sei, künstlich ein vollständiges und funktionierendes Gen herausteilen. Der Nobelpreisträger arbeitet bereits seit Jahren in der Gen-Forschung, doch war ihm bislang der „Erfolg“ versagt geblieben. 1970, als er bereits glaubte, die wesentliche Hürde genommen zu haben, blieben seine synthetischen Gene leblos. Er wandte sich einem etwas simpleren Objekt zu, relativ gut bekannten Bakterien, und hatte Erfolg.

Die Gen-Manipulation wurde in den USA 1974 durch ein freiwilliges Moratorium vorerst eingestellt, Anfang Dezember 1975 jedoch entschied die Nationale Gesundheitsbehörde (National Institute of Health) positiv über den Fortgang der weiteren Forschung, nicht ohne strenge Sicherheitsrichtlinden für den Umgang mit genetischem Material zu erlassen.

Die Voraussetzung für die biochemische Gen-Chirurgie bildete die Entdeckung der „Restriktionsenzyme“. Diese können das Erbmaterial (die Desoxyribonukleinsäure, DNS) erkennen und so spalten, daß die von den verschiedenen Organismen stammenden DNS-Stücke wie genormte Fertigteile genau aneinanderpassen. Darüberhinaus können diese Bausteine mit anderen Enzymen einfach und beliebig miteinander verbunden werden, wodurch genetische Informationen aktiviert werden können.

Die Schwierigkeiten in der Gen-Forschung liegen jedenfalls derzeit noch nicht in der mißbräuchlichen Manipulation, sondern in der Tatsache, daß erst sehr wenige Gene bekannt sind. Die Gefahr ungewollter, weil unvorhersehbarer Prozesse ist daher sehr hoch und erklärt auch die strengen Sicherheitsrichtlinien der amerikanischen Behörden (die wahrscheinlich den europäischen Normen als Vorbild dienen werden, da die Gen-Forschung in Buropa noch in den Kinderschuhen steckt).

Die Bakterien sollten also ,,pan-nensicher“ gemacht werden, nicht nur um die Öffentlichkeit zu beruhigen, sondern vor allem auch, um einer neuen ,Antiwissenschaftsfoe-wegung“ (so ein Wissenschaftler auf der Asimolar-Konferenz 1975) keine Handhabe zum Verbot der Experimente zu geben.

Doch liegt hier nicht der Kern des Problemes; Sicherheitsvorschriften gibt es für alle Arten von Laboratorien. Die Gen-Forschung hat noch andere Dimensionen. Das mißglückte Experiment des italienischen Wissenschaftlers Daniele Petrucci (Bologna) 1960 ist noch in Erinnerung. Ihm „gelang“ die Verschmelzung einer Ei- und einer Samenzelle im Labor; als jedoch der embryonale Homunculus 29 Tage alt war und zu entarten begann, wurde der Versuch abgebrochen.

In der Zwischenzeit haben die Wissenschafter große Fortschritte gemacht, doch erfährt die Öffentlichkeit nur selten von ihrer Arbeit. Die wenigen Aussagen namhafter Wissenschaftler zu diesen Fragen sind eher beschwichtigender Natur. Einerseits werden die enormen Möglichkeiten für die Humanmedizin hervorgehoben, wie für die Krebsbekämpfung, für ein besseres Verständnis der Erbkrankheiten wie auch des menschlichen Alterungsprozesses. Zum anderen jedoch schweben die Fragen im Raum, die auch in der Asimolar-Konferenz nicht berührt wurden.

Es ist keine neue Frage, doch gewinnt sie bei der Gen-Manipulation eine neue Dimension; die Frage nach der Autonomie der Wissenschaft. Kann die Wissenschaft mit den mit dieser Technologie verbundenen Risken selbst fertig werden, oder ist die Kontrolle eine Angelegenheit der Öffentlichkeit, der ganzen Gesellschaft?

Die Wissenschaftler unterspielen noch. So erklärte ein enger Mitarbeiter Khorans, Dr. Hans Fritz Joachim, daß die Nutzanwendung der Gen-Forschung noch viele Jahre auf sich warten lassen werde. Dennoch kann es nicht zu spät sein, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, weiß man doch, daß letztlich über die Nutzanwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, deren Urheber die Kontrolle verlieren. (Man denke nur, was etwa Himmler, der mit seiner „Lebensbornidee“ zur Aufzucht „rassenreinen Nachwuchses“ sehr Konkretes vorhatte, mit einem willigen Gen-Experten alles bewerkstelligen hätte können!)

Nicht den primitiven Horror-Visionen, die eine schreckliche Zukunft ä la Frankenstein prophezeien, soll hier das Wort geredet werden, sondern einer kontrollierten Anwendung von Erkenntnissen, deren Auswirkungen auf die Entwicklung der Menschheit heute noch gar nicht abgeschätzt wenden können.

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