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Erdl allein macht es nicht Gesichter des Fortschritts

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In der arabischen Welt scheint sich die revolutionäre Phase der Jahre 1952 bis 1969 totgelaufen zu haben. Der Vertreibung König Faruks aus Ägypten im Juli 1952 war 1956 die Abdankung des Beys von Tunis und 1958 das blutige Ende König Feisals des II. im Irak gefolgt. 1967 entthronte der Revolutionsrat von Aden die Emire und Scheichs Südarabiens und nannte das nunmehr vereinigte Süd Jemen und Hadramaut „Demokratische Volksrepublik Jemen“, während im nördlichen Jemen schon seit Jahren ein erbitterter Bürgerkrieg zwischen der neuen Republik und den Anhängern der Monarchie tobte, in dem letztere schließlich 1968 den kürzeren zogen.

Seit der spektakulären libyschen Revolution vom 1. September 1969, die Muamar al-Gaddafl an die Macht und König Idris as-Sanussi ins Kairoer Exil brachte, will aber kein republikanischer Umsturz mehr gelingen. Weder in Marokko noch in Jordanien, ja nicht einmal in der fernen Provinz Dhofar des Sultans von Oman. Die dort zum Siegeszug in allen ölstaaten des Golfs aufgebrochene „Volksbefreiungsfront für Dhofar, Oman und die Golfstaaten“ muß heute froh sein, wenn sie sich noch an den Küstenbergen hinter Salala festklammern kann.

Parallel zu diesem Auslaufen der von Abdel Nasser eingeleiteten revolutionär-republikanischen Welle ist im arabischen Raum der siebziger Jahre ein Erstarken der verbliebenen Monarchien und ihre Stabilität in äußeren und inneren Bewährungsproben zu verzeichnen. Gerade das, Jahr 1975 hat dafür zwei klare Beispiele gebracht: Die Ermordung des saudiarabischen Königs Feisal Ibn Abdel Asis am 25. März hat in seiner Haupt- und Residenzstadt er-Rijad nicht einmal eine Palastrevolution ausgelöst, von einem totalen Umschwung gar nicht zu reden. Und im Oktober/November 1975 triumphierte das royalistische Marokko Hassans II. bei der Übernahme der bis dahin spanischen Westsahara über die vereinigten Kräfte der Algerier, Libyer und der von diesen unterstützten Rebellenbewegung „Polisario“.

In Europa herrscht in diesem Zusammenhang die weitverbreitete, doch irrige Meinung vor, daß sich die arabischen „Ölpotentaten“ die Ruhe und Ordnung ihrer Untertanen durch reiche finanzielle Zuwendungen „erkaufen“ müßten. Richtig ist daran nur, daß in Saudiarabien und Kuweit, Bahrain, Qatar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten hohe Quoten der Erdölerlöse in den Dienst des sozialen Fortschritts g% stellt werden. Gerade in Saudiarabien hat die soziale Entwicklung aber schon längst vor der Erdölära auf der Basis der islamischen Soziallehre sowie in Form von Agrargenossenschaften begonnen. Erst diese Voraussetzungen ermöglichten es, die Erdöleinnahmen sofort in die richtigen Kanäle zu lenken und eines der besten und modernsten Sozialsysteme der Welt zu schaffen. Der Nachbar Kuwait hingegen, der sich zum Teil sogar größerer finanzieller Sozialaufwendungen rühmen darf, ist infolge der hier fehlenden religiös-gesellschaftlichen Vorstrukturen in eine ernste Krise geraten, die ihren Niederschlag in dem 1976 etablierten Notverordnungsregiment des Emirs Sabah as-Salem AI Sabah finden mußte.

Der Anwendbarkeit des Modells von Saudiarabiens Wohlfahrtssozialismus auf andere arabische und Mittelostländer sind allerdings gewisse Grenzen gesetzt. Das hier gelungene Experiment, „sozialistische Errungenschaften“ unter Auslassung des langwierigen und leidensreichen Weges von Revolution, Klassenkampf oder mehr oder weniger stürmischer Evolution einfach aus dem Boden zu stampfen, setzt auf der einen Seite ein Minimum veränderungsbedürftiger Gesellschaftsstrukturen, auf der anderen Seite immense Mittel und eine zentrale Regierungsautorität voraus, die im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus der Wohlfahrt des Volkes zu dienen bereit ist.

Was hingegen die islamischen Wurzeln der seit eh und je vorhandenen sozialen Offenheit in Saudiarabien betrifft, so darf diesen unter saudischer Führung und Anleitung noch eine große Zukunft in der gesamten Muslimwelt vorausgesagt werden.

Die islamische Religion manifestiert sich gerade in der ihr von Abdel Wahhab gegebenen Ausprägung nicht nur als Religion und Morallehre im engeren Sinne, sondern vor allem als Rechts- und Sozialordnung des täglichen Lebens mit einem Totalanspruch an ihre Anhänger. Dabei wurde in der islamischen Rechtswissenschaft, dem „Fiqh“, von Anfang an dem Sozial-und Arbeitsrecht ein wichtiger Platz eingeräumt. Sind die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit nach den im „Hadith“, der Überlieferung, gesammelten Aussprüchen des Propheten Muhammad zwar noch nicht mit der Terminologie und der Gründlichkeit moderner Sozialwissenschaft geregelt, so finden sich hier doch auf der einen Seite bindende Normen, die das Verfügungsrecht über jede Art von Vermögen beschränken, auf der anderen Seite die hohe Anerkennung des ethischen Wertes der Arbeit. Diese soziale Einstellung der saudischen „Muwahhidun“ hat nicht wenig zu ihrem Siegeszug aus dem Nedschd über die ganze Arabische Halbinsel mit ihren kleinen Feudalherren beigetragen. Und sie wird sich für Saudiarabiens Platz und Rolle in der Welt von Morgen als geistige, humanistische Kraft auf die Dauer als wichtiger erweisen denn öl- und Milliardenreichtum der gegenwärtigen Aufbauphase.

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