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Erfahren wir nur die halbe Wahrheit ?

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Zwischen Skandalgeschichten, der Aufbereitung dürrer Zahlen und der Beeinflussung von Interessengruppen hat es der Wirtschaftsjournalist heute schwer.

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Zwischen Skandalgeschichten, der Aufbereitung dürrer Zahlen und der Beeinflussung von Interessengruppen hat es der Wirtschaftsjournalist heute schwer.

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In Zeiten der Vollbeschäftigung, der Hochkonjunktur und des spendefreudigen Staates interessieren die Wirtschaftsnachrichten den Durchschnittsleser wenig. Die Hauptsache ist, daß die Wohlstandsquellen fließen. In Zeiten der Krise ist das anders. Wenn Kündigungen ausgesprochen, Betriebe stillgelegt und

Pensionen gekürzt werden, fragt jeder besorgt nach dem Warum und Woher.

Der Job des Wirtschaftsjournalisten ist schwierig: Ein Autounfall läßt sich dramatisch schildern, die Verfolgungsjagd nach einem Verbrecher kann wie ein Film dargestellt werden, und selbst aus einer Szene im Parlament läßt sich noch journalistisches Kapital schlagen.

Aber die Hintergründe der Arbeitslosigkeit, das Handelsbilanzdefizit, den Dollarboom und die Notwendigkeit der Rentenreform darzustellen, ist wesentlich schwieriger.

Der Wirtschaftsjournalist müßte heute ein Fachmann auf vielen Gebieten sein, um die Zusammenhänge einigermaßen zu durchschauen. Darum ist er ständig in Versuchung, schwierigen Fragen auszuweichen und nur das zu berichten, was ihm das Durchschnittspublikum ohne viel Nachdenken abkauft.

Es gibt einen Druck vorgegebener Meinungen. Auch der Wirtschaftsjournalist ist nicht sein eigener Herr, sondern steht im Dienst eines Presseorgans. Natürlich ist ihm eine gewisse Unabhängigkeit zugesichert. Aber sie hat ihre Grenzen.

Er wird es sich auf lange Sicht kaum leisten können, gegen die „grundsätzliche Linie" seines Blattes zu schreiben. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um parteipolitische Presseorgane handelt.

Er kann es sich ebenfalls kaum leisten, gegen die großen Meinungsmacher der Wirtschaft und Hochfinanz zu Felde zu ziehen, z. B. gegen das Wall-Street-Journal aus den USA und die Londoner Financial-Times. Er ist aber ebenso auf die großen Nachrichtenagenturen angewiesen, die ihm ständig Informationen liefern, die er nicht überprüfen kann.

Weiters gibt es ein Dickicht von Sperrgebieten: Es ist bekannt, daß viele Wirtschaftsjournalisten vom italienischen Banco Ambro-siano jahrelang hinters Licht geführt wurden, bis er unter einem weltweiten Skandal zusammenbrach.

Es gibt auch für den gewissenhaften Wirtschaftsjournalisten immer wieder die Tatsache, daß er vor Sperrgebieten steht, aus denen er entweder keine oder nur unvollständige oder falsche Nachrichten erhält. Das gilt in besonderer Weise für die Länder der Dritten Welt.

Darum werden Tatsachen erfunden, andere einseitig dargestellt und viele überhaupt nicht berichtet. Damit entsteht nicht selten ein falsches Bild von der wirklichen Situation und eine falsche Bewußtseinsbildung beim Leser.

Wo ist noch Raum für das Gewissen? Die wenigen angeführten Tatsachen zeigen, wie schwierig der Beruf des Wirtschaftsjournalisten geworden ist. Um es noch einmal zu sagen: In einer Zeit der

Hochkonjunktur würde das für den Durchschnittsleser nicht so sehr ins Gewicht fallen. In einer Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Krise aber ist der Journalist in neuer Weise gefordert.

Es hängt zu einem guten Teil von ihm ab, ob der Bürger Aufklärung und Orientierung erhält oder Verbitterung und Verwirrung. Damit bekommt seine journalistische Tätigkeit eine eminent gesellschaftspolitische Bedeutung.

Was uns also not tut: Uns tut die Wahrheit not. Die Wahrheit darüber, daß wir uns auch in Österreich in einem tiefgreifenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch befinden. Er wird nur zum Teil von Österreich selber ausgelöst. Ein beachtlicher Teil wird durch Konstellationen weltweiter Art verursacht.

Es gehört zum Umbruch und Wandel, daß liebgewordene Denk- und Verhaltensweisen korrigiert und unter Umständen aufgegeben werden. Auch solche wirtschaftlicher Art. Um es noch deutlicher zu sagen: Wir werden uns mit Einschränkungen und Verzichten abfinden müssen.

Das fällt niemand leicht. Vor allem dann nicht, wenn sie angeblich von jemand anderem verschuldet wurden. Aber so einfach liegen die Dinge eben nicht.

Es gibt auch Einschränkungen und Verzichte, die in der Sache selber liegen. Ich kann z. B. die Natur und ihre Rohstoffe nicht unbegrenzt ausbeuten. Es gibt auch eine Haftung der Generationen. Aber solche Dinge müssen gesagt werden, auch wenn sie nicht sofort den Applaus der Massen finden. Aber so widerspenstig ist unser Volk ja gar nicht. Eine konsequente, an der Wahrheit orientierte Berichterstattung könnte durchaus zu einem realistischen Bewußtseinswandel führen.

Uns tut ein wacher Sinn für Gerechtigkeit not. Das schlimmste ist in Zeiten der Krise der Verdacht und die Erfahrung, daß die Lasten ungleich verteilt werden, daß es Privilegierte gibt, die relativ ungeschoren davonkommen und solche, die ständig zur Kasse gebeten werden.

Es muß, aber der Beweis geliefert werden, daß ungerechte Privilegien abgebaut werden und daß man ernstlich versucht, die Lasten gerecht zu verteilen. Natürlich wird es dann immer noch Meinungsverschiedenheiten geben. Aber auch hier könnte eine kritische, an der Gerechtigkeit orientierte Berichterstattung zu einem neuen Bewußtsein führen.

Uns tut der Sinn für Werte not: Ich weiß, wie schwer der Durchschnittsmensch mit diesem Wort umgehen kann. Werte lassen sich nicht messen und greifen wie etwa ein Bankkonto, ein neues Auto und ein Urlaub in Bangkok. Vielleicht hat es uns auch irgendwo gutgetan, nach den Jahren der Entbehrung die Erfahrung des Wohlstandes zu machen, und niemand wünscht unserem Volk das Gegenteil.

Aber ist uns dabei nicht etwas der Sinn dafür geschwunden, was Röpke einmal als „die Dinge jenseits von Angebot und Nachfrage" bezeichnete? Diese „Dinge" sind in der Zeit der Krise neu gefragt: Gerechtigkeit, Verantwortung, Solidarität, Teilen, Vertrauen, Hoffnung.

Wir sollten uns hüten, sie weiterhin abzubauen. Dies ist gerade im Bereich der Wirtschaft reichlich geschehen. Vielleicht hat man zu lange geglaubt, daß man ohne Werte auskommen könnte.

Die Aufgabe ist nicht leicht. Wer ständig mit Affären, Skanda-' len und Korruption konfrontiert wird, lebt im Mißtrauen. Aber auch hier ist der Grundwasserspiegel des Wertbewußtseins unseres Volkes höher als manche Versteppungen an der Oberfläche es vermuten lassen. Aber es ist an der Zeit, mit der „Aufforstung" zu beginnen.

Der Autor ist Professor an der päpstlichen Universität Gregoriana. Sein Beitrag: ein Auszug aus einem Vortrag im Rahmen der Katholischen Medienakademie am 13. April 1984 in Wien.

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