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Erfolg einer Novität

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Nach „Dantons Tod“, „Der Prozeß“ und „Der Zerrissene" ist „Der Besuch der alten Dame" die vierte Oper Gottfried von Einems und die erste, die in der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde. Übrigens. hat im Großen Haus am Ring die letzte Uraufführung vor mehr als 15 Jahren stattgefunden — es war Frank Martins Shakespeare-Oper „Der Stunn“. Einer so langen und konsequenten Abstinenz von Experimenten und Novitäten kann sich wohl kein anderes größeres Opernhaus rühmen, und so freut sich denn auch der Kritiker mit den Fröhlichen, daß alles gut abgegangen und nichts passiert ist. Zumal es sich um ein Auftragswerk der W’iener Staats - oper handelt, zu dessen Vollendung der Komponist zwei Jahre und drei Monate benötigte.

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Nach „Dantons Tod“, „Der Prozeß“ und „Der Zerrissene" ist „Der Besuch der alten Dame" die vierte Oper Gottfried von Einems und die erste, die in der Wiener Staatsoper uraufgeführt wurde. Übrigens. hat im Großen Haus am Ring die letzte Uraufführung vor mehr als 15 Jahren stattgefunden — es war Frank Martins Shakespeare-Oper „Der Stunn“. Einer so langen und konsequenten Abstinenz von Experimenten und Novitäten kann sich wohl kein anderes größeres Opernhaus rühmen, und so freut sich denn auch der Kritiker mit den Fröhlichen, daß alles gut abgegangen und nichts passiert ist. Zumal es sich um ein Auftragswerk der W’iener Staats - oper handelt, zu dessen Vollendung der Komponist zwei Jahre und drei Monate benötigte.

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Das 1956 urauifigeführte Theaterstück von Dürrenmatt führte früher den Untertitel „Komödie der Hochkonjunktur“ und heißt jetzt „Tragische Komödie“. Einem hat das Stück weder vor noch während der Komposition auf der Bühne gesehen: ihn lockte der Stoff, die Geschichte, das Problem. Es ist die Geschichte der Claire Zachanassian (der Name wurde von Dürrenmatt aus Zacharow, Onassis und Gulbenkian zusammengezogen), der geborenen Wäscher, die als junges Ding sich in den drei Jahre älteren 111 verliebt und von diesem, als sie ein Kind erwartet, verleugnet und sitzengelassen wird; die man aus dem Dorf Güllen (Gülle heißt auf Schweizerisch Jauche) hinausekelt, die es dann im Lauf eines wechselvollen Lebens zu neun Männern und zu sehr viel Geld bringt; und die nun, als alte Frau, begleitet von einem grotesken Hofstaat, nach Güllen zurückkehrt, um sich an ihrem untreuen Liebhaber zu rächen. Sie kauft Güllen und die Güliener mit einem Scheck über eine Milliarde. Die Gegenleistung ist von den tief Verschuldeten mit dem ,guten Gewissen“ zu erbringen: 111 muß von ihnen gerichtet und umgebracht werden. Was auch, mit der Folgerichtigkeit eines antiken Dramas, geschieht.

Nach anfänglichem Zögern und ausführlichen Besprechungen mit dem Komponisten schrieb Dürrenmatt selbst das Libretto und nahm die nötigen Vereinfachungen und Kürzungen seines Textes (um etwa ein Viertel) vor. Auch einigte man sich auf einen neuen Schluß. Statt mit einer Art antikem Chor endet das Stück jetzt, nach der Erledigung Ills und der Überreichung des Schecks, sehr effektvoll mit einem „Mördertanz“.

Sowohl was die musikalische Sprache wie was die Form betrifft, kommt Einem, der vom Hörer verstanden werden will, diesem weitgehend entgegen. Die Tonalität (um ein E zentriert) wird immer gewahrt; der Rhythmus ist abwechslungsreich, aber stets markant und eingängig, oft vorwärtsdrängend, zuweilen hämmernd; die großräumigen Formen sind übersichtlich und bereits beim ersten Hören erkennbar. Die drei Akte hat der Textautor in zehn Szenen gegliedert, die der Komponist durch neun Zwischenspiele verbunden hat. Diese letzteren, jweils 12 bis

15 Takte umfassend und von Schlagwerkjhythmen getragen, wirken wie architektonische Klammern. Außerdem gibt es eine ganze Reihe korrespondierender Parallelszenen, wie „Bahnhof I und II“, „Konrads- weilerwald I und II“, die beiden Liebe sdOette, die Finali, vor allem aber den „Eisenbahnrhythmus“, Symbol für Güllen, das irgendwo an einer Linie zwischen Stockholm und

Venedig liegt und an dem die Schnellzüge vorbeibrausen. Bis, ja bis eben die alte Dame auftaucht und alles anders wird…

Nicht so einfach ist es mit den Sinigstknmen bestellt. Diese werden von dem stets geschäftigen und die Handlung vorantreibenden Orchester nicht begleitet, sondern sind dessen Stimmengeflecht gewissermaßen integriert, ja nicht selten ist die führende Melodie einem Orchesterinstrument anvertraut. Hierdurch wird die Eigeniwertigkeit der Musik unterstrichen (es gibt den ganzen Abend lang vielerlei Interessantes zu hören), aber die Wortverständlichkeit leidet zuweilen darunter. Der Versuchung, dem Parodiecharakter zahlreicher Textstellen durch musikalische Parodie, zu sekundieren, bat der Komponist — sehr zurecht! — konsequent widerstanden. Es wäre denn, man faßte die süße Harmonik und die gefällige Melodik als eine einzige, große, alles umfassende und durchdringende Pa-

rodie auf die bösen Menschen und Geschehnisse auf, die hier vorgeführt werden. Und in der Tat: man wind dieser Harmonien nicht froh, sondern muß vielmehr Rudolf Klein zustimmen, der nach dem Studium der Partitur seine Eindrücke folgendermaßen formuliert hat: „Ich bin der Auffassung, daß die Grund- stimmung der Oper wie des Stückes eine todtraurige ist und daß dies immer präsent ist: in der Lyrik und in der Motorik der Musik, im Mitleid mit dem Opfer und seiner Mörderin, im Ernst und im bitterbösen Scherz… Hat man ihren Schmerz einmal vernommen, wird man diese ihre Eigenart besser verstehen.“

Die Premiere am vergangenen Sonntag, zu der auch zahlreiche prominente Kritiker aus dem Ausland gekommen waren,’ gestaltete sich zu einem eindeutigen Erfolg für den Komponisten und alle Ausführenden. Otto Schenk hat das dankbare Stück mit Verständnis und Elan inszeniert. Günther Schneider- Siemssen, der erst vor kurzem mit seiner „Fidelio“-Ausstattung erwiesen hat, daß er nicht nur im Salzburger Wagner-Stil zu arbeiten vermag, hat ebenso aparte wie in ihrer Kargheit charakteristische Bühnenbilder geschaffen: grau in grau, von einer gewissen schäbigen Eleganz. Ausgezeichnet auch die vielen Kostüme von Leo Bei, von denen die der „alten Dame“, der kaugummikauenden Galgenvögel Toby und Roby sowie die der jämmerlichen Figuren Koby und Loby besonders hervorgehoben seien.

30 Namen von Mitwirkenden stehen im Programm, primo loco Christa Ludwig, die eine darstellerisch und stimmlich überragende Leistung geboten hat. Wie sie als „alte Dame“, interessiert und ungerührt, diesem von ihr entfesselten Hexensabbath zusieht und dabei virtuos eine dicke Zigarre raucht — das muß man gesehen haben. Eberhard Wächter war in der Rolle des alten Alfred 111 kaum wiederzuerkennen: eine prächtige Rollenigestaltunig. Nennen wir wenigstens noch Heinz Zednik (Butler) sowie Kari Terkal und Fritz Sperlbauer aus dem Gefolge der „alten Dame“ sowie, in größeren Rollen, von den „Gülllenem“: Hans Beirer (Bürgermeister), Manfred Jungwirth (Pfarrer), Hans Hotter (Lehrer), S. R. Frese (Arzt) und Alois Pernerstorfer (Polizist). Die wichtigen Chöre hatte Norbert Baiatsch einstudiert. Bühne und Orchester hat Horst Stein mit gleicher Aufmerksamkeit betreut und mit sicherer Hand zusammengehalten. Bedürfte es eines Beweises, was Horst Stein für ein hervorragender und gewissenhafter Musiker ist: er wäre mit diesem Abend eindeutig erbracht. Iihm, dem Komponisten und dem sich nur ganz kurz vor dem Vorhang zeigenden Textautor sowie allen Ausführenden galt der langanhaltende, überaus lebhafte Beifall des Publikums.

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