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Ergeben bis zum letzten Augenblick

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Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter in Brandenburg an der Havel um 16 Uhr hingerichtet. Weil er der NS-Diktatur Gefolgschaft und Militärdienst verweigert hat.

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Am 9. August 1943 wurde Franz Jägerstätter in Brandenburg an der Havel um 16 Uhr hingerichtet. Weil er der NS-Diktatur Gefolgschaft und Militärdienst verweigert hat.

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Zum Zeitpunkt der völligen äußeren Beschränkung, zu dem Franz Jägerstätter als ein zum Tode Verurteilter und Tag und Nacht Gefesselter nur mehr auf die Hinrichtung zu warten hat, zeigt der Mann die größte innere Stärke und Geschlossenheit. Innerhalb des Strafvollzugs waren die Todeskandidaten Tag und Nacht gefesselt, damit sollte Versuchen, die hoffnungslose Situation durch Selbstmord zu been-

den, vorgebeugt werden. Franz Jägerstätter ist seine innere Handlungsfreiheit wertvoller als die äußere Bewegungsfreiheit:

„Werde hier nun einige Worte niederschreiben, wie sie mir gerade aus dem Herzen kommen. Wenn ich sie auch mit gefesselten Händen schreibe, aber immer noch besser, als wenn der Wille gefesselt wäre.“

Sein Schicksal, sein gegenwärtiger Zustand, kömmt dem Häftling selbst erstaunlich vor, konnte er doch monatelang einer so mächtigen wie gewalttätigen Institution gegenüber seine Position und seine Integrität bewahren. Es muß hervorgehoben werden, daß Franz Jägerstätter nicht in erster Linie als Angeklagter, sondern als Verweigernder vor Gericht stand, der seine Lage bis zur Bestätigung des Urteils durchaus selbst verändern hätte können. Die Tatsache, daß sein Wille „frei“ blieb, daß äußerer Druck die persönliche Entscheidung nicht anfechten konnte, ist für den Verurteilten die „Gnade“ schlechthin:

„Offensichtlich zeigt Gott manchmal seine Kraft, die er den Menschen zu geben vermag, die ihn lieben und nicht das Irdische dem Ewigen vorziehen. Nicht Kerker, nicht Fesseln, auch nicht der Tod sind es imstande, einen von der Liebe Gottes zu trennen und ihm seinen freien Willen zu rauben. Gottes Macht ist unbesiegbar.“

Den Ermahnungen, die ihm „von allen Seiten“ zukommen und oft auch mit religiösen Argumenten untermauert wurden, der Obrigkeit gegenüber „gehorsam und untertänigst“ zu sein, stellt er seine Grundentscheidung entgegen:

„Zu was hat denn dann Gott alle Menschen mit einem Verstand und freien Willen ausgestattet, wennes uns, wie so manche sagen, gar nicht einmal zusteht zu entscheiden, ob dieser Krieg, den Deutschland führt, gerecht oder ungerecht ist?“

Von seinen Mitchristen fordert Franz Jägerstätter in diesem Zusammenhang zumindest mehr Aufrichtigkeit:

„Wären die Menschen heutzu-

tage noch aufrichtiger, so glaub ich, müßte doch noch so mancher Katholik dabeisein und müßte sagen: Ja, ich sehe ein, daß die Tat gerade nicht gut ist, die wir da begehen, aber ich bin einfach noch nicht bereit zum Sterben.“

Die schlechte Tat des Mittuns beim ungerechten Krieg kann durch keinerlei Rücksichten in eine unbedenkliche verwandelt werden:

„Immer wieder möchte man einem das Gewissen erschweren betreffs Gattin und Kinder, sollte die Tat, die man begeht, vielleicht dadurch besser sein, weil man verheiratet ist und Kinder hat,

oder ist deswegen die Tat besser oder schlechter, weil es Tausend andere Katholiken auch tun ...“

Wenn auch Franz Jägerstätter im Innersten gefestigt und ruhig war, so stand er die insgesamt 34 Tage und Nächte zwischen Verurteilung und Hinrichtung dennoch unter großem seelischem Druck. Die Sehnsucht, vor Maria Himmelfahrt (15. August) zu sterben, die Franz sowohl vor den Priestern als auch im Abschiedsbrief an seine Frau ausdrückte, zeigt neben seiner Verbundenheit mit dem Kirchenjahr auch den Wunsch, das quälende Warten möge ein Ende finden.

Uber die letzten Stunden seines Lebens berichtet er selbst seiner Frau:

„Heute früh um zirka halb sechs Uhr hieß es sofort anziehen, das Auto wartet schon, und mit mehreren Todeskandidaten ging dann die Fahrt hierher nach Brandenburg, was mit uns geschehen wird, wußten wir nicht. Erst zu Mittag teilte man mir mit, daß das Urteil am 14. bestätigt wurde und heute um vier Uhr nachmittags vollstreckt wird.“

Traurig, aber gefaßt wirken die eigentlichen Abschiedsworte:

„Will nun kurz einige Worte des Abschiedes schreiben. Liebste Gattin und Mutter. Bedanke mich nochmals herzlich für alles, was Ihr in meinem Leben alles für mich getan, für all die Liebe und Opfer, die Ihr für mich gebracht habt, und bitte Euch nochmals: verzeiht mir alles, was ich Euch beleidigt und gekränkt habe, sowie auch von mir alles verziehen ist. Ich bitte, auch mir alles zu verzeihen, ganz besonders Hochw. Herrn Pfarrer, wenn ich ihn durch meine Worte vielleicht noch sehr gekränkt habe, als er mich mit Dir

besuchte. Ich verzeihe allen vom Herzen. Möge Gott mein Leben hinnehmen als Sühn-Opfer nicht bloß für meine Sünden, sondern auch für andere.“

Am 9. August 1943 um 16 Uhr wurde Franz Jägerstätter in Brandenburg an der Havel enthauptet. Seine Frau spürte zu diesem Zeitpunkt eine starke Verbindung mit ihrem Mann, sie merkte sich die Uhrzeit. Die Nachricht vom Geschehen übermittelte ihr der Pfarrer von Brandenburg, Albert Jochmann, der den Verurteilten am letzten Nachmittag betreut hatte:

„Schmerzbewegt muß ich Ihnen die Mitteilung machen, daß heute Nachmittag um vier Uhr das Urteil an Ihrem Mann vollstreckt worden ist. Ich habe Ihren Mann erst heute nachmittag aufgesucht als Vertreter des abwesenden Anstaltsgeistlichen; Ihr Mann ist auch erst heute hier eingeliefert worden, wenn ich mich recht erinnere. Er hat noch sehr andächtig gebeichtet und kommuniziert. Er erzählte mir, daß Sie selbst wie auch Ihr Pfarrer sich bemüht hätten, ihn umzustimmen; aber daß

er glaubte, es sei so seine Pflicht zu handeln, wie er es getan habe. Sein Wunsch war, daß es zu Ende gehen möchte vor Maria Himmelfahrt. Er läßt Sie und die Kinder nochmals herzlich grüßen. Er ist beherrscht und ergeben geblieben bis zu den letzten Augenblicken, die ich bei ihm war ...“

Der Berliner Gefängnispfarrer Heinrich Kreutzberg schrieb ebenfalls sofort, nachdem er vom Schicksal Jägerstätters gehört hatte, an dessen Frau. Er rühmt die Haltung des Mannes, soweit dies unter den damaligen Bedingungen möglich war:

„Auch ich hatte auf besonderen Wunsch der Anstalt beziehungsweise des Gerichtes nochmal eine eingehende Aussprache von zweieinhalb Stunden mit ihm. 14 Tage später war ich nochmals für eine halbe Stunde bei ihm. Er war absolut fest in seiner Haltung. Wenn ihm das Gericht aufgrund der vorliegenden Gesetzesbestimmungen keine Gnade schenken konnte, so mag es mir doch nicht verwehrt sein, Ihnen meine aufrichtigste Teilnahme auszusprechen. Wenn Ihr Mann in diesem einen Punkte aufgrund seiner Gewis-sensübrzeugung seinen eigenen Weg ging, so war er andererseits doch ein tiefgläubiger und selten ehrlicher und aufrichtiger Mensch, der, wie er mir sagte, lieber den Tod als eine einzige Lüge auf sich nehmen würde ... Ihr Mann ist am 9. verlegt worden und noch am gleichen Tage gestorben. Beigesetzt wurde er am 17. 8. Ich habe an seinem Urnengrab still gebetet. Es waren auch einige Blumen auf das Grab gepflanzt.“

Daß Kreutzberg „gestorben“ anstatt hingerichtet und des weiteren von einem Urnengrab schreibt, mag der jungen Frau alle Greuel ins Gedächtnis gerufen haben, die über die NS-Gefäng-nisse und Lager kursierten, denn

sie erkundigt sich umgehend bei Pfarrer Jochmann in Brandenburg, was er noch durchzumachen gehabt habe, ob er nicht gar bei lebendigem Leibe verbrannt worden sei. Die Unsicherheit dürfte dadurch verstärkt worden sein, daß die Witwe von staatlicher Seite noch immer keine Benachrichtigung hatte, die des „Oberreichs-kriegsanwaltes“ an sie ist erst mit 9. September 1943 datiert.

Die Sorge Franziska Jägerstätters betraf die Art der Tötung ihres Mannes. Auf ausdrückliches Befragen teilt sie mit, daß die Tatsache der Feuerbestattung anstelle der kirchlich vorgeschriebenen Erdbestattung unter den gegebenen Umständen kein Problem für sie war. Jochmann beruhigt die Frau umgehend:

„In Eile will ich Ihnen schreiben, um Sie doch bald aus der schrecklichen Sorge um den Tod Ihres Mannes zu befreien. Wenn deutsche Menschen zum Tode verurteilt werden, so kommt nur der Tod durch Erschießen oder durch Hinrichtung mit dem Fallbeil in Frage; bei Polen ist es auch schon vorgekommen, daß sie aufgehängt worden sind;aber lebendig verbrannt ist noch keiner, der gesetzlich zum Tode verurteilt worden ist. Wenn nach dem Erschießen oder nach der Hinrichtung durch das Fallbeil die Leiche verbrannt wird, so geschieht das wohl aus wirtschaftlichen Gründen. Sie dürfen ganz unbesorgt sein, daß, leiblich betrachtet, die Vollstreckung des Todesurteils Ihrem Mann keinen Schmerz bereitet hat. Noch nie habe ich, wo ich als Seelsorger bei der Vollstreckung eines Todesurteils zugegen sein mußte, auch nur einen einzigen Schmerzenslaut gehört ...

Franziska Jägerstätter dürfte auch angefragt haben, ob sie die Urne ihres Mannes erhalten könne. Pfarrer Jochmann gibt ihr Hinweise und einen Briefentwurf, auf welche Art sie es über den Rechtsanwalt versuchen könnte, rät von dem Vorhaben aber insgesamt ab. Erst nach Kriegsende sollten auf seine Vermittlung hin österreichische Ordensschwestern die Urne in die Heimat bringen.

Aus: FRANZ JAGERSTATTER. Von Erna Putz. Veritas-Verlag, Linz 1985.

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