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Erproben und ändern!

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HERDER- KORRESPONDENZ:

War es eigentlich sinnvoll, schon so bald nach dem Konzil ein neues, umfassendes kirchliches Rechtsbuch zu erarbeiten? Werden dadurch nicht Entwicklungen in der Kirche, die noch im Fluß sind, z. B. hinsichtlich des Verhältnisses von päpstlichem Jurisdiktionsprimat und bischöflicher Kollegialität, zu schnell abgeblockt?

HEINEMANN: Diese Frage ist ganz und gar berechtigt. Allerdings ist es eine unerläßliche Aufgabe, festzustellen, was geltendes Recht ist. Das Zweite Vatikanum selbst hatte ja schon einige Rechtsbestimmungen formuliert, wenn sie auch nicht sehr zahlreich sind. Seit dem Konzil sind aber eine ganze Reihe von weiteren Rechtsbestimmungen erlassen worden. Denken Sie beispielsweise an das Recht der konfessionsverschiedenen Ehen, denken Sie an all die Bestimmungen über die kirchlichen Räte, über die Rechte der Bischöfe, denken Sie an das Klerikerrecht und ähnliches mehr.

Ich meine schon, daß es notwendig ist, diesen Prozeß zunächst einmal festzuschreiben. Festschreiben darf aber gerade nicht heißen, daß damit jede weitere Entwicklung zu Ende ist. Die Kirche muß den Mut haben, auch einen neuen Codex nach seiner Promulgation wieder zur Erprobung zu stellen. Erprobung ist dabei nicht im Sinne eines Experiments gemeint, sondern in der Weise, daß das, was da an Gesetzgebung erlassen worden ist, erst mit Leben erfüllt werden muß. Wenn sich herausstellt, daß die eine oder andere Bestimmung nicht in den -veränderten theologischen und kirchlichen Kontext hineinpaßt, muß sie wieder verändert werden.

HK: Wie steht es im neuen Codex mit denAussagen zur Mitverantwortung der Laien, die ja für das gesamte Leben der Kirche gilt?

HEINEMANN: Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal ein wenig durchzuschauen, an welchen Stellen gerade im Teil über die hierarchische Verfaßtheit der Kirche etwas über Laien gesagt ist. Nehmen Sie etwa, um eirunal im Di-özesanbereich zu bleiben, die Aussagen über die Teilnahme von Laien an der Diözesansynode. So etwas war doch bisher überhaupt völlig undenkbar. Die Diözesansynode war nach dem Codex von 1917 eine reine Versammlung von Klerikern unter dem jeweiligen Bischof. Hier hat der Laie inzwischen seinen Platz gefunden. Ebenso ist im Canon 344, wenn auch sehr verklausuliert, die Möglichkeit einer Befragung von Laien bei der Zusammenstellung der Vorschlagsliste für eine Bischofsernennung vorgesehen. Das gilt auch bei der Ernennung eines Pfarrers.

HK: Angesichts der Spannungen zuAschen pastoralen, theologischen und rechtlichen Anliegen und der Vielfalt und Heterogeni-tät der zu behandelnden Materie liegt die Frage nahe:Muß es überhaupt ein zusammenfassendes Rechtsbuch geben, das über die hierarchische Struktur der Kirche oder die Orden genauso handelt wie über katholische Schulen und Universitäten?

HEINEMANN: Man läuft mit der Entscheidung für einen alle Rechtsbereiche umfassenden Codex sicher Gefahr, daß damit eminent wichtige Fragen, die das Grundgefüge der Kirche ansprechen, und Belanglosigkeiten nebeneinandergestellt werden und daß der Eindruck entsteht, das eine sei genauso wichtig wie das andere.

HK: In welchen Bereichen hat man Ihrer Meinung nach zu viele Einzelbestimmungen beibehalten?

HEINEMANN: Ich will Ihnen ganz schlicht sagen, in welchem Bereich meine größten Bedenken bestehen, wo ich wirklich auch gehofft hatte, daß sich Wesentliches ändern würde. Ich bin kirchlicher Richter und hätte mir gewünscht, daß das kirchliche Prozeßrecht viel stärker vereinfacht und von manchem Ballast befreit werden würde, und zwar im Hinblick auf den ganzen Ablauf des Prozesses. Hier hätte ich gewünscht, daß man sich sehr viel stärker an den seelsorglichen Bedürfnissen orientiert und nicht einfach etwas übernommen hätte, das uns ohne-hi i schon sehr belastet. Das gilt wie für das Prozeßrecht auch für das kirchliche Straf recht, pb-schon hier vieles den seelsorglichen Anliegen entsprechend verändert wurde.

HK:^icht zuletzt im Bereich des Enerechts haben ja auf der letzten Bischofssynode Vertreter der Bischofskonferenzen der Dritten Welt größere Kompetenzen für ihre Teilkirchen verlangt. Ist nicht im neuen Codex trotz mancher Kompetenzverlagerungen auf die Bischofskonferenzen viel zuviel noch gesamtkirchlich festgeschrieben, was eigentlich in die Zuständigkeit der Ortskirchen gehört?

HEINEMANN: , Willibald Plöchl spricht einmal davon, daß der CIC seinem Wesen nach nur abendländisch, und zwar noch kontinentaleuropäisch sei. Das ist ein Vorwurf, der zum Nachdenken anregen muß und der im Zusammenhang mit der Entwicklung der Weltkirche im Blick auf den neuen Codex erst recht bedenkenswert ist. Es ist bekannt, daß afrikanische Bischöfe sich sehr darüber beschwert haben, daß ihnen eine Eigengesetzgebung gerade in Fragen des Eherechts nicht zugestanden worden ist, obschon sie aus ganz anderen Traditionen kommen … Es kann meines Erachtens nicht angehen, daß unsere römisch-rechtlichen Traditionen ohne weiteres auf das Eherecht dieser Völker übertragen werden.

HK:Ist es nicht bemerkenswert, daß man in einer Zeit der immer größer werdenden Pluralisierung des Lebens der Kirche wieder zum Instrument eines einheitlichen kirchlichen Rechtsbuches greift, während die Kirche in ihrer ganzen Geschichte bis 1917 ohne einen solchen Codex ausgekommen ist?

HEINEMANN: Bis zum CIC von 1917 hatte die Kirche weitgehend ein Dekretalenrecht; d. h., es wurden Aussagen von Konzilien,

Synoden und Päpsten zu konkreten Situationen zusammengestellt. Das hat aber zu einem Wust von Büchern, zu einer Unüber-schaubarkeit des Rechts, geführt, wie das Corpus iuris canonici ja deutlich zeigt. Es war geradezu notwendig, und zwar nicht nur, wie gelegentlich behauptet wird, weil das vorige Jahrhundert bzw. der Anfang dieses Jahrhunderts Kodifikationsära war, dieses sehr unübersichtliche Recht zu ordnen. Ich meine, man sollte bei dieser Gelegenheit einmal darauf hinweisen, daß sich ausgerechnet die Päpste, die wir heute als die großen Seelsorgspäpste bezeichnen, nämlich Pius X. und Johannes XXIII., mit der Reform des Kirchenrechts befaßt haben.

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