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Ersatz für Tito ?

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Sowohl in der äußeren als ganz besonders auch in der inneren Politik Jugoslawiens treten schon seit längerem zu beobachtende und zunehmend sich zum „Stilwandel“ verdichtende „neue Akzente“ hervor; das begann sicher nicht ganz zufällig schon sehr bald, nachdem der sowjetische Parteichef Breschnjew dem häretischen Reich des Titoismus, was immer darunter zu verstehen sein mag, einen sehr offiziellen Aussöhnungsbesuch abgestatttet hatte. Doch wäre es unrealistisch, allein aus diesem Ereignis alles erklären zu wollen. Dazu ist die Situation im Lande viel zu multikomplex. Doch drängt sich die für Jugoslawien, seine Nachbarn, die Sowjetunion und deren „sozialistische Welt“ gleich bedeutungsvolle Frage auf, ob sich aus der „neuen Handschrift“ schon auf eine „neue Herrschaft“ und deren politische Qualität schließen lasse.

Diese „neue Handsrift“ wird m hohem Maße auch durch Titos Alter und die verbreitete Ungewißheit, ja Unwissenheit darüber, was (und wer!) nach ihm kommen soll, bestimmt. Es liegt nahe, sich dafür ein gewisses „Macht- und Persönlichkeitsvakuum“ vorzustellen. Das muß nicht so sehr innerparteilich so sein, ganz bestimmt aber ist es so, wenn man die Größe und die Bedeutung eines „öffentlichen Leitbildes für alle“ im Auge hat. Nun entspricht es dem im Lande herrschenden System, in solchen Augenblicken die Zügel sehr fest anzuziehen, an die Stelle der praktizierten und gewiß mit vielen Risken verbundenen föderalistisch-sozialistischen Demokratie eine von mehr zentralistischer Art treten zu lassen, den „ideologischen Kampf“ zu verschärfen, „die Partei und ihre führende Rolle“ für alle sichtbar, ja spürbar wieder hervortreten zu lassen.

Neben der strukturellen Wirtschaftlichkeit erwächst eine ganze Anzahl neuer Schwierigkeiten für Jugoslawien auf neue Art und mit neuem Zwang aus der Ausweitung der EWG. Eingeklemmt zwischen dieser und dem COMECON, muß es nach einem „natürlichen Ausweg“ spähen, der nicht mehr in jenem Balanceakt zu finden ist, den man bisher mit einigem Erfolg praktiziert hat. Ja, seit der „Verdichtung“ der EWG und ohne Arrangement mit dieser ist Jugoslawien mit einem sehr wesentlichen Teil seiner Produktion, vor allem mit seiner Agrarproduktion, mehr und mehr auf die Sowjetunion und das COMECON angewiesen. Ein Umstand, den sich — natürlich, muß man sagen — auch die Sowjetpolitik und selbstverständlich nicht ohne ideologische Zielsetzung zunutze macht. Für Moskau ist Jugoslawien, was immer man sonst noch vom „Titoismus“ halten mag, rechtens ein „sozialistisches Land“! So wird man sich dort auch keine Gelegenheit entgehen lassen, es wieder ein wenig fester politisch, wirtschaftlich und ideologisch an das von der Sowjetunion angeführte „sozialistische Lager“ zu binden. Jüngst in Moskau besprochene Industriekooperationen und ein erster, riesiger Warenkredit von rund 1,3 Milliarden Dollar (!) sollen Belgrad zu weiteren Schritten in diese Richtung ermuntern. Dagegen nimmt sich der jüngste Kredit, den ein US-Bankenkonsortium Belgrad in der Höhe von 28 Millionen Dollar gewährte, auch dann relativ bescheiden aus, wenn es sich um den größten Kommerzkredit handelt, den Jugoslawien je im Westen erhalten hat.

Auch das Herannahen der Europäischen Sicherheitskonferenz ist für Jugoslawien von allergrößter Bedeutung, was man dort viel besser versteht als in mancher westlichen Metropole. Zweifellos wird es dabei um einen neuen „Status quo“ für Europa, vor allem aber in Mitteleuropa gehen. Jugoslawien, zwar „blockfrei“, nicht aber „grundsätzlich neutral“, wird darin zu einem delikaten Objekt, auch wenn das niemand so deutlich aussprechen mag. Jedenfalls wird Moskau es zu verhindern trachten, daß dieses Land sich einer „dritten Kraft“ amalga-miert, von der man ohnedies keine rechte Vorstellung besitzt.

Dergestalt „neue“ Ausgangspositionen — doch so neu sind sie ja gar nicht! — können in einem Land wie diesem nicht ohne entsprechende innenpolitische Folgen bleiben. Zumal, wenn sich über die Dauer der Funktionsfähigkeit des mächtigen Leitbildes Tito nichts Gewisses mehr aussagen läßt. So straffen sich die Zügel beinahe zwangsläufig, einerseits, um die von den Beherrschenden des Systems vermuteten Risken auszuschalten (was natürlich auch dadurch geschieht, daß man „gewissen Intentionen“ der Sowjetunion „nachgibt“) und anderseits, um die „Wucht des Überganges“ einzudämmen.

Das Wetterleuchten eines kroatischen, schwächer auch eines serbischen Nationalismus beleuchtet die Szene geisterhaft. Das aber kann man nicht nur aus der Geschichte erklären, denn es finden sich viele zusätzliche Ingredenzien, die ihre wahre Qualität erst einer späteren Geschichtsschreibung enthüllen werden. Doch ist es sicher, daß die vermehrten, ja für Partei und Regierung unkontrollierbar gewordenen „Kontakte“ zwischen „Gastarbeiterschaft“ einerseits und unversöhnlicher Emigrationsopposition anderseits einen „dynamisierenden Verstärkereffekt'' bewirken.

Jugoslawien, so möchte man bei der Dechiffrierung der „neuen Handschrift“ zusammenfassen, befindet sich an einem Wendepunkt. Stane Dolanc, der administrative Sekretär des Bundes der jugoslawischen Kommunisten, hat dafür die ersten Wegweiser öffentlich sichtbar gemacht: Säuberung der Partei und der ihr angeschlossenen Organisationen, vor allem eine Verstärkung ihrer „Kader“; Ergänzung oder Ersetzung des bisher geübten sozialistischen Föderalismus durch einen neuen „demokratischen Zentralismus“ mit dem Ergebnis der Sicherung einer fortdauernden „Diktatur des Proletariates“. Wenn man dabei, so Dolanc, auch nicht an eine „Rückkehr zum Stalinismus“ denke, so muß das logische Ergebnis jedenfalls eine Abkehr vom „Titoismus“ oder von dem bedeuten, was man bisher dafür zu halten hatte.

Man wird in der Vermutung nicht fehlgehen, daß diese Äußerungen des Stane Dolanc einer Proklamation der nachträglichen und stückweisen Sichtbarmachung des Überganges der faktis#ien und theoretischen Macht von Tito auf „die Partei“ gleichkommt, also auf ein „zentrali-stisches Kollektiv“. In der Tat konnte man in Jugoslawien schon lange hören, daß Tito zwar noch einen ungemein hohen Symbolwert besitze, nicht mehr aber die faktische Macht, die längst in andere Hände gelegt sei; zwei davon dürften Stane Dolanc gehören...

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