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Weihnachten in aller Welt. Fünf Ethnologen schreiben für die FÜR CHE über die Weihnachtsbräuche einst und jetzt in Österreich und über das Fest in Neuguinea, in Südamerika und in Frankreich.

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Weihnachten in aller Welt. Fünf Ethnologen schreiben für die FÜR CHE über die Weihnachtsbräuche einst und jetzt in Österreich und über das Fest in Neuguinea, in Südamerika und in Frankreich.

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Wenn in Sebastian Brants „Narrenschiff" aus dem Jahre 1494 vom „gryen tann risz" die Rede ist, welches zu Neujahr in den Häusern aufgehängt wird, so ist damit zwar ein Grünschmuck zur Weihnachtszeit, nicht jedoch unser Weihnachtsbaum gemeint. Dessen Existenz ist erstmals 1605 bezeugt; in einer Reisebeschreibung aus dem Elsaß heißt es: „Auf Weihnachten richtet man Dannenbäum zu Straßburg in den Stuben auf, daran henket man Rosen aus vielfarbigem Papier geschnitten, Äpfel, Oblaten, Zischgold, Zucker ...".

Mehr als hundert Jahre später, 1708, schreibt die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz, an ihre Tochter: „Da richtet man Tische wie Altäre her und stattet sie für jedes Kind mit allerlei Dingen aus, wie neue Kleider, Silberzeug, Puppen, Zuckerwerk und alles mögliche. Auf diese Tische stellt man Buchsbäume und befestigt an jedem Zweig ein Kerzchen. Das sieht allerliebst aus ...". Neben solchen grünen Bäumchen waren in Deutschland allenthalben hölzerne Weihnachts- und Lichterpyramiden üblich, wie sie heute noch aus dem Erzgebirge bekannt sind.

Insbesondere adelige und bürgerliche Kreise sorgten im 18. Jahrhundert für die allmähliche Verbreitung des lichtergeschmückten Weihnachtsbaumes. Durch Aufhängen von Wachsengeln und Anbringen eines Sternes an der Baumspitze wurde im norddeutschen Bereich die direkte Beziehung des Baumes zum Christfest hergestellt.

Belege aus Österreich gibt es gar erst vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Ein hochbezahlter und auch hochgestellter Polizeispitzel, der beim Wiener Kongreß „tätig" war, berichtet am 26. 12. 1814 an den Präsidenten der „Obersten Polizei und Censur Hofstelle", Baron Franz Hager: „Bei Arnstein war vorgestern nach berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Staats-Räthe Jordan und Hoffmann (Verfasser der Flugschrift „Preußen und Sachsen"), Fürst Radzi-will, Herr Bartholdi, alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses. Alle gebetenen, eingeladenen Personen (Herr v. Hammer war dabei) erhielten Geschenke oder Souvenirs vom Christbaum." Der anonyme „Berichterstatter" erhielt für seine Dienste allein im Dezember 1814 2S0 Gulden sowie weitere 350 Gulden für Reisen und 400 Gulden für in diesem Jahr geleistete Trinkgelder.

Dieser in der Annagasse im Hause des aus Berlin stammenden Bankiers Arnstein aufgestellte Christbaum war wohl einer der ersten in Wien und der eigentliche Geschenktermin war damals noch der Nikolaustag. Karoline Pichler schreibt, daß sie 1817 die Bescherung „statt zu Weihnachten nach der alten österreichischen Sitte am Nikolaustag" abhielt; in einem Brief aus diesem Jahr schildert sie den Vorgang so: „Es wird ein heiliger Nikolaus im goldpapierenen Vespermantel und detto Inful erscheinen und eine Rede in Versen halten, dann kommt der Kram-pus mit Horn und Bart und bringt, in-dem er ebenfalls Verse hersagt, den Bescherungsbaum voll Lichtern und kleinen Gaben ...". Ein Gaben- oder Lichterbaum war also nichts Neues in Wien, unüblich war lediglich der Termin, der Heilige Abend. Zu dessen Popularisierung trug unter anderem die Gemahlin des Siegers von Aspern, Erzherzog Karl, Henriette von Nassau-Weilburg bei: 1816 entzündete sie in einem Palais in der Annagasse für ihre Tochter einen Christbaum.

In der Folge waren es zumeist aus Deutschland stammende, in Wien ansässig gewordene Künstler und Kaufleute (Josef Alt, Heinrich Anschütz, Friedrich Gentz), die den Brauch pflegten und für seine Ausbreitung sorgten. Daß der weihnachtliche Grünschmuck 1815 weiter verbreitet war als es die spärlichen Belege vermuten lassen, dafür spricht eine Verordnung der Niederösterreichischen Regierung vom 1. August 1815, in der im Hinblick auf das „Abstämmeln und Ausgraben der Bäume zum Behuf der Frohnleich-nams-Prozessionen, Kirchenfeste, Weihnachtsbäume und dergleichen ..." die genaue Beachtung der geltenden Waldordnung empfohlen und die „Konyfiskazion der Weihnachtsbäume an den Linien Wiens" angeordnet wurde. Mit wenig Erfolg offensichtlich, denn 1836 meldet die Theaterzeitung, daß die öffentlichen Plätze Wiens zur Weihnachtszeit einem Park glichen, „von immergrünem Nadelholz gebildet, welches zum Verkauf in Alleen und Gruppen zusammengetragen wurde".

In Linz stand der erste - erwähnte -Christbaum im Hause des Freiherrn Anton von Spaun (als Freund Schuberts bekannt), und zwar im Jahre 1818: „Auf einem niederen Gerüste, das einem Blumenbeete glich, stand der Baum, der bis an die Decke des Zimmers reichte... An den dichten, von zahlreichen Kerzen erhellten Zweigen hingen Blumengewinde, Bänder, Vögel von Seide und farbigem Papier, glänzende Harnische, Wappenschilder, Helme mit Federbüschen, Banner, Armbrüste, Puppen, seidene Tücher, eine Pelzmütze von blauem Samt mit goldener Quaste ...". Doch gab es auch hier Vorformen des Weihnachtsbaumes wie den in den Jahren 1675 bis 1752 bei der Krippe in der Linzer Stadtpfarrkirche jährlich aufgestellten „Kripplpaumb" oder „Paumb zu dem Krippl".

Eine solche Frühform weihnachtlichen Grünschmuckes findet sich auch in einer Salzburger Waldordnung von 1755, in der unter Berufung auf ein schon 1729 ausgesprochenes Verbot untersagt wird, „Weynacht- oder Ba-chel-Boschen" abzuhacken. Den ersten „echten" Christbaum errichtete 1826 der aus Württemberg zugewanderte Kaufmann Koch in der Stadt Salzburg. Zur gleichen Zeit brannten auch schon die Lichter am Weihnachtsbaum der Familie Dr. Pachter (Advokat und Bierbrauer) in Graz. Dort sollen bereits 1813 protestantische Beamte und Flüchtlinge der napoleonischen Kriege einen Christbaum aufgestellt haben. Zum Bereich des weihnachtlichen Grüns ist vielleicht der seit dem 17. Jahrhundert belegte „Paradeisbaum"zu zählen; 1655 suchten Grazer Studenten und Komödianten um Erlaubnis an, zu Neujahr, Dreikönig und Lichtmeß „die geistlichen Gsänger zu singen und mit dem Paradeisbaumb die Commedi auf der Gassen und in Heusern zu agirn".

1816 entzündete man auch in Niederösterreich schon Kerzen an Christbäumen: im Schloß Wasserburg (Bezirk St. Pölten) und im Exil von Exkönig Je-röme Bonaparte in Schönau. Wieder waren es Deutsche, die für die Einführung sorgten. Eine Dame aus dem Gefolge des Königs fühlte sich durch den Christbaum in die Heimat versetzt; 1817 verzeichnete sie „... drei schöne große Weihnachtsbäume mit köstlichem Zuckerwerk, goldenen Äpfeln und Nüssen und brennenden Lichterchen, sowie die Tische mit Geschenken ...". Im Süden und Westen dauerte es etwas länger: in Klagenfurt stand der erste Baum wohl erst 1840, in Innsbruck 1841. Ab diesem Jahr richtete Clemens Graf Brandis, der in Wien erzogene und später in Graz ansässig gewesene Landeshauptmann, für seine beiden Söhne in der Innsbrucker Hofburg einen Christbaum auf, „zur Verwunderung und Freude aller, die den Baum sahen", wie er in seinem Tagebuch vermerkt. Der neue „Brauch" breitete sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in den Städten relativ schnell aus, hat sich in vielen ländlichen Gebieten Österreichs aber erst nach 1900 voll durchgesetzt. Das innerste Passeiertal hat der Christbaum (der in Befragungen gerne als „uralt", „seit Menschengedenken bestehend" bezeichnet wird) gar erst nach 1950 erreicht.

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