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Erster Reif
USA-Außenminister Henry Kissinger wird es mit seinen arabischen Gesprächspartnern nicht leicht haben, wenn er am 9. Oktober seine nächste Vermittlerrunde im Nahen Osten beginnt. Er wird, ehe er zum Nahostkonflikt als eigentlichem Kern der Sache Vordringen kann, zunächst die Erklärungen seines neuen Präsidenten Gerald Ford und seine eigenen vor der New Yorker UN-Vollversammlung zur Weltenergiepolitik erläutern müssen, die man im arabischen Lager auch bei den nicht-erdölexportierenden Ländern enttäuscht als „Drohungen” auf- gefaßt hat, die von arabischen Regierungen und Zeitungskommentatoren aus den UN-Reden Fords und Kissingers herausgelesene angebliche amerikanische Entschlossenheit, auf einen neuen „Erdölkrieg” möglicherweise nicht nur mit politischen Mitteln zu reagieren, ließ den ersten Reif auf den nach dem jetzt gerade ein Jahr zurückliegenden Ramadan- Krieg ausgebrochenen arabisch-amerikanischen Frühling fallen.
Die Kairoer Araberliga hat auf die Äußerungen der beiden amerikanischen Spitzenpolitiker vor der UN-Vollversammlung unverzüglich mit der Feststellung reagiert, es sei das gute Recht der arabischen Völker, ihren Rohstoff Erdöl als politische Waffe einzusetzen. Auch in Ägypten, das als Rohöllieferant keine, als wichtigster politischer Partner der USA im arabischen Vorderen Orient aber die tonangebende Rolle spielt, weckten die New Yorker „Drohungen” ernste Besorgnis. Präsident Mohammed Anwar es-Sadat empfing den USA-Botschafter unverzüglich zu einer vertraulichen Unterredung. In der ägyptischen Presse hieß es anschließend, wenn ausschließlich die Sorge um den Erdölnachschub für den nach dem Ramadan-Krieg festzustellenden Kurswechsel der einseitigen amerikanischen Nahostpolitik verantwortlich gewesen sei, müsse man das als zu schwache Basis arabisch-amerikanischer Beziehungen im Geist gegenseitiger Achtung betrachten.
Präsident es-Sadat geht in seinen Überlegungen allerdings wahrscheinlich noch nicht so weit. Sein künftiges Verhältnis zu Washington dürfte vor allem dadurch bestimmt werden, wie das Weiße Haus auf seinen Wunsch nach einer 2,1 Milliarden USA-Dollar betragenden
Finanzhilfe reagiert, die er als eine Art „verlorenen Zuschuß” zur wirtschaftlichen Entwicklung seines Landes betrachtet, und ob USA-Außenminister Kissinger noch vor Wiederaufnahme der Genfer Friedensverhandlungen eine weitere Phase der ägyptisch-israelischen Truppenentflechtung auf der Sinai-Halbinsel zustande bringt.
Die Ägypter bemühen sich gegenwärtig, die amerikanische Hilfsbereitschaft durch Andeutungen über neue Waffenlieferungsverhandlungen mit der Sowjetunion, durch pan- arabisches Säbelgerassel mit Syrien, Manöver bis hin zur tagelangen Schließung des internationalen Zivilflughafens von Kairo und der Abhaltung gigantischer Siegesfeiern am ersten Jahrestag des Beginns des Ramadan-Krieges zu erhöhen. Dennoch fürchten amerikanische diplomatische Kreise im Nahen Osten, Kairo überschätze vielleicht die amerikanischen Möglichkeiten. Die Aufwertung der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation” (PLO) zum „Nonplusultra” jeder Friedenslösung für den Vorderen Orient sei ein Brocken, der Jerusalem nur schwer schmackhaft gemacht werden könne. Fortschritte auf dem Gebiet der Truppenentflechtung noch vor Wiederaufnahme der Genfer Gespräche seien daher nur denkbar, wenn auch die Araber zu weiteren substantiellen Zugeständnissen an Israel bereit seien. Die Amerikaner denken dabei offensichtlich an Durchfahrtsrechte für Schiffe unter israelischer Flagge oder für
Schiffe mit israelischen Zielhäfen im Suezkanal. Diese wurden aber von ägyptischer Seite gerade erst eindeutig abgelehnt, bevor nicht eine endgültige Friedensregelung unterzeichnet worden sei. Henry Kissinger winken diesmal keine leichten Erfolge. Die von ihm vermittelte militärische Entspannung führte auf politischem Gebiet offenbar zu einer nicht ungefährlichen Verhärtung der Fronten.
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