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Erstickt uns die Schreibtisdilawine?

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„Welch ein kolossales Gebäude", staunt ein Ausländer das Wiener Regierungsgebäude an. „Wie viele Beamte arbeiten denn hier?“ . „Wenn es hoch kommt, die Hälfte“, antwortet der befragte Einheimische.

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„Welch ein kolossales Gebäude", staunt ein Ausländer das Wiener Regierungsgebäude an. „Wie viele Beamte arbeiten denn hier?“ . „Wenn es hoch kommt, die Hälfte“, antwortet der befragte Einheimische.

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Kein Zweifel, das Image der Beamten ist bei der Bevölkerung nicht gut.

Wie kommt es zu dieser Anschauung? Eine Bemerkung Arnold Gehlens bei den Salzburger Hochschulwochen ist diesbezüglich sehr aufschlußreich: Der Mann auf der Straße glaube zwar zu wissen, was in den Parlamenten, Gerichten und Schulen vor sich geht, was aber in den Chefetagen der Firmen oder in den Ministerien geschieht, kann er sich nicht vorstellen.

Hier besteht ein echtes Informationsvakuum, das auszufüllen der Demagogie überlassen bleibt. Die Aufklärungsarbeit der Massenmedien versagt hier, ja sie leisten den allgemein verbreiteten Vorurteilen noch Vorschub.

Das Image der Politiker ist im Unterschied dazu ambivalent: Auf der einen Seite gelten sie zwar als unfähig und korrupt, auf der anderen Seite wird ihnen konzediert, daß sie zum Wohl der Bevölkerung arbeiten und daß der wirtschafts- und sozialpolitische Erfolg der letzten Dekaden ihnen — oder einigen von ihnen — zu danken sei.

Dafür ist nicht zuletzt der Umstand verantwortlich, das den Politikern viel mehr Möglichkeit geboten wird, sich zu artikulieren, mit dem breiten Publikum in Kontakt zu treten. Wenn ein Politiker mit einer mehr oder weniger guten, jedenfalls aber populären Idee an der „Sturheit“ der Bürokratie scheitert, so bieten sich ihm genügend Chancen, dies auszuposaunen — mit Erfolg übrigens, entspricht dieser Vorfall doch ganz der vorgefaßten Meinung der Mehrheit.

Wenn aber ein initiativer Beamter mit seinen Ideen an der Sturheit der Politiker scheitert, bieten sich ihm keine Kommunikationsmöglichkeiten zur Infomation der Bevölkerung.

Damit sei keineswegs behauptet, die Beamten seien durch die Bank vorbildlich und zu Unrecht verkannt. Es fehlt auch in der Bürokratie — wie übrigens auch anderswo

— nicht an Indolenz und Inkompetenz, was vielleicht durch den Pragmatisierungsschematismus bei ihnen noch stärker gefördert wird als in anderen Sektoren der Berufswelt. Aber das ist nicht die Ursache, sondern eher die Folge der allgemeinen Malaise mit der Bürokratie. Die Beamten — was immer ein gewisser Teü von ihnen an Fehlern ausweisen möge —’ sind nicht die Schuldigen am herrschenden System, sondern dessen Objekt — ob sie nun dessen Nutznießer oder Opfer sind.

Faktum ist, daß die Bürokratisierung in der ganzen Welt, speziell aber in Österreich, Dimensionen angenommen hat, daß sie zu einer kaum noch erträglichen Last geworden ist. In Österreich gibt es bei 7,4 Millionen Einwohnern an die

600.0 Beamte, davon 50.000 der allgemeinen Verwaltung des Bundes — wohingegen die Schweiz bei 6,2 Millionen Einwohnern mit ungefähr der Hälfte das Auslangen findet. Diese Tatsache weist doch auf eine mangelnde Effizienz der österreichischen Bürokratie hin — wobei dahingestellt bleibt, ob es an der Arbeitsmoral der Beamten oder am System liegt.

Dies trifft nicht nur auf die Verwaltung im eigentlichen Sinn zu, sondern auch auf die Staatsbetriebe. Wenn wir beispielsweise das gigantische Defizit der Bundesbahnen betrachten, sollten wir auch bedenken, daß in der Schweiz 3,5mal so viel Reisende pro Bediensteten befördert werden als in Österreich. Eine so immense Diskrepanz kann man nicht mehr mit „andersgelagerten Umständen“ hinwegzuerklären suchen.

Dennoch wächst die Bürokratenlawine in Österreich. In der allgemeinen Verwaltung hat sich die Zahl der Beamten von 1938 bis 1964 um 77 Prozent erhöht und dürfte seither wieder um über 15 Prozent gestiegen sein.

Noch schneller als die Anzahl der Beamten wachsen die Kosten für sie. 1967 betrug der Personalaufwand des Bundes 27,6 Mrd. S, 1973 bereits 49,8 Mrd. S. In der „Budgetvorschau 1974 bis 1978“ des Finanzministeriums wird auf Grund einer eher allzu vorsichtigen Schätzung angenommen, daß sich der Anteil der Personalausgaben am Gesamtaufwand von gegenwärtig 35 Prozent auf 39 Prozent im Jahr 1978 erhöhen werde, was bedeutet, daß dann die Personalkosten bereits eine Höhe von 100 Mrd. S erreicht haben werden. Wenn das so weitergeht, wird bald der größte Teil des Budgets aus Personal auagaben bestehen — den zusätzlichen Sachaufwand für jeden Beamten noch gar nicht mitgerech-

net. Schon heute ist das Personal nach Gesundheit und Sozialer Wohlfahrt der größte Budgetposten.

Kein Wunder, daß der Ruf nach Verwaltungsreform immer lauter wird. Von ihr wird zwar seit Dezennien viel gesprochen, wirkliche, wenn auch sehr bescheidene Taten wurden in einer kurzen Periode unter der Regierung Klaus gesetzt. Sie hat zwar 1967 mit den Gewerkschaften ein vierjähriges Stillhalteabkommen abgeschlossen, welches automatische Gehaltserhöhungen vorgesehen hat und seither viel kritisiert worden ist, sie hat sich dafür aber immerhin die

Zustimmung der Gewerkschaften für vorsichtige Rationalisierungmaßnahmen ein gehandelt. Die Folge war eine Verringerung des Personalstandes um 620 im Jahr 1968, 1969 um nicht weniger als 3915 und 1970 um 682.

Die Regierung Kreisky hingegen hat das vorher so vehement kritisierte Stillhalteabkommen 1971 um weitere vier Jahre verlängert, ohne aber den Passus hinsichtlich der Verwaltungsreform darin wieder aufzunehmen. Tatsächlich sind die Personalstände seither gewaltig gestiegen, 1971 um 3130, 1972 um 346, 1973 um weitere 3253 und 1974 in noch größerem, bisher noch nicht definitiv bekannten Umfang. Und das, obwohl ein eigener Staatssekretär für Beamtenfragen eingestellt wurde (Lausecker), man sich nicht mit einem bloßen Kommissar (Gruber) wie unter Klaus zufriedengab.

Das Kabinett Kreisky verteidigt seine Personalpolitik immer mit der Aufstockung des Lehr- und Exekutivpersonals — womit schließlich eine populäre Forderung erfüllt worden sei. Nun wurden insbesondere die Lehrkörper auch während der Regierung Klaus in den Jahren der Personalverminderung aufgestockt, während anderseits die neue Schreibtischlawine unter Kreisky nicht bloß auf. die populären Sektoren beschränkt blieb. Ein enormer zusätzlicher Personalbedarf ergab sich, vorherigen Beteuerungen zum Trotz, durch die Schaffung zweier neuer Ministerien, des Wissenschafts- und des Forschungsressorts. Wie die’ Dinge stehen, geht aber auch aus der Berufung eines eigenen zusätzlichen Beamten- Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Lausecker, hervor.

Interessant ist es aber, daß eine Beamtenvermehrung in für das Publikum überschäubaren Sektoren durchaus populär ist: Wenn mehr Polizisten unter dem Motto, besser für unsere Sicherheit sorgen zu sollen, eingestellt werden, so. wird allgemein applaudiert. Würden aber vom legendären Salzamt, von dem keiner weiß, was dort eigentlich geschieht, mehr Beamte benötigt, so würde das von der Bevölkerung vehement abgelehnt.

Dabei könnte die Exekutive durch bessere Diensteinteilung (auch nach Abschaffung des „Dreierradeis“ ist diese noch ungenügend) und durch zielführenderen Einsatz des vorhandenen Personals auch mit diesem bei weitem effizienter sein. Hingegen mögen in einem der „Salzämter“ mehr Beamte dringend notwendig sein und könnten dort wirklich produktiv arbeiten. Hier zeigen sich die Folgen jenes Informationsvakuums, welches Gehlen kritisiert hat.

Wie dem auch im Einzelfall sein mag, fest steht, daß wir insgesamt zu viele Beamte haben und die Verwaltung zu viel kostet. Mögen auch diverse Abteilungen unterbesetzt sein, andere sind entschieden überbesetzt.

Typisch für die Situation ist, daß zwar in diversen Sektoren der Verwaltung in den letzten Jahren Computer eingesetzt wurden, sich deshalb aber nicht die Personalstände verringert haben oder Personal für andere Aufgaben frei geworden wäre, noch auch, daß die Verwaltung deshalb flotter und weniger schwerfällig geworden wäre. Vieles spricht dafür, daß der öffentliche Dienst vom Computer nicht im gleichen

Maß, Gebrauch zu machen versteht wie dies bei vielen Privatfirmen der Fall ist.

Wie aber könnte all dem abgeholfen werden? Am populärsten sind die Forderungen nach einer Leistungssteigerung bei den Bediensteten nach Abschaffung der Dienstpragmatik mit ihrem automatischen Vorrückungen — unabhängig von der Tüchtigkeit des betreffenden Beamten — sowie Einführung des Leistungsprinzips nach dem Vorbild in der Wirtschaft.

Die Forderung hat viel für sich, denn- die Effizienz im Staatsdienst läßt zu wünschen übrig. Wenn sich die Beamten dennoch gegen das Leistungsprinzip wehren, so nicht ausschließlich aus Bequemlichkeit. Die Dienstpragmatik ist nicht nur ein Schutz vor Leistungsdruck, sondern auch vor Gesinnungszwang. Die Be fürchtung ist nicht ganz unberechtigt, daß unter der gegenwärtigen Konstellation Leistung mit der politischen Gesinnung verwechselt würde, die parteipolitische Unabhängigkeit der Beamten — schon heute eher dubios — zur Gänze verloren ginge. Diese Gefahr ist um so größer, als sich Leistung in der staatlichen Verwaltung noch weniger messen läßt als anderswo, wie auch der Beamten-Gewerkschaftschef Ga- sperschitz fürchtet.

Ebenso diffizil ist die Forderung nach größerer Mobilität innerhalb der Verwaltung. An sich ist dies die einzige Möglichkeit, Personalmangel in einem Sektor durch den Personalüberschuß im anderen abzudecken, wobei auch ein Überwechseln von einem Ressort zum anderen in Kauf genommen werden müßte. Anderseits fürchten viele Beamte nicht zu Unrecht, auf diese Manier aus politischen Gründen „kaltgestellt“ zu werden.

Die Gefahr ist um so konkreter, als ja die Sozialisten eine Politisierung des Beamtentums auf ihre Fahne geschrieben haben. Bereits 1946 sagte der SPÖ-Chefideologe Karl Czernetz in der „Zukunft“: „Niemand wird ungestraft behaupten, daß man eingefleischte Reaktionäre mit der Durchführung sozialistischer Maßnahmen betrauen kann. Es kann nicht bezweifelt werden, daß solche Elemente von der Verwaltung des kommenden sozialistischen Staates ausgeschaltet werden müssen.“

Hier werden die Beamten pauschal der reaktionären Gesinnung geziehen, der Sabotage von Anordnungen „progressiver“ Minister verdächtigt. Daß es sich hier nicht bloß kretes Rezept für die Praxis, beweist die sozialistische Personalpolitik in ihren Ressorts und beweisen die hemdärmeligen Methoden, mit welchen in Zeiten der Alleinregierung auch in „schwarzen“ Ressorts ein politischer „Strukturwandel“ angestrebt wurde. Gäbe es nicht die Dienstpragmatik, so wären noch ganz andere Einbrüche erzielt worden.

Sicherlich, auch die Personalpolitik der ÖVP war vielfach parteiisch, auch diese Partei hat, wenn auch etwas zaghafter, ihre Chancen während der Alleinregierungsperiode genutzt. Der Unterschied ist nur, daß sich die „schwarze“ Personalpolitik zumeist auf persönliche Solidarität beschränkt hat, wo hingegen die „rote“ massive ideologische Konsequenzen abfordert. Dies führt beispielsweise dazu, daß bei Richtern, die an sich der SPÖ nahestehen, die Jurisdiktion häufig stärker nach gesellschaftlicher Notwendigkeit orientiert wird, als dies mit der objektiven Rechtsfindung zu vereinbaren ist.

Hier stehen sich die Notwendigkeit, Leistungskriterien einzuführen und die Gefahr einer noch stärkeren Politisierung der Beamtenschaft, als dies heute ohnehin schon — Sehr zum Schaden der Effizienz der Verwal-

tung — der Fall ist, diametral entgegen. Der Ausweg ist schwer zu finden, speziell dann, wenn es eine der Großparteien darauf angelegt hat, aus einem möglichst großen Teil der Beamtenschaft ein willfähriges Instrument ihrer Gesellschaftspolitik zu machen.

Außerdem ipt es falsch, den Hebel — wie dies zumeist der Fall ist — immer nur an der Leistung des individuellen Beamten anzusetzen. Viel entscheidender ist die Schwerfälligkeit der Verwaltung an sich, der umständliche Instanzenweg und die Unklarheit der Kompetenzen. Hier müßte in erster Linie die Reform einsetzen.

Die eigentliche Chance der Verwaltungsreform läge aber auf einem ganz anderen Gebiet, nämlich auf dem der Legislative. Solange am laufenden Band immer neue, immer schwerer administrierbare Gesetze produziert werden, die immer wieder zur Umstellung eines gerade erst wieder eingelaufenen Apparates zwingen, solange helfen keine Einsparungsvorsätze. Die Verwaltung wird im Gegenteil immer stärker anschwellen.

Es müßte daher bei Gesetzen Bedacht darauf genommen werden, was für einen Verwaltungsaufwand sie erfordern. Die Gesetze müssen sorgfältig ausgearbeitet werden, um nicht andauernd novelliert werden zu müssen. Man müßte vielleicht auch auf Gesetze verzichten, deren Verwaltungsaufwand in keiner Relation zum Nutzeffekt steht. Solange auf diesem Gebiet nicht reformiert wird, kann es keine entscheidende Trendumkehr bei der permanent fortschreitenden Bürokratisierung geben.

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