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Ertüchtigung

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„Kein normaler Mensch kommt auf die Idee, so etwas zu machen", sagte ein Gendarm der Ortschaft Werfenweng im Tennengebirge. Fünfzehn junge Leute wurden von drei Betreuern bei größter Lawinengefahr in den Talkessel hinein und den Abhang emporgeführt. Schneemassen donnerten zu Tal, begruben die kleine Schar. Nur fünf junge Leute überlebten,

Touristen?

Nicht zur Freude, nicht zur Stärkung der Gesundheit, nicht zur heiteren Eroberung der Alpenhöhen waren die achtzehn Deutschen aufge-

brochen, sondern mit einem Ziel, das von den Veranstaltern mit sportliche Ertüchtigung, Uberlebenstraining und Gemeinsamkeit im Schnee" definiert wird. Diese Veranstalter sitzen in einer .JDeutschen Gesellschaft für Europäische Bildung" in Berchtesgaden und bringen ihre Zöglinge bereits seit Jahren nach Werfenweng und, wenn man den Dorfbewohnern Glauben schenken darf, in Lebensgefahr.

Zu welchem Zweck?

Ertüchtigung, Uberlebenstraining, Gemeinsamkeit", so lautet die schöne Parole, und wäre gegen sie kaum etwas einzuwenden angesichts einer allein an Nützlichkeit und Gewinn ausgerichteten Gesellschaft', in der es nur wenige Menschen gibt, die Zivilcourage, Opferbereitschaft und Wagemut entwik-keln.

Und doch scheint hinter den Zielsetzungen etwas anderes zu stecken als eine Kritik an der gegenwärtigen „europäischen Bildung". Man wittert Lagerfeuermentalität, Heldenverehrung, Bereitschaft zur letzten Bewährung, kurz: Schwärmerei.

Ist aber Schwärmerei vielleicht etwas Böses?

Nur Menschen mit versteinerten Herzen kennen nicht dieses Gefühl, und wenn sie es mit der Romantik der Pubertät auch teilweise verloren haben, so erinnern sie sich daran doch immer wieder, und manchmal sind sie immer noch bereit, für etwas zu schwärmen. Solche Regungen nennen wir zurecht erhebend und außergewöhnlich.

Und doch liegt im Schwärmen eine nüchterne, gar nicht schwärmerische Frage verborgen, und diese lautet: Wer schwärmt wann wofür und wie lange? •>

Gerade diese Frage aber bleibt für den Schwärmer ohne Antwort; er kommt gar nicht dazu, sie zu formulieren; er ist vollkommen erfüllt von Lagerfeuermentalität, von Heldenverehrung, von der Bereitschaft zur letzten Bewährung. Wer aber die Antwort nicht weiß, rennt zuweilen in den Tod und oft nicht in den Heldentod, sondern in den Tod ohne Sinn.

Er rennt aber nicht allein. Das Wort .JSchwärmen" ist mit dem Wort ,JSchwarm" verwandt.

Die dreizehn Deutschen im Tennengebirge sind auch an der entsetzlichen Zweideutigkeit eines Begriffes und eines Lebensgefühls gestorben.

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