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Erwachen in Albanien

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In Albanien herrscht Anarchie. Leere Mägen treiben die Menschen zu Verzweiflungstaten - und zur Flucht. Zuflucht suchen viele Menschen im einstigen Staat verordneter Gottlosigkeit bei den Kirchen.

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In Albanien herrscht Anarchie. Leere Mägen treiben die Menschen zu Verzweiflungstaten - und zur Flucht. Zuflucht suchen viele Menschen im einstigen Staat verordneter Gottlosigkeit bei den Kirchen.

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„Wir haben Gott vergessen, und Gott hat uns vergessen." Der pensionierte Fotograf in der albanischen Küstenstadt Saranda senkt das Haupt. Aus seinen in makellosem Italienisch geäußerten Worten spricht das Drama Albaniens. Ein geistig und materiell betrogenes Volk steht vor den Trümmern einer fast fünfzigjährigen Diktatur. Auf der Suche nach Identität strömen die Menschen in Kirchen und Moscheen, die im vormals atheistischen Staat gar nicht existieren durften.

Leere Mägen, leere Köpfe. Der Kampf ums nackte Überleben ist gepaart mit einer Hinwendung zur Religion. Die Albaner suchen im Angesicht von politischem Chaos und wirtschaftlichem Ruin nach Trost. Die Hoxha-Diktatur hat nicht nur das reizvolle Land am Mittelmeer zum Armenhaus Europas gemacht, sie hat dessen würdevolle Bewohner in ein eisernes Joch gespannt und gedemütigt.

Nun, da die sinnentleerte kommunistische Ideologie abgeschüttelt ist, versuchen die Menschen das geistige Vakuum mit neuen Werten zu füllen. Viele von ihnen besinnen sich auf die Religion ihrer Väter. „Die Kommunisten haben die Seele des Volkes zerstört", klagt eine junge Frau mit zwei Kindern beim Verlassen der orthodoxen Kirche von Elbasan.

Religiöse Aufbruchstimmung schlägt dem Besucher in den städtischen Zentren entgegen. Am 9. November 1990 war das seit 1967 geltende Religionsverbot aufgehoben worden. In der orthodoxen Kirche in der Innenstadt von Tirana gegenüber dem Sitz der Demokratischen Partei wird Samstag nachmittag emsig gehämmert und geklopft. Der Kirchturm ist bereits wieder fertig aufgebaut, jetzt wird der Innenraum des Gotteshauses restauriert.

Der Pfarreiverwalter gibt uns bereitwillig Auskunft. 1967, nach der Deklaration des atheistischen Staates, wurde die erst drei Jahre zuvor fertiggestellte Kirche von den Kommunisten geschlossen und in eine öffentliche Turnhalle umfunktioniert. Daß das Gotteshaus nicht der Spitzhacke zum Opfer fiel, verdankte es dem Umstand, daß seine Fassade nicht der Straßenseite zugewandt war. Freilich, der Turm wurde damals abgetragen, weil er weithin sichtbar war. Die frühere Hauptkirche der Orthodoxie auf dem Skanderbeg-Platz hatte dem sozialistischen Paradeareal weichen müssen, ebenso wie der alte Bazar.

Die Maria Verkündigung geweihte Kirche erhalte Spenden aus dem Ausland, erzählt der Sakristan. Ohne die brüderliche Hilfe von ausländischen Kirchengemeinden wäre der Wiederaufbau nicht möglich. Am Tag nach den Wahlen, als Oppositionsführer Sali Berisha stürmisch gefeiert wurde, stimmte die Glocke ein Siegesgeläut an. Auch der Muezzin der Moschee auf dem Skanderbeg-Platz ruft vom Minarett wieder zum Gebet.

Die effektive Religionszugehörigkeit der albanischen Bevölkerung läßt sich kaum feststellen. Vor Erlassung des Religionsverbots 1967 bekannten sich etwa 900.000 Albaner zum Islam, rund 160.000 zur orthodoxen und 120.000 zur katholischen Kirche. Seither gibt es keine verläßlichen Angaben.

In Shkoder führt uns ein kleiner Bub zur katholischen Kirchenruine. Sein Großvater habe eine zehnjährige Haftstrafe verbüßt, weil der Geheimdienst Sigurimi dahinterkam, daß er in einem Privathaus eine Messe organisiert hatte, schildert er. Auch dieses Gotteshaus war in der Hoxha-Ära als Sporthalle entweiht worden. Die mächtige Kathedrale von Gjiro-kastra in unmittelbarer Nachbarschaft des Hoxha-Denkmals wiederum fand als Kinosaal Verwendung.

Am Stadtrand von Shkoder haben Mutter Teresas Missionarinnen der Nächstenliebe zwei bescheidene Gebetshäuser eingerichtet. Die Schwestern der aus Skopje gebürtigen albanischen Ordensgründerin leisten wertvolle Aufbauhilfe in dem Land, wo die kommunistischen Machthaber die pastorale Infrastruktur systematisch zerstört haben.

Als wir bei der orthodoxen Kirche von Elbasan ankommen, es ist Mittwoch mittag, wird dort gerade eine heilige Messe zelebriert. Etwa dreihundert Gläubige haben sich versammelt. Zwei ältere Mitglieder der Kirchengemeinde geleiten uns zum Altar, wo der greise Pope das Volk segnet. Sie sind stolz auf ihre Kirche, die vor genau dreizehn Monaten wieder ihrer ursprüngli-; chen Bestimmung übergeben worden ist. „Der Kirchenschatz wurde von den Kommunisten geplündert", erzählt die junge zweifache Mutter. Aber viel schlimmer als der materielle Verlust war der Schaden, den die Volksseele durch die brutale Auslöschung der Traditionen nahm.

Knapp hinter der orthodoxen liegt die katholische Kirche von Elbasan. Sie liegt wahrhaftig in Ruinen. Vor dem versperrten Tor des vom Verfall bedrohten Gebäudes türmt sich ein Erdhügel, einem riesigen Müllberg gleich. Der Hügel verbirgt einen der Bunker, die zu Hunderttausenden das ganze Land übersäten, um Hoxhas Bürger einzuschüchtern. Auch hier sind die Schwestern von Mutter Teresa eingesprungen. Die Gottesdienste werden in einem Ordenshaus der Missionarinnen abgehalten, denn die alte Kirche ist allzu baufällig.

Die albanischstämmige Friedensnobelpreisträgerin ist für die Albaner zu einer Integrationsfigur geworden. Jedermann kennt sie, jeder spricht voll Hochachtung von ihr.

In der albanisch-mazedonischen Grenzstation am Ohrid-See liegt ein Bildchen Mutter Teresas auf dem Schreibtisch der Zollpolizei. Fein säuberlich unter einer Glasplatte, mitten unter grenzpolizeilichen Anweisungen.

Neben Mutter Teresas Schwestern sind Ordensschwestern vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Pastoralarbeit tätig. Sie stammen aus Slowenien, Kroatien und Montenegro und gehören verschiedenen Orden an. Die Seelsorge ist mühsam, da es an Priestern mangelt. Einige katholische Geistliche sind aus dem Kosovo gekommen, so auch der Pfarrer von Dürres und sein Kaplan.

In der wichtigsten Hafenstadt Albaniens haben sich in den vergangenen Monaten Hunderte Erwachsene taufen lassen. Zahlreiche weitere

Gläubige wollen in der Ostemacht das Sakrament der Taufe empfangen. Die Gottesdienste sind gut besucht. Im Schnitt finden sich an Sonntagen rund dreitausend Gläubige zur Meßfeier ein. Unter ihnen sind nicht nur Katholiken, sondern auch Orthodoxe und Moslems. Der Glaube und die Suche nach Gott ist allen gemeinsam. Unbewußt gelebte Ökumene in einem Land, wo noch vor zwei Jahren ein unerbittliches kommunistisches Regime die Gottlosigkeit gepredigt hatte.

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