6904455-1980_39_15.jpg
Digital In Arbeit

Erziehung zum Forscher

19451960198020002020

Große Wissenschaftler, auf Voraussetzungen ihrer hervorragenden Leistungen angesprochen, weisen auf den prägenden Einfluß hin, den ein oder mehrere Lehrerauf sie ausübten. Die Geschichte der Wissenschaft ist reich an Beispielen dafür, daß bedeutende Forscher bedeutende Mentoren hatten

19451960198020002020

Große Wissenschaftler, auf Voraussetzungen ihrer hervorragenden Leistungen angesprochen, weisen auf den prägenden Einfluß hin, den ein oder mehrere Lehrerauf sie ausübten. Die Geschichte der Wissenschaft ist reich an Beispielen dafür, daß bedeutende Forscher bedeutende Mentoren hatten

Werbung
Werbung
Werbung

Uber welche grundlegenden Fähigkeiten der erfolgreiche Forscher verfügen muß, läßt sich von Karl Poppers „Logik der Forschung" ableiten. Wenn wissenschaftlicher Fortschritt auf neuen Ideen, Annahmen, Entwürfen und Hypothesen beruht, deren Validität kritisch überprüft und strengsten Widerlegungsversuchen unterzogen werden muß, so hat nur der das Zeug zum Forscher, der Uber Kreativität und kritische Rationalität verfügt und diese miteinander zu kombinieren weiß.

Am Beginn wissenschaftlicher Entdeckungen stehen Phantasie und Erkundungsdrang. Den Forscher zeichnet die Neigung aus, Außergewöhnliches zu bedenken und zu entdecken, verbunden mit der Abneigung, oberflächliche oder widersprüchliche Erklärungen hinzunehmen. Er erkennt Probleme,wo andere über Ungereimtheiten hinwegsehen. Er gibt sich nicht mit dem zufrieden, was bisher erreicht worden ist. Er sucht neue theoretische und praktische Lösungen; er verläßt die breite, ebene Straße und geht steile Wege.

Gute wissenschaftliche Ideen sind selten. Wissenschaftliche Kreativität erfordert Kühnheit und Unabhängigkeit. Nicht viele haben den Mut, sich von herkömmlichen Denkgewohnheiten oder Methoden zu lösen und waghalsigen Einfällen und Vorstellungen, neuen Deutungen und Lösungsansätzen Raum zu geben. Was jedoch den Wissenschaftler von anderen kreativen Persönlichkeiten wesentlich unterscheidet, ist die Strenge der logischen und empirischen Kritik, mit der er Ideen und Entwürfe auf ihre Stichhältigkeit prüft Kreativität ohne rigorose rationale Korrektur endet in Konfusion und Phantasterei, während Kritikfähigkeit ohne Kreativität zu wissenschaftlicher Unfruchtbarkeit führt.

Dabei ist bemerkenswert, daß Phantasie nicht nur für neue Einfälle nötig ist, sondern auch für die Hervorbringung kritischer Einwände und das Ersinnen von Methoden und Werkzeugen, die der Uberprüfung einer Idee dienen.

Problembewußtsein, Kreativität und Kritikfähigkeit reichen jedoch zum guten Forscher nicht hin. Wissenschaftlicher Fortschritt muß mit langen Perioden der Bewährung und Enttäuschung erkauft werden. Mit ihnen fertigzuwer-den, braucht der Forscher Fleiß, Selbstdisziplin, unbeugsame Beharrlichkeit im Verfolgen von Ideen, im wiederholten Testen und Experimentieren.

Woher nehmen die Wissenschaftler den kräftigen Antrieb? Von ihrem ungewöhnlichen Erkundungsdrang? Von ihrem Wunsch und ihrer Uberzeugung, in die Gegebenheiten dieser Welt Ordnung zu bringen und nützlich sein zu können? Von ihrem Bemühen, sich in der Forschung und im Wettbewerb mit anderen zu bewähren, vom Streben nach Anerkennung und Aufstieg auf der Karriereleiter? So verschiedenartig die Motive sein mögen, niemand wird und bleibt ein guter, produktiver Forscher ohne Leistungsbereitschaft und langfristige Motivation.

Der Wissenschaftler muß, um neue Erkenntnisse zu erarbeiten, sich in sein besonderes Forschungsgebiet tiefer und tiefer einarbeiten, adäquate Methoden meistern lernen und selbst entwickeln, spezielle Zusammenhänge aufdecken oder in Frage stellen. Eine starke Spezialisierung ist unvermeidlich. Obgleich sich offenkundig und sprichwörtlich „in der Beschränkung der Meister zeigt", eröffnen sich gerade auch jenen Forschern ergiebige Einsichten, die mit den Denkmodellen, Erfahrungen und Methoden nicht nur eines einzigen Gebietes vertraut sind, sondern es verstehen, den Partikularismus der Wissenschaftszweige - bei Wahrung strenger Denk- und Arbeitsdisziplin - zu überwinden.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Fruchtbarkeit einer die engen Fachgrenzen übergreifenden Forschung bietet die moderne Molekularbiologie, zu deren phänomenaler Blüte die Vereinigung von Biochemie, Virologie, Bakteriologie, Zellbiologie und Genetik geführt hat.

Auch der vielseitige Wissenschafter, der mit größter Intensität forscht, kann auf Kooperation und Kommunikation mit engeren und ferneren Fachkollegen nicht verzichten. Die Komplexität vieler Probleme, die Vielfalt der Aspekte und Methoden, der erforderliche Aufwand an Zeit und Kraft machen eine Zusammenarbeit in der Gruppe unerläßlich. Während die Gewinnung schöpferischer Einfälle Muße, Besinnung und Einsamkeit voraussetzt, kommen die Forscher, die im Team, oft unter Konkurrenzdruck, ein gemeinsames wissenschaftliches Ziel anstreben, nicht ohne strikte Arbeits- und Zeiteinteilung aus. Das Wechselspiel von ruhiger Überlegung und gezieltem, vom Geist des Wettbewerbs stimuliertem Einsatz ist einer der aussichtsreichsten Zugänge zu hervorragenden Forschungsresultaten.

Wenn wir nun fragen, wodurch Bildung und Erziehung dazu beitragen können, wissenschaftlich Talentierte zu vortrefflichen Forschern werden zu lassen, soll die These am Anfang stehen, daß die investigativen und kreativen Fähigkeiten, die den forschenden Erwachsenen auszeichnen, schon im Kinde angelegt sind. Die rezeptive und schöpferische Aufgeschlossenheit des Kindes ist die Voraussetzung dafür, daß sich die weltoffene Natur des Menschen entfalten kann. Wenn dem so ist, wenn der unbekümmerte Erkundungsdrang des Kindes seine spielerische Welterprobung, seine schöpferische Simulation möglicher und wirklicher Zusammenhänge eine Vorwegnahme des adulten Forschungsstrebens sind, dann kommt es darauf an, diese kindliche spielerische Neugier und Phantasie nicht zu unterdrücken, sondern pfleglich zu erhalten, nach und nach mit kritischem Intellekt zu paaren.

Nur allzu leicht werden Originalität und unbeschwertes Streben nach Erkundung des noch Unerschlossenen von der Fülle detaillierten Lernwissens erstickt. So wird schon im Schul- und noch mehr im Hochschulunterricht der gute Lehrer darauf bedacht sein, nicht nur wissenschaftliche Zusammenhänge und Theorien und ihnen zugrundeliegende Tatsachen darzustellen, sondern auch die Unabgeschlossenheit und Entwicklungsfähigkeit unseres Wissens und die Existenz so vieler offener und der Forschung offenstehender Probleme begreiflich zu machen. Er wird -ohne die von angewandten Natur- und Sozialwissenschaften mitverursachten Krisensituationen der Gegenwart zu verharmlosen - das Interesse und die Freude seiner wissenschaftlich talentierten Schüler an der Vertiefung und Erweiterung wertvoller Erkenntisse zu wecken verstehen.

Der werdende Wissenschaftler hat aber auch Anspruch darauf, zu disziplinierter Arbeit, Leistungsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit erzogen zu werden; er wird diese Charakterzüge und Verhaltsweisen bei seiner späteren Forschungsarbeit dringend benötigen.

Vor allem aber ist es für den an Forschung interessierten jungen Menschen wichtig, rechtzeitig unter Anleitung und mit Hilfe einfallsreicher und kritischer, engagierter und erfahrener Wissenschaftler in die Forschungsarbeit eingeführt zu werden und sich an jenen orientieren zu können, die vermitteln können, was Sir Hans Krebs von seinem wichtigsten Lehrer Otto Warburg folgendermaßen sagte: Er „beeindruckte mich durch die richtige Art,Fragen zu stellen, durch das Schmieden von neuen Werkzeugen, um die ausgewählten Probleme anzugehen, durch seine erbarmungslose Selbstkritik, durch die unendliche Mühe, mit der er Fakten verifizierte und seine Ergebnisse und Ideen genau und prägnant ausdrückte, und insgesamt durch die Konzentration seines Lebens auf echte Werte."

(Der Autor ist Universitätsprofessor für Biochemie in Wien und Präsident des Fonds für Wissenschaft und Forschung)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung