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„Es fehlen die Visionen”

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FURCHE: Was sollte im Rahmen der Sozialpartnerschaft in Zukunft geändert werden?

FRITZ VERZETNITSCH: Die Sozialpartnerschaft wird durch Personen und ihre Einstellungen geprägt. Sie wird nur eine Uberlebenschance haben, wenn die heranwachsende Generation lernt, nicht nur auf dem eigenen Standpunkt zu beharren, sondern daß man miteinander reden muß. Gemeinsam muß nach Lösungen gesucht werden. Wenn es nicht gelingt, dieses Verständnis zu wek-ken und es zu Radikalisierungen kommt, sehe ich die Sozialpartnerschaft gefährdet.

FURCHE: Es heißt immer, die Sozialpartnerschaft funktioniere deshalb, weil die Spitzenfunktionäre durch gemeinsame Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg verbunden sind. Wird der Altersunterschied zu Präsident Rudolf Sal-linger so gesehen nicht doch eines Tages für Sie zum Problem?

VERZETNITSCH: Die Sozialpartnerschaft bewegt sich nicht mehr im Jahr 1957, sondern wird von den Aufgabenstellungen der Zukunft geprägt sein. Ich werde sicherlich andere Akzente setzen, aber das einzige Kriterium, das für mich zählt, ist, ob jemand ein guter und fairer Gesprächspartner ist. Beruft er sich nur auf sein Alter oder gar nur die Macht, wäre das schlecht. Entscheidend ist das Argument, das jemand an der Hand hat.

FURCHE: Die Gewerkschaften haben enorme Imageprobleme. Sie gelten als Betonierer, haben Schwierigkeiten, sich auf neue Strömungen einzustellen. Fred Sinowatz meinte vor kurzem, er werde die SPÖ in Richtung Zeitgeistführen. Werden Sie denöGB auch anpassen? Verkrustungen auflösen und das Gespräch mit Andersdenkenden suchen?

VERZETNITSCH: Einer allein kann den ÖGB nicht verändern. Die entscheidende Frage wird sein, ob die rund 70.000 Kolleginnen und Kollegen, die als Vertrauensmänner tätig sind, den Zeitgeist auch tatkräftig umsetzen. Ich kann nur meine Meinung äußern und durch die Funktion, die ich ausübe, wird sie wahrscheinlich auch besonders gehört. Außerdem teile ich nicht Ihre Meinung.daß der ÖGB verkrustet ist. Das wird nur gerne so dargestellt.

FURCHE: Aber er wird doch auch in den eigenen Reihen kritisiert. Im ÖGB-Verlag erscheinen Bücher, die den Mangel an Demokratisierung oder anderen Mitbestimmungsmöglichkeiten oder auch den mangelnden Kontakt zur Basis heftig beklagen.

VERZETNITSCH: Es kommt aber darauf an, was gefordert wird. Die Betriebsräte beispielsweise wollen, daß der ÖGB kampfstärker wird, weil sie sich selbst nicht mit ihren Chefs anlegen wollen. Das geht nun einmal nicht. Das ist das Denken - es wird schon etwas geschehen, ohne daß die Betroffenen sich selbst beteiligen müssen. Wir können uns den Vorwurf machen, daß wir dieses Versorgungsdenken selbst geschürt haben.

Was den Vorwurf der Verkrustung betrifft — es gibt außer uns auch keine anderen Gruppen in der Gesellschaft, die Visionen aufzeigen. Wer weiß denn schon, wohin sich etwa die Arbeitsgesellschaft entwickelt? Und vom ÖGB zu verlangen, er soll beispielsweise unter dem Stichwort Flexibilisierung einfach alles andere vergessen zugunsten neuer Strömungen und Gedanken, das wird bei uns nicht gehen.

FURCHE: Sie meinen, es fehlen die Visionen. Aber Wissenschafter haben schon Vorstellungen einer zukünftigen Informationsgesellschaft entworfen. Sie prognostizieren den Gewerkschaften dabei auch einen schwindenden Einfluß.

.VERZETNITSCH: Hier haben wir eine Vision. Nämlich die, daß jeder in Zukunft einen Arbeitsplatz haben soll. Ich kann allerdings niemandem mehr versichern, daß er ein- und denselben Beruf bis an sein Lebensende ausübt. Die Berufe werden sich viel rascher ändern als bisher.

FURCHE: Sie fordern Arbeitsplätze für alle. Wäre ein Grundeinkommen ohne Arbeit für Sie

VERZETNITSCH: Das ist für mich nur ein Etikett für Sozialhilfe und eine Horrorvorstellung. Für uns ist entscheidend, ob diejenigen, die arbeiten wollen, auch eine Arbeit bekommen.

FURCHE: Wie stehen Sie da zu den vieldiskutierten Sozial-schmarotzem?

, VERZETNITSCH: Statt zu fragen, wer sind eigentlich die Schmarotzer in unserem Land, sollten wir die Energien dafür verwenden, Arbeitsplätze zu schaffen. Ich leugne aber nicht, daß es Sozialschmarotzer gibt, und man sollte auch über die Grenzen der sozialen Sicherheit reden. .

FURCHE: Das Halten von Arbeitsplätzen hat den Gewerkschaften auch den Ruf eingebracht, Verhinderer des technologischen Fortschritts zu sein...

VERZETNITSCH: Das Gegenteil ist der Fall. In den siebziger Jahren haben die Gewerkschaften Rationalisierungsschübe sogar vorangetrieben, um lohnrechtlich auf bessere Qualifikationen zu kommen. Das können Sie in allen Forderungskatalogen vergangener Jahre nachlesen. Heute ist die Sicht zu Rationalisierungsmaßnahmen anders. Nicht, daß wir grundsätzlich gegen neue Technologien sind. Aber die Frage muß diskutiert werden, sind sie sinnvoll oder nicht.

FURCHE: Trotzdem können Sie nicht wegdiskutieren, daß die Gewerkschaften ein negatives Image haben. Was wollen Sie dagegen tun?

VERZETNITSCH: Das Problem liegt in der österreichischen Medienlandtchaft. Man schiebt den Gewerkschaften gerne gesamtgesellschaftliche Entwicklungen mit negativen Auswirkungen in die Schuhe. Es ist aber beispielsweise nicht die Schuld der Gewerkschaft, daß wir in Europa 33 Millionen Arbeitslose haben. Mit uns kann über jede Modernisierungsstrategie geredet werden, wenn auch dem Menschen dabei ein visionärer Zielpunkt angeboten wird und er nicht auf der Strecke bleibt.

FURCHE: Ihre Vorstellungen müssen Sie auch vermitteln in Zukunft. Wie ist Ihr Verhältnis zu den Massenmedien?

VERZETNITSCH: Die Medien sind in unserer schnellebigen Zeit unverzichtbar. Aber in Österreich steht der Skandaljournalismus viel zu sehr im Vordergrund. Ich bin gegen jede Zensur, aber bei den Medien sollte es wie bei den Unternehmern sein. Die werden zur Verantwortung gezogen, wenn sie etwas anstellen. Die Medien nicht. Und andererseits sollten sich die Spitzenfunktionäre darüber im klaren sein, daß sie nicht einfach über die Journalisten Aussagen transportieren können.

FURCHE: Werden Sie daher eine andere Medienpolitik machen? Beispielsweise jenen Zeitungen Interviews verweigern, von denen sie falsch zitiert wurden?

VERZETNITSCH: Bessere Zustände herzustellen, geht nur über das beiderseitige Einverständnis von Politikern und Journalisten. Man müßte vielmehr die Frage nach der Ethik der Journalisten in den Mittelpunkt stellen und die nach der Ausbildung des Nachwuchses.

Mit dem Leitenden Sekretär im OGB und designierten ÖGB-Präsidenten sprachen Hans Peter Halouska und Elfi Thiemer.

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