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Es geht nicht nur um Geld

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„Vielweiberei auf Baten“, „Bis daß euch Broda scheidet“, „Den Harem zahlt die Pensionsversicherung** — die Diskussion um die Scheidungsreform gleitet mitunter ins Kabarettistische ab. Den „Papierehen“ soll es an den Kragen gehen. Wo keine Ehe mehr in der Praxis besteht, soll sie auch amtlich nicht' aufrechterhalten werden. Die Frage ist nur, wer für jene Frauen zahlen soll, die bisher aus Sorge um ihr und ihrer Kinder materielles Wohl die Zustimmung zur Scheidung verweigert haben. Bisher bremsten sie— nun bremsen die Versicherungsexperten, die künftig auch für mehrere Witwen aufkommen sollen. Aus den Beiträgen aller Versicherten, auch jener, die nicht dem Reiz der „Abwechslung“ erlegen sind.

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„Vielweiberei auf Baten“, „Bis daß euch Broda scheidet“, „Den Harem zahlt die Pensionsversicherung** — die Diskussion um die Scheidungsreform gleitet mitunter ins Kabarettistische ab. Den „Papierehen“ soll es an den Kragen gehen. Wo keine Ehe mehr in der Praxis besteht, soll sie auch amtlich nicht' aufrechterhalten werden. Die Frage ist nur, wer für jene Frauen zahlen soll, die bisher aus Sorge um ihr und ihrer Kinder materielles Wohl die Zustimmung zur Scheidung verweigert haben. Bisher bremsten sie— nun bremsen die Versicherungsexperten, die künftig auch für mehrere Witwen aufkommen sollen. Aus den Beiträgen aller Versicherten, auch jener, die nicht dem Reiz der „Abwechslung“ erlegen sind.

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Man täte den verantwortungsbewußten Juristen und Vorkämpfern der Reform unrecht, wollte man ihnen vorwerfen, sie wären an der verzerrten Diskussion schuld. Zur Klarstellung beizutragen, war auch die Absicht des Katholischen Familienverbandes, der dieser Tage zu einer Enquete über die Probleme der Scheidungsreform einlud (auf die einzelnen Beiträge werden wir noch einzugehen haben). Denn gibt es wirklich keine anderen Aspekte im Problem Ehescheidung als das Geld und die Frage, wer zahlen soll?

Eigentlich müßte man ja dankbar sein, daß die Sozialpolitiker, die Versicherungsmathematiker sich am neuralgischen Punkt getroffen fühlten, als ein Problem zur Diskussion gestellt wurde, dessen sozialpolitischer Aspekt nur einer von vielen ist. Wäre es sonst zu so heftigen Auseinandersetzungen, zu einem so starken Engagement der Massenmedien gekommen — zu einem Engagement, das nun auch die andern, vielleicht doch wichtigeren Aspekte mit ins Spiel bringt? Wäre das leichtfertige Auseinandergehen, das allzu leichte „Sagen wir, es war nichts!“ nicht längst als selbstverständlich toleriert (und ausgeübt), wenn nicht der Druck auf den Geldbeutel, die kritischen Kalkulationen der Versicherungsgesellschaften vorhanden gewesen wären? Wer regt sich heute noch auf über Seitensprünge und faktische Vielweiberei ohne Trauschein (und ohne materielle Belastungen)?

Durch die Reform des Paragraphen 55 des Ehegesetzes — zur Zeit ist noch nicht mehr vorgesehen — solle die Scheidung nicht erleichtert werden, versicherte die SPÖ-Abge-ordnete Erika Seda der „Wochen-

presse“. Die Absicht wird anerkannt — aber geht sie nicht an der Wirklichkeit vorbei? Sicher — die Formulierungen des Ehegesetzes haben wohl noch kein verliebtes Paar in seinem Heiratsentschluß positiv oder negativ beeindrucken können. Aber um so mehr doch die Atmosphäre der Umwelt, in der die Formel „Bis daß der Tod euch scheidet“ schon längst nicht mehr ernstgenommen wird. Der Staat machte es schon lange möglich, und Christian Broda macht's nun zwar nicht billiger, aber doch glatter — und damit doch wohl auch leichter für den Entschluß. Muß das die Atmosphäre nicht noch weiter gegen die Ehe beeinflussen?

Niemand denkt daran, die kanonische Unauflöslichkeit des Ehebandes auch jenen Menschen aufzwingen zu wollen, für die die Kirche keinen Gewissensfaktor darstellt. Niemand denkt daran, die Möglichkeit einer Ehescheidung im staatlichen Recht grundsätzlich ausschalten zu wollen. Aber sie müßte Notrecht bleiben, sie dürfte nicht zum Willkürakt werden.

„Verschuldensprinzip“, „Zerrüttungsprinzip“ — das ist eine Frage des Ehemodells, meint der Wiener Rechtslehrer Fritz Schwind. Gerade aber dann, wenn die Ehe als gelebte Gemeinschaft, nicht nur als bürgerlich-rechtlicher Vertrag aufgefaßt wird (dieser Auffassung entspricht beim Scheitern . der Zerrüttungsgedanke), müßte alles vermieden werden, was diese Gemeinschaft in Gefahr bringen kann — auch im Rechtsbereich.

Die Psychiater, die Sozialpsychologen wissen längst ein Lied von den Folgen zerrüteter Ehen für den Einzelmenschen wie für die Gesellschaft zu singen. Die Lehrer können täglich

an ihren Schülern testen, was es heißt, die Kinder die Tragödie zerstrittener Eltern miterleben zu lassen. Die Erzieher in Heimen und Jugendstrafanstalten müssen das Strandgut gescheiterter Bettgemein-schaften auffangen. Zweifellos ist die Scheidung hier oft der einzige Ausweg. Aber wäre nicht manche dieser Ehen von Anfang an vermieden worden, wenn es nicht so leicht ginge, sie wieder rückgängig zu machen — vielleicht sogar leichter in der öffentlichen Meinung als in der juridischen Wirklichkeit?

Sicher — es kann nicht Aufgabe der Juristen sein, über den rechtlichen Bereich hinaus das „gesellschaftliche Übel“ der Scheidung zu beeinflussen. Es geht um die Grundfragen der Familie und damit um vielleicht das wesentlichste Element unseres Gesellschaftsbildes. Jede Lockerung im Bewußtsein, in der Überzeugung von der notwendigen Dauerexistenz der Ehe trifft die Familie und damit die Gesellschaft am innersten Nerv. Es geht nicht so sehr um die Reform des Eherechts, es geht um die Reform der Gesinnung! Hier sind die Psychologen, Pädagogen, Soziologen und nicht zuletzt die Seelsorger aufgerufen, mitzuwirken — aber die Juristen dürften ihnen ihr Bemühen nicht erschweren. Das Bewußtsein, die Überzeugung von der Unverrückbarkeit der Feststellung, daß wirklich erst der Tod scheidet, müßte auch in Krisen die Kraft geben, mehr Rücksicht auf den Partner zu nehmen und gemeinsam neu zu beginnen.

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