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Es geht um Camuntum

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Können Sie sich das Gesicht einer Archäologin vorstellen, wenn plötzlich neben ihrer Grabungsstelle ein Bagger auftaucht und beginnt, ohne Rücksicht auf antike Mauerreste das Erdreich aufzuwühlen? Ahnen Sie, was sie empfindet, wenn vor ihren Augen kostbare Mosaikböden durch die Luft gewirbelt werden?

Können Sie sich vorstellen, was in einem Archäologen vorgeht, der gerade das bedeutendste Heiligtum einer römischen Provinz freigelegt hat und befürchten muß, daß in Kürze dieses auf einem Berg gelegene Heiligtum einem Steinbruch zum Opfer fallen wird, wobei im günstigsten Fall die interessantesten Funde an anderer Stelle ausgestellt werden können, aber das Bergheiligtum als solches verloren ist?

Wenn Sie sich in die Lage der beiden Wissenschafter versetzen können, sind Sie in der richtigen Stimmung, um sich auf das Thema Car-nuntum einzulassen. Denn um Car-nuntum, der bedeutendsten römischen Siedlung im heutigen Ostö-sterreich, geht es. Dort mußten und müssen Archäologen die eingangs geschilderten Erfahrungen machen.

Die archäologische Zone von Car-nuntum, etwa acht Kilometer lang und bis zu vier Kilometer breit, reicht vom Gebiet des Kurortes Bad Deutsch Altenburg im Osten bis westlich des Nachbarortes Petronell. Das „Pompeji vor den Toren Wiens", wie es der berühmte Althistoriker Theodor Mommsen nannte, ist, obwohl schon sit mehr als 100 Jahren Schauplatz systematischer Ausgrabungen, noch keineswegs annähernd vollständig erforscht.

Camuntum ist nach wie vor mehr als ein beliebtes Ausflugsziel für Wiener Schulklassen, die gerade mit Latein begonnen haben. Es ist mehr als ein Ort von Routinegrabungen. Camuntum ist „noch immer ein archäologisches Abenteuer", wie es der Wissenschafter Manfred Kandier in der Zeitschrift „morgen", die sich bereits der Anliegen der in Camuntum tätigen Forscher annahm, formulierte. Denn gerade in jüngster Zeit wurden in Camuntum aufsehenerregende Funde gemacht, deren Erhaltung aber leider emsthaft gefährdet ist.

Zunächst handelt es sich bei Car-nuntum vor allem um eines von weltweit nur vier vollständig ausgegrabenen römischen Legionslagern (ein weiteres davon befindet sich er-

freulicherweise auch in Österreich: Lauriacum bei Enns). Insgesamt sind der Forschung derzeit 66 solcher Lager bekannt. Dazu kommen die Zivilstadt und die beiden bedrohten Neuentdeckungen: ein Reiterlager am Ostrand von Petronell und das bedeutendste Militärheiligtum des antiken Pannonien auf dem Pfaffenberg oberhalb von Bad Deutsch Altenburg.

Das Reiterlager war - so der Direktor des österreichischen Archäologischen Instituts, Univ.-Prof. Hermann Vetters - im Voijahr die große Sensation bei einem Archäologenkongreß in Schottland. Denn neben einem Legionsstandort ist ein solches zweites Lager sehr ungewöhnlich. In diesem Lager war die 500 Mann starke „ala I Thracum" untergebracht.

Als die Wissenschafter auf Grund einer alten Luftaufnahme das Reiterlager entdeckten, war das Gebiet bereits zur Verbauung freigegeben und mit dem Bau begonnen worden (ohne daß die Bauführer antike Funde gemeldet hätten). Immerhin konnte über das Bundesdenkmalamt eine Aufschiebung der Bauarbeiten erreicht werden, um den Archäologen Zeit für Notgrabungen zu geben.

Daß diese Notgrabungen, gleichsam mit den Baggern im Nacken, nicht mit der gleichen Wissenschaftlichkeit wie Plangrabungen durchgeführt werden können, ist klar. Alles muß möglichst schnell gehen, die Archäologen können gerade aufgraben, die wichtigsten Funde bergen und müssen dann das Feld räumen. Dabei wäre vor allem das außerordentlich gut erhaltene Bad des Reiterlagers sehr gut zur Konservierung geeignet.

Ebenfalls zur Konservierung geeignet wäre der Pfaffenberg, wo sich gleichsam die „Akropolis von Car-nuntum" befand, ein ausgedehnter Tempelbezirk mit Dutzenden ■ Altären, mit Denkmälern der Kaiser Hadrian und Mark Aurel, mit einem kultischen Theaterplatz und vielen Besonderheiten.

Als Hauptgottheit wurde hier Jupiter mit einem mit K beginnenden Beinamen verehrt. Die Archäologen glauben, dies als „Karnuntinus" interpretieren zu können, was das Heiligtum noch mehr aufwerten würde. Regimentsfeiertag war der 11. Juni, weil sich am 11. Juni 172 auf Grund des sogenannten „Regenwunders" die Römer vor einer Niederlage durch die Germanen retten konnten.

Die Archäologen betonen immer wieder die verständnisvolle Haltung des Besitzers der Hollitzer-Werke, dem der Pfaffenberg gehört. Er hat die Ausgrabungsarbeiten unterstützt, aber nun wird sein Steinbruch bald den Tempelbezirk schlucken. Die Einstellung des Steinbruches aber würde ein Vermögen und zahlreiche Arbeitsplätze kosten.

Hier tut sich ein echtes Dilemma auf, aber in den anderen Punkten sind die Wünsche der Archäologen zu unterstützen: mehr Zeit und mehr Geld für Notgrabungen; härtere Sanktionen, wenn Funde nicht gemeldet oder womöglich sogar illegal ins Ausland veräußert werden (vor einigen Jahren tauchte beispielsweise ein nachweislich aus Camuntum stammender Bronzekopf des Kaisers Alexander Severus in Deutschland auf); ein „Dach über dem Kopf, nämlich Depot- und Arbeitsräume, damit Funde geborgen und restauriert werden können (bei Schlechtwetter muß derzeit jegliche Arbeit ruhen, das Museum in Deutsch Altenburg ist überfüllt); schließlich die Konservierung des Bades im Reiterlager.

Daß aufstrebende Gemeinden gerne Baubewilligungen erteilen, ist ihr gutes Recht. Sie sollten sich aber gut überlegen, ob dies das Opfer möglicher weiterer Fremdenverkehrsattraktionen - und das sind die Funde von Camuntum zweifellos - wert ist. Und alle Betroffenen, Archäologen, Gemeinden, Land und Bund, sollten sich einmal zusammensetzen und überlegen, ob es nicht geradezu ein nationales Anliegen (in der Größenordnung der gewiß nicht billigen Erhaltung der Bundestheater) sein müßte, die Ausgrabungen an einem kulturhistorisch so bedeutsamen Ort wie Camuntum optimal zu fördern.

Wer von den Entscheidungsträgern hier lahm und zu bürokratisch agiert, dem möge in Alpträumen des öfteren Kaiser Mark Aurel erscheinen und ihn immer wieder mit dem Ruf quälen: „Barbare, Barbare, gib mir mein Camuntum wieder!"

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