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Es geht um das Vorfeld des Terrorismus

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Die Entführung des Westberliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch die Anarchistengruppe „Bewegung 2. Juni“ hat auf die Verantwortlichen in der Politik, aber auch auf die gesamte Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und in Westberlin wie ein Schock gewirkt. Ein Schock, der zunächst ein fieberhaftes, an der Befreiung von Peter Lorenz orientiertes Tun auslöste; aber mit Sicherheit das wahre Ausmaß des Schadens für die Bundesrepublik erst in den kommenden Tagen und Wochen zeigen wird. Die zahlreichen Ansatzpunkte für die politischen Konflikte, die der Fall Lorenz in sich birgt, wurden zunächst durch eine in der Not zustande gekommene Allparteien-Koalition überdeckt.

Wie lange die während der Tage der akuten Bedrohung des Lebens von Peter Lorenz viel beschworene „Solidarität aller Demokraten“ an- halten wird, ist mehr als fraglich. Zwar hat sich die CDU hinter die umstrittene Entscheidung, den Forderungen der Entführer nachzugeben, gestellt, doch dringen aus den Kreisen der Opposition bereits Töne in die Öffentlichkeit, die erwarten lassen, daß der Fall Lorenz das politische Klima in der Bundesrepublik auf Monate hin beeinflussen wird.

Der CSU-Chef Franz Josef Strauß hat die seiner Meinung nach bei Polizei und Regierung im Fall Lorenz aufgetretene Hilflosigkeit beklagt. Ein ihm nahestehender Politiker, der hessische CDU-Vor sitzende Alfred Dregger, hat den Ruf nach der Todesstrafe laut werden lassen, darin unterstützt von dem Ex justizminister Jäger von der CSU, der seinem Spitznamen „Kopf-ab-Jäger“ damit wieder gerecht wurde.

Die gesamte Opposition aber, und mit ihr weite Teile der Bevölkerung, beklagen — über den konkreten Entführungsfall hinaus —, daß in der Bundesrepublik und West-Berlin überhaupt eine Situation entstehen konnte, in der sich Anarchisten und Terroristen der äußersten Linken zu einer den Staat völlig lähmenden Aktion aufschwingen konnten.

Wenn auch einer jüngsten Blitzumfrage zufolge die Mehrheit der Bevölkerung das Nachgeben gegenüber den Entführern billigt, so haben nunmehr doch jene Kräfte Auftrieb erhalten, die ein entschiedeneres Handeln der Regierung im Vorfeld des Terrorismus verlangen. Als prononciertes Sprachrohr dieser Gruppe kann die Springer-Zeitung „Die Welt“ gelten, die ein Ende der „laschen Liberalität“ verlangt und vom „Ende der Lauheit und permissiven Nachgiebigkeit“ spricht.

Eine Debatte in der Bundesrepublik über die innere Sicherheit ist zu erwarten, gegen die jene in den heißesten Zeiten des Baader-Mein- hof-Terrors nur ein Vorgeplänkel war. Der Anlaß für die Auseinandersetzung ist diesmal in der Tat noch ernster zu nehmen. Denn ging es zur Zeit des Bombenterrors doch „nur“ um punktuelle Gewaltverbrechen, so wird mit einer Entführung ä la Lorenz der gesamte Staatsapparat von den Terroristen ausgeschaltet. Eine Handvoll Folit-Krimi- neller zeigt, daß sie imstande ist, die Führung des mächtigsten Landes Westeuropas lahmzulegen, den Rechtsstaat zu beugen, und die Hilflosigkeit der etablierten Ordnung zu demonstrieren.

Dazu kommt, daß die Befreiungsaktion für die Baader-Meinhof-Leute gefährliche internationale Beispiel folgen haben kann. Sowohl kriminelle wie politische Terroristen haben geradezu einen Leitfaden erhalten, wiie sie Erpressungen an jedem Platz der Erde ausführen können, vor allem aber jetzt auch in westlichen Industriestaaten. Die Ideologie hinter der Aktion hat eine Dimension, die ohne historische Parallele dem Anarchismus eine Chance gegen den zivilisierten Staat bietet wie nie zuvor. Selbst ohne Sukkurs aus der Bevölkerung dürfte es auch den Black-Panthers, der irischen IRA, den italienischen Bombenwerfern und südamerikanischen Stadt-Guerilleros in Zukunft möglich sein, das gleiche zu unternehmen wie das Westberliner Kommando.

Die Sicherheit von Politikern ist darüber hinaus nicht drastisch zu erhöhen. Auch schon der Bürgermeister einer Kleinstadt ist ein präsumtives Erpressungsmittel, Minister, ja selbst Regierungschefs sind in Wahlkämpfen nur beschränkt schützbar. Von einem skifahrenden persischen Schah ganz zu schweigen.

Wie immer die Affäre Lorenz auch ausgehen wird, so wird sie einen markanten Einschnitt hinterlassen. Erst seit diesen Tagen ist die Frage der inneren Sicherheit auch in zivilisierten Ländern Europas zu einer politischen Hauptfrage eskaliert.

Die dubiosen Rufer nach „Law- and-order“ werden nunmehr Kampagnen mit dieser Standardwaffe der Argumentation glaubwürdig immer mehr anblasen — als ob Polizisten allein den Rechtsstaat wiederherstel- len könnten. 1

Schon in den letzten Wochen allerdings ist die Haltung der Bonner Regierung gegen die Gruppen der Linken härter und unnachgiebiger geworden. Dje anhaltenden Wahlniederlagen vor Augen und sicher auch aus Überzeugung, steuert die Regierung Schmidt-Genscher einen neuen, entschiedeneren Kurs. Selbst in Hochburger der Linken, wüe in Hessen, werden jetzt etwa bed der Einstellung von solchen Lehrern, die linker Kontakte und Aktivitäten verdächtigt werden, äußerst strenge Maßstäbe angelegt. Selbst die jedem Terrorismus fernstehenden, aber auch zur SPD distanzierten Jusos bekommen kräftigen Gegenwind. Auf ihrem jüngsten Kongreß, der ausgerechnet mit dem Wochenende der Lorenz-Entführung zusammenfiel, las ihnen Willy Brandt die Leviten und der extrem linke, de facto kommunistischen Theorien verpflichtete Juso-Flügel erlitt eine schwere Niederlage.

Nach den Vorgängen von Berlin kann angenommen werden, daß sich die Tendenzen zur Eindämmung des Linksextremismus verstärken werden. Dabei werden Schmidt und seine Partei sicher selbst sehr aktiv sein. Schon allein aus Gründen des politischen Überlebens können sie sich jetzt keine Handlungen erlauben, die auch nur äußerlich nach Duldung des Extremismus aussehen. Ob allerdings damit für die sozialliberale Regierung noch etwas zu retten ist, muß bezweifelt werden. Die Wahlen von Berlin waren ein Menetekel.

Der Abwärtstrend für die Sozialdemokraten ist ungebrochen, die kommenden Landtagswahlen und auch die Bundeswahlen sind schon heute für SPD und FDP verloren. Ob diese politische Situation endgültig grünes Licht für einen Kanzler Franz Josef Strauß gibt, bleibt abzuwarten.

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