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Es geht um das Wort

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Ursprünglich wollte Schönberg ein religionsphilosophisches Oratorium schreiben, das auf 3 Kapiteln des 2. Buches Mose (Exodus) beruht. Es geht, da und dort, um die Erkenntnis des einzigen, unsichtbaren, unvorstellbaren Gottes, den Moses seinem Volk nahebringen will. Aber Moses ist des Wortes nicht mächtig. Er braucht zur Verkündigung seinen Bruder Aron, den Sprecher, Magier, Wundertäter und Volksfreund. Moses repräsentiert das geistige Prinzip, den Gedanken, den reinen, strengen Glauben, das Gesetz, die Gerechtigkeit. Dieser dramatische Gegensatz mag in der Vorstellung Schönbergs so stark geworden sein, daß sich ihm eine szenische Form aufdrängte, zumal ja noch eine dritte Kraft ins Spiel kommt: das Volk, um dessen Heil es geht, zunächst Objekt der gegensätzlichen Kräfte, später selbst Partei ergreifend, handelnd und dem Götzenbild, dem Goldenen Kalb prgiastisch huldigend.

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Ursprünglich wollte Schönberg ein religionsphilosophisches Oratorium schreiben, das auf 3 Kapiteln des 2. Buches Mose (Exodus) beruht. Es geht, da und dort, um die Erkenntnis des einzigen, unsichtbaren, unvorstellbaren Gottes, den Moses seinem Volk nahebringen will. Aber Moses ist des Wortes nicht mächtig. Er braucht zur Verkündigung seinen Bruder Aron, den Sprecher, Magier, Wundertäter und Volksfreund. Moses repräsentiert das geistige Prinzip, den Gedanken, den reinen, strengen Glauben, das Gesetz, die Gerechtigkeit. Dieser dramatische Gegensatz mag in der Vorstellung Schönbergs so stark geworden sein, daß sich ihm eine szenische Form aufdrängte, zumal ja noch eine dritte Kraft ins Spiel kommt: das Volk, um dessen Heil es geht, zunächst Objekt der gegensätzlichen Kräfte, später selbst Partei ergreifend, handelnd und dem Götzenbild, dem Goldenen Kalb prgiastisch huldigend.

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An eine Realisierung auf der Bühne hat Schönberg nicht gedacht, genauer: er hätte sie sich vielleicht gewünscht, aber er hatte keinen Glauben daran. Dies ist wohl der tiefere Grund dafür, daß er die in den Jahren 1930 bis 1932 geschriebene Partitur nicht vollendete und den Text des 3. Aktes nicht mehr komponierte. Darin sollte Moses den Glauben an seine Sendung wiederfinden, Aron freilassen und in einer großen Schlußansprache den wahren Glauben verkünden. Möglich, daß Schönberg diesen Schluß auch zu „normal“, zu konventionell, zu versöhnlich fand. So endet der komponierte 2. Akt mit den Worten des Moses: „So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, und kann und darf nicht gesagt werden! O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ Später äußerte sich Schönberg dahin, daß man den 3. Akt eventuell ohne Musik, bloß gesprochen, aufführen möge, falls er die Kompositionen nicht vollendet.

Man sieht aus alldem, wie unschlüssig Schönberg selbst diesem Werk gegenüber war. Lediglich was den musikalischen Teil betrifft, wußte er genau, was er wollte und schrieb eine vielschichtige Partitur von rücksichtsloser Kompliziertheit, die einen Apparat von etwa 300 Mitwirkenden zu ihrer Realisierung erfordert. Was vom Chor, den Protagonisten und den übrigen Sängern, was vom Orchester und vom Ballett verlangt wird, ist eine Herausforderung an das zeitgenössische Musiktheater, ja seine Infragestellung. Die Stimme aus dem Dornbusch zum Beispiel ist zusammengesetzt aus sechs gesungenen Stimmen und einem vielfach gespaltenen Sprechchor. Letzterer soll durch mehrere auf die Bühne verteilte Mikrophone übertragen werden. Dies und vieles andere kann erst heute mit Hilfe elektroakustischer Mittel verwirklicht werden, die Sohönbeirg prophetisch vorausahnte.

Vielleicht haben gerade diese enormen Schwierigkeiten — natürlich auch der religiös-ethische Stoff — seit der konzertanten Uraufführung am 12. März 1954 in Hamburg zu einer szenischen Realisierung gereizt. Sie erfolgte, unter Hans Ros-bauds Leitung, am 6. Juni 1957 in Zürich. Da ein Teil des Zuschauerraumes umgebaut werden mußte und das Schauspielhaus sich in horrende Ausgaben stürzte, kam es zu schweren Kontroversen zwischen der Direktion und der Stadtverwaltung. — Eine „klassische Inszenierung“ präsentierte 1959 die Deutsche Oper Berlin (Regie: Seilner, Dirigent: Scherchen, Ausstattung durch den von Picasso geförderten Michel Raf-

faelli). Diese Produktion sahen wir am 13. und 14. Oktober 1960 auch in Wien. Die folgenden Aufführungen haben wir in dem Artikel „Nach den Teufeln — Moses“ in Nr. 16 der „FURCHE“ vom 21. April aufgezählt. Nun folgt also Wien als siebente Stadt mit einer eigenen Produktion, und zwar ohne den 3. Akt, dem seinerzeit Scherchen die Musik zur Dornbuschszene unterlegt hatte.

Regisseur Götz Friedrich, unterstützt bzw. im Stich gelassen von Rudolf Heinrich (Bühnenbilder, Kostüme) und dem Choreographen Erich Walter will nicht „historisch illustrieren“, sondern, der geistigen Optik des Werkes entsprechend, drei zeitliche Ebenen bewußt machen: die legendäre Stoffwelt, die Entstehungszeit der beiden ersten Akte (also den Beginn der dreißiger Jahre) und den Zeitpunkt der Inszenierung 1973. In dem sehr reichhaltigen und sorgfältig redigierten Programmheft finden sich denn auch zahlreiche interessante, vor allem farblich ansprechende Entwürfe. Aber was wir gleich im ersten Bild zu sehen bekommen, ist eine Art Großgarage mit fünf Reihen an der Decke befestigter Lampen und einer grell beleuchteten Butzenscheibenwand als Hintergrund. Das Goldene Kalb steht im letzten Bild keineswegs im Mittelpunkt, wo es hingehört, sondern ragt von oben mit seinen vier Gliedmaßen, die gleichzeitig als Scheinwerfer benützt werden, in die Szene. Die Kostüme der „Ältesten“, der vier Jungfrauen, der Schlächter u. a. zeigen kaum Merkmale der vom Regisseur erwähnten Epochen, und die zwölf Stammesfürsten mit ihren Pelzmänteln schienen wie' aus dem Mittelalter, und zwar aus dem russischen, hier hereingeschneit. Die Choreographie war völlig unsinnig und erhielt eine dubiose Pointe nur durch einige splitternackte junge Damen (die aber nicht zum Opernensemble gehören). — Alles Optische war von geradezu exemplarischer Häßlichkeit und entbehrte jeder Logik, jedes Konzepts.

Um so besser war es mit dem musikalischen Teil dieser Aufführung bestellt. Seit September des vergangenen Jahres fanden unter der Leitung von Norbert Baiatsch und Helmuth Froschauer Proben mit dem Staatsopernchor, einem Zusatzchor und Mitgliedern des Singvereins statt, und während der letzten acht Wochen gab es ungezählte Einzel- und Ensemble-Repetitionen. Christoph von Dohnanyi hat allem den letzten Schliff gegeben und eine untadelige Aufführung mit Umsicht und Energie geleitet. Die Titelpartie sprach rhythmisch (aber ohne sich an die Schönbengsche „melodische“ Notation zu halten) Rolf Boysen, und wir machen dem hierfür Verantwortlichen keinen Vorwurf. Sven Olof Eliasson sang mit Ausdruck, wenn auch nicht gerade mit der vorgeschriebenen Tenorkantilene, die Partie des Aron. Aus dem Ensemble der Staatsoper waren etwa vier Dutzend Solisten aufgeboten, die hier nicht einzeln aufgezählt werden können. Am Ende des 2. Aktes wurden mit Recht die Protagonisten, die Chöre und das gut studierte Orchester etwa 10 Minuten lang stürmisch gefeiert. Es gab vor Beginn der Aufführung sogar lebhaften Applaus, der wohl dem Unternehmen als solchem und dem großen Sohn Wiens, Arnold Schönberg, galt. Es soll auch vermerkt werden, daß sich mehrere Minister und Parteiobmänner die Gelegenheit nicht entgehen ließen, dieses als besonders schwierig charakterisierte Werk kennenzulernen und ihr Interesse für eine Novität zu dokumentieren.

Leider finden wir noch dieser Aufführung bestätigt, was wir einige Wochen vorher an dieser Stelle geäußert haben: daß nämlich nach Bekanntwerden der für die Regie und die Ausstattung Herangezogenen eine konzertante Aufführung einen tieferen Eindruck des bedeutenden Werkes vermittelt hätte...

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