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Es geht um die Existenz

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Nach einem bei uns tief verwurzelten Klischee hätten die arabischen Moslems den Islam „mit Feuer und Schwert“ verbreitet und jeden vor die Wahl gestellt: „Glaub oder stirb!“ Wenn dem so gewesen wäre, könnte es eigentlich in den arabischen Ländern keine Christen mehr geben. Es handelt sich bei dieser Vorstellung um eine Begriffsverwirrung. Die Moslems haben wohl die islamische Herrschaft „mit Feuer und Schwert“ theoretisch über die ganze Welt auszudehnen versucht, weü sie überzeugt waren, auf diese Weise das „Reich Gottes“ auszubreiten.

Aber innerhalb des islamischen Gemeinwesens gewährten sie dem „Volk des Buches“ (arabisch: ahl-ul-ki-tab), d. h. den Anhängern einer von Gott in einem heiligen Buch geoffenbarten Religion, so den Christen und den Juden, im wesentlichen Religionsfreiheit. Freilich konnten die Nicht-Moslems nicht Bürger des islamischen Gemeinwesens sein, weil sie dessen Grundlage, das im Koran „geoffenbarte“ Gesetz Gottes, nicht anerkannten.

Sie waren geduldete, „beschützte“ Beisassen (arabisch „Dhimmi“), deren Lage im Lauf der Zeit durch die weitere Ausbüdung des islamischen Rechts durch die Juristen immer schwieriger wurde. Daher der allmähliche Rückgang der Zahl der Christen in den arabischen Ländern.

Der Libanon ist ein Sonderfall. Hier hielten sich lange Christen und Moslems ungefähr die Waage. Durch die Masseneinwanderung palästinensischer Flüchtlinge ist dieses Gleichgewicht gestört worden. Gemäß dem nach Erlangung der vollen Unabhängigkeit (1943) abgeschlossenen Nationalpakt zwischen Christen und Moslems muß der Präsident immer ein Christ, und zwar ein Maro-nit, sein, der Ministerpräsident dagegen ein Moslem.

Die Existenz der maronitischen Kommunität geht auf eine Spaltung innerhalb des Patriarchats von Antiochien zurück, die mindestens zu Beginn des 8. Jahrhunderts schon bestand und auch dogmatische Gründe hatte. Der Name „Maroni-ten“ leitet sich von einem heüigen Eremiten Maron her, an dessen Grab, am Orontes in Syrien, zu Beginn des 5. Jahrhunderts ein „Kloster des hl. Maron“ gebaut wurde. Die Christen, die dort lebten und von den Mönchen des Klosters betreut wurden, nannte man „Maroniten“.

Die Maroniten wählten sich zur Zeit einer langen Sedisvakanz des

Patriarchats von Antiochien zu Beginn des 8. Jahrhunderts einen eigenen Patriarchen, den sie auch beibehielten, als sich die Mehrheit der Gläubigen wieder einen Patriarchen geben konnte. Diese Mehrheit wurde „Melkiten“ genannt, weil sie es mit dem Kaiser von Byzanz (arabisch „Malek“) hielten. Wenn auch bei dieser Spaltung dogmatische Gründe eine Rolle spielten, so folgt daraus nicht, daß die Maroniten Häretiker waren, und auch nicht, daß sie in bewußten Gegensatz zu Rom traten.

Inzwischen hatten sie sich längst, weü von ihren Gegnern bedroht, aus der syrischen Ebene in die schwer zugänglichen Berge des Libanon zurückgezogen, wo sie zu einem zahlreichen Volk herangewachsen waren, Volkstum und Religion waren ihnen aufs engste verbunden. In ihrer Bergfeste konnten sie sich unter ihren Patriarchen als religiös-bürgerlichem Oberhaupt als autonome Gruppe behaupten, welche politischen Mächte auch in der Ebene herrschen mochten.

„Es gibt eine ganze Reihe christlicher Gruppen im Libanon, und ihre Beziehungen untereinander sind nicht immer die besten.“

Sie waren so die einzige christliche Kommunität im Machtbereich des Islams, die nie den dort üblichen Status einer „beschützten“ Minderheit von bloß geduldeten Beisassen akzeptiert hatte. Das ist die für die Maroniten charakteristische Identität, die sie nicht preisgeben wollen. Ohne diesen historischen Hintergrund sind die Ereignisse im Libanon nicht zu verstehen.

Den Maroniten ist die starke Position der Christen im Libanon, die in der ganzen arabischen Welt einzig dasteht, zu danken. Sie sind zwar die zahlreichste, aber nicht die einzige christliche Kommunität im Libanon und in Syrien. Es gibt eine ganze Reihe christlicher Gruppen dort, und ihre Beziehungen untereinander sind nicht immer die besten.

Das heutige Territorium Syriens und des Libanons gehört zu dem des alten Patriarchats von Antiochien, das natürlich ursprünglich nur einen einzigen Patriarchen hatte. Heute dagegen gibt es nicht weniger als fünf Patriarchen, die den Titel von Antiochien führen. Drei von ihnen stehen

mit Rom in Gemeinschaft und zwei nicht. Von einer Spaltung des Patriarchats haben wir schon gesprochen.

Ihr war bereits eine andere vorausgegangen, verursacht durch die Ablehnung des Konzils von Chalkedon (451) vor allem durch den Syrisch sprechenden Teil der Bevölkerung des Patriarchats. Die Nachkommen der alten Gegner von Chalkedon nennen sich heute „Orthodoxe Syrer“. Ihr Patriarchat residiert in Damaskus.

Ihnen stehen die „Orthodoxen Griechen“ (arabisch: „Rum Orthodox“) entgegen, die Nachkommen der zur Zeit von Chalkedon Griechisch sprechenden hellenisierten Bewohner vor allem der Städte. Sie gehören zur großen Familie der byzantinischen Orthodoxen.

Die beiden weiteren katholischen Patriarchate von Antiochien sind durch den Ubertritt eines Teiles der Gläubigen des „griechisch-orthodoxen“ und des „syrisch-orthodoxen“ Patriarchats zur katholischen Kirche, vom 17. Jahrhundert an, entstanden. Der „griechisch-katholische“ oder „melkitische“ Patriarch residiert in Damaskus, der „syrisch-katholische“ in Beirut Der historische Name „Melkiten“ wird heute nur für die katholischen Anhänger des byzantinischen Ritus im Nahen Osten gebraucht.

Die Verwirrung wurde noch gesteigert durch die Zuwanderung von Gläubigen anderer Patriarchate in den Raum Syrien-Libanon. Hierhin gehören die Armenier und die Angehörigen der alten ostsyrischen Kirche Persiens. Die Nichtkatholiken unter ihnen nennen sich heute „As-syrer“, die Katholiken „Chaldäer“. Der Patriarch der katholischen Armenier residiert in Beirut, der „Ka-tholikos“ (= allgemeiner Oberer) der nichtkatholischen in Antelias bei Beirut.

Zu guter Letzt sind noch die lateinischen Katholiken - meist Ausländer - zu nennen, die auf dem Territorium des Patriarchats von Antiochien ihre eigene, nur Rom unterstehende Hierarchie haben.

Gegen die palästinensischen Freiheitskämpfer und die Armee Syriens schlagen sich im Libanon Christen, besonders Maroniten, in der Uberzeugung, die nackte Existenz der Christen in ihrem Lande zu verteidigen. Das läßt ahnen, wie verworren und schwer durchsichtig die ganze Situation ist.

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