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Es geht um die Freiheit

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Wien, 22. Oktober: 7.000 bilden eine Menschenkette, 100.000 (nach Angabe der Organisatoren) marschieren zum Rathausplatz. Friede in Freiheit und Gerechtigkeit ist das Ziel.

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Wien, 22. Oktober: 7.000 bilden eine Menschenkette, 100.000 (nach Angabe der Organisatoren) marschieren zum Rathausplatz. Friede in Freiheit und Gerechtigkeit ist das Ziel.

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Wo es um Frieden geht, geht es um Freiheit, da muß es auch um Gerechtigkeit gleichzeitig gehen; um Gerechtigkeit als Anerkennung und Sicherung der Grundrechte des menschlichen Lebens.

Friede und Freiheit, Friede und Gerechtigkeit gehören zusammen, wenn Friede nicht vordergründig gemeint ist, wenn er nicht zum modischen Vorwand für an-

deres dient, etwa der Durchsetzung einer Ideologie, der Propagierung eines parteipolitischen Wollens, und durch diese Täuschung geradezu Unfrieden stiftet.

Wenn man den Zusammenhang von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit sieht, dann erweist sich die Forderung nach Frieden schließlich in der Forderung nach definierter Humanität. Die Sorge für ihre Entfaltung ist identisch mit der Sorge für den Frieden.

Deshalb muß eine an der Humanität orientierte Gesellschaft des Friedens die Entwicklung zu mehr Humanität stets offenhalten. Wo lebendige Entwicklung im Sinne der Erfüllung von Geschichte unterbunden wird, da ist auch der Friede gefährdet. Friede ist also nicht das Einschwören’auf den bestehenden Zustand, die Konservierung bestehender Verhältnisse; Friede fordert das ständige Bemühen um die besseren Möglichkeiten der Humanität und ihre Weiterentwicklung.

Dabei sind allerdings zwei unabdingbare Forderungen zu beachten: einmal, daß es sich nicht einfach um willkürliche Veränderung handelt, die gar nicht nach den besseren Möglichkeiten fragt, die irrationale Veränderung um der Veränderung will. Etwa, wenn der Wille zu Veränderung seine Absichten verschweigt, weil er sie nicht begründen kann, wenn es zum Beispiel nicht um besser legitimierte Herrschaft geht, sondern nur um deren Wechsel.

Zum zweiten: Diese Entwicklung muß gewaltfrei vor sich gehen. Gewaltfrei bedeutet nicht nur den Verzicht auf groben, physischen Zwang; gemeint ist damit auch der Verzicht auf die sublimen Uberwältigungstechniken im Appell an Opportunismus, im sanften Druck von Mehrheiten und Herrschenden.

Kein Augenblick des individuellen Lebens kann von dem Anspruch des Friedens als Forderung nach Humanität ausgenommen sein, wenn man dem Lebensvollzug nicht das Attribut der Freiheit und Verantwortung nehmen will. Damit ist gemeint, daß jeder Vollzug des Menschseins in seiner ethischen Dignität unter dem Anspruch müßte gesehen werden können.

Politisches Handeln, das dem Frieden zu dienen vorgibt, muß sich von diesem Anspruch der Menschheit leiten lassen: etwa im Gedanken der sozialen Gerechtigkeit, der Beseitigung von den unnötigen Machtstrukturen, insbesondere in den Formen bürokratischer Kontrolle und sublimer Manipulationen, politischer Disziplinierung Andersdenkender, Privilegierung der eigenen Genossen mit Mitteln, die allen gehören, nicht nur einer Partei.

Der Autor ist Ordinarius für Pädagogik an der Universität Wien. Der Beitrag zitiert auszugsweise den Text „Die Idee des Friedens als regulatives Prinzip einer jeden zukünftigen Erziehung” in der Reihe „Vorträge, Berichte, Texte” (Köln, Juli 1983).

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