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Es geht um die Motivierung des Bürgers

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Was vor zwanzig- Jahren in Österreich stattfand, nannten Beobachter aus dem traditionell militanteren Nachbarland Deutschland die „fröhliche Autrüstung“. Es war 1955. Während das Nachkriegsdeutschland,, zumindest die westliche. Hälfte, von der Diskussion um die Wiederbewaffnung geschüttelt und bis an die Grenzen des Zusammenhalts strapaziert wurde, zogen in Österreich die jungen republikanischen Soldaten unter dem klingenden Spiel der kaiserlichen Märsche in die eben von den Besatzern geräumten Städte und Kasernep ein. Während draußen eine tiefschürfende Diskusion um den Wert der Selbstverteidigung geführt und um den neuen Soldatentyp; den „Staatsbürger in, Uniform“, gerungen wurde, beruhigten im Land der Tänzer und Geiger die Klänge des Radetzkymärsches die letzten Zweifler. So wollen es zumindest die stets wohlwollenden Chronisten gesehen, haben. Zwanzig Jahre später schleppt das jüngste Kind der dreißigjährigen Republik allerdings die Hypothek dieses überstürzten Anfangs mit sich.

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Was vor zwanzig- Jahren in Österreich stattfand, nannten Beobachter aus dem traditionell militanteren Nachbarland Deutschland die „fröhliche Autrüstung“. Es war 1955. Während das Nachkriegsdeutschland,, zumindest die westliche. Hälfte, von der Diskussion um die Wiederbewaffnung geschüttelt und bis an die Grenzen des Zusammenhalts strapaziert wurde, zogen in Österreich die jungen republikanischen Soldaten unter dem klingenden Spiel der kaiserlichen Märsche in die eben von den Besatzern geräumten Städte und Kasernep ein. Während draußen eine tiefschürfende Diskusion um den Wert der Selbstverteidigung geführt und um den neuen Soldatentyp; den „Staatsbürger in, Uniform“, gerungen wurde, beruhigten im Land der Tänzer und Geiger die Klänge des Radetzkymärsches die letzten Zweifler. So wollen es zumindest die stets wohlwollenden Chronisten gesehen, haben. Zwanzig Jahre später schleppt das jüngste Kind der dreißigjährigen Republik allerdings die Hypothek dieses überstürzten Anfangs mit sich.

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Dabei wäre Zeit zur Vorbereitung gewesen: nämlich zehn Jahre. Wohl galt es, durch unmilitantes Wohlverhalten die Besatzer bei Laune zu halten — und was hätte den Bemühungen um den Staatsvertrag mehr schaden können, als eine Wiederbe-waffnungsdiskussion? Aber auch in der so erzwungenen Emigration militärischen Denkens fand sich keine Persönlichkeit, keine Gruppe, die zum Nachdenken rief. Während in Deutschland längst der Kreis um die späteren Reformer Baudissin, Kiel-mannsegg und Maiziere bestand, werkten in Österreich, versteckt in der zivilen Verwaltung, geistig Unverletzte.

Für sie, die in der überwiegenden Mehrheit noch vor dem Krieg aus politischen Gründen dem angestammten Beruf entzogen worden waren, galt es, nach eigenen Worten, dort anzuknüpfen, wo man aufgehört hatte — beim Bundesheer der F/rsten Republik. Für sie stellten sich gar nicht die vielen Fragen,1 wie Sie im Nachbarland aufgeworfen wurden. Mit dem „Staatsbürger in Uniform“, dem neuen deutschen Soldatenleitbild, wußte man nichts anzufangen.

Als untrügliches Indiz darf gewertet werden, daß in Österreich kein diesbezügliches Schrifttum existiert.- Zwei Möglichkeiten wären denkbar: entweder bestand diese Problematik hierzulande nicht, oder man löste sie typisch österreichisch, indem das Problem dadurch bewältigt wurde, daß man es nicht zur Kenntnis nahm. Wer dieses Heer kennt, weiß, daß nichts größer ist, als die militärische Skepsis gegenüber großangelegten Reformvorhaben. Offenbar hielt man es auch in dieser Beziehung für richtiger, pragmatisch vorzugehen, unter weitgehendem Verzicht auf die Erarbeitung eigener Modellvorstellungen. Die Entwicklung des Bundesheeres während der folgenden zwanzig Jahre zeigt wie kaum ein anderes Beispiel, daß es auf Dauer keine erfolgreiche Praxis ohne den entsprechenden theoretischen Unterbau gibt. Und weil dieser geistige Unterbau fehlte, wurde zwanzig Jahre lang permanent reformiert und umorganisiert.

Dabei begann 1955 unter Minister Ferdinand Graf alles mit einem ungeheuren Schwung. Bei einer fairen Betrachtungsweise darf nicht unerwähnt bleiben, mit welchem Eifer sich die Soldaten aller Dienstgrade des jungen Heeres an die Aufbauarbeit machten. An eine Vierzigstundenwoche war damals nicht zu denken. Nur so war es möglich, daß dieses junge Heer bereits knapp ein Jahr später seine bisher wohl größte

Herausforderung meistern konnte, den Ungarn-Aufstand 1956.

Dabei kam dem Bundesheer auch die klare Haltung der Politiker zugute. Bei der zweiten müitärisehen Krise, dem CSSR-Einmarsch 1968, war der Anfangsschwung bei Politikern und Militärs bereits gedämpft. Das marschbereite Bundesheer mußte mehr als acht Stunden in den

Kasernen warten, weil unter anderem der Bundeskanzler in seinem Wochenendhaus telephonisch nicht erreichbar war und das politische Mißtrauen der vorangegangenen Koalitionsära dem Staat ein schwerfälliges Entscheidungsorgan aufgezwungen hatte.

Spätestens hier kam auch zum Tragen, daß ein großer Teü dieses Volkes bereits 1955, am Beginn, dem neuen Heer geistig passiv gegenüberstand. Zwar beschworen sozialdemokratische Wehrexperten, wie der aus der Emigration heimgekehrte erste republikanische Staatssekretär für Heerwesen Julius Deutsch, oder Generalmajor Winterer ihre Parteigenossen, beim Aufbau des neuen Heeres nicht abseits zu stehen. Dies weniger, weil man von der absoluten Notwendigkeit des Bundesheeres -überzeugt war, vielmehr aus der Angst heraus, daß ein Heer ohne sozialistische Beteiligung zwangsläufig undemokratisch werden müsse.

Doch die notwendige Demokratiediskussion in und um das Bundesheer wurde von Anbeginn mit verkehrtem Vorzeichen geführt — mit dem schicksalsschwangeren Jahr 1934. Die Brandzeichen der Vergangenheit haben wesentlich dazu beigetragen, daß entscheidende Fragen nie offen ausdiskutiert wurden.

Bereits die Kernfrage des neuen militärischen Instruments, seine Wehrform, erlitt dieses Schicksal. Am Anfang des Bündesheeres stand nämlich der Kompromiß. An sich nichts schlechtes: in der Frage der Wehrreform fand man zwischen reinem Berufsheer, als unglückseligem Modell der Vergangenheit, und dem Milizheer als alten Wunschtraum der Sozialdemokraten, ein Mischsystem.

Als Grundraster wurde die allgemeine Wehrpflicht gewählt, das Heer bekam einen harten Kern von Berufssoldaten, der jedoch voll in die Organisation integriert wurde. Erste Ansätze zu einem MUizsystem schuf erst die Umgliederumg des Jahres 1961, durchgeführt vom damaligen Verteidigungsminister Karl Schleinzer.

Zweiter Kompromißpunkt — die Dauer des Wehrdienstes. Das bürgerliche Lager forderte zwölf Monate, die Sozialisten wollten nur sechs Monaten zustimmen. Man einigte sich auf neun Monate. Wiederum fehlte dieser Entscheidung der gedankliche Unterbau, die Packelei stand im Vordergrund.

Die Alternative: kurze Dienstzeit

— Milizsystem, lange Dienstzeit — stehendes Bereitschaftsheer, wurde erst Jahre später wiederentdeckt. Dies spätestens zu einem Zeitpunkt, als man weder ein stets einsatzbereites Kaderheer, noch eine milizartige Landwehr hatte. Opfer dieser mangelnden geistigen Auseinandersetzung blieb das Bundesheer selbst. Und fast zwanzig Jahre hat man gebraucht, bis ein den geopolitischen Verhältnissen angepaßtes Verteidigungsmodell auch gefunden wurde.

Es sollen hier die Politiker — nach Graf und Schleinzer der ÖVP-Mini-ster Prader und der SP-Minister Lütgendorf — nicht ungeschoren bleiben, der erste Vorwurf trifft dennoch die Fachleute. Sie haben verabsäumt, die Diskussion in den eigenen Reihen zu führen, um sie dann in die Öffentlichkeit zu tragen. In der Praxis legten die militärischen Planer das neue Heer nach ihren Vorbildern an. Das war für die ältere Generation der Offiziere das Heer der Ersten Republik; die jüngeren, militärisch aufgewachsen in der deutschen Wehrmacht, schufen — wie einer aus ihren Reihen selbst zugab

— deren maßstabsgetreues, verkleinertes ModelL Die gedankliche Fehlentwicklung fand in fast allen Bereichen des Bündesheeres ihren Niederschlag. Am kostspieligsten wurde es aber bei der Rüstungsplanung.

Zur Erklärung, ja fast zur EnU schuldigung muß gesagt werden, daß die Startvoraussetzungen ein ungünstiges Korsett schufen, das erst sehr spät abgelegt werden konnte. Die Rüstungsgeschenke der Alliierten beim Start des Bundesheeres haben die Streitkräfte mehr geprägt, als es viele wahrhaben wollen.

Der Schritt zu einem aktuellen und adäquaten Verteidigungsmodell wurde erst getan, als das Scheitern der damaligen Vorstellungen klar zutage trat. So lief auch die Rüstungsbeschaffung, selbst als die heimische Wirtschaft sich dieses Zweiges bereits bemächtigt hatte, noch in den falschen Bahnen des verkleinerten Großmachtheeres. Erst als das Unbehagen der Bevölkerung an der auseinanderklaffenden Schere zwischen der Technik der Großmächte und den Möglichkeiten eines neutralen Kleinstaates die gesamte Wehrbereitschaft in Frage stellte, kam das Umdenken.

Just in den Tagen des Jubiläums erhält das neue Konzept der Raumverteidigung unverdientes Lob. Dies sei dem Schöpfer der neuen Konzeption und seinem Team, dem Armeekommandanten General Spanocchi, nicht mißgönnt. Er war es, der wohl fast als einziger die geistige Auseinandersetzung in diesem Heer provozierte und meist auch führte.

Doch gerade er müßte wissen, wie weit Konzept und Realität voneinander entfernt sind. Worum es in erster Linie nun geht, ist, daß dieses Heer endlich in die österreichische Gesellschaft echt integriert wird. Dabei geht es nicht vordergründig um die von den Militärs erhoffte Erleichterung bei der Bewältigung des Verteidigungsauftrages, es geht auch nicht unbedingt um das Gegenteil. Worum es geht, ist die Motivierung des Bürgers und damit des Milizsoldaten. Bisher ist diese Motivierung nur unzureichend, oft überhaupt nicht gelungen.

Der Zusammenhang zwischen Motivierung und Ausbildungserfolg ist nicht wegzuleugnen. Diese Motivierung, an Hand eines allgemein verständlichen und von der Bevölkerung akzeptierten Verteidigungsmodells, ist der Auftrag für die nächsten Jahre. Die Bewältigung der atomaren Alpträume der neutralen Kleinbürger und ihre Angst, einer Rüstungsmaschinerie der Großmächte hilflos ausgeliefert zu sein, ist spätestens seit dem Ende des Vietnam-Krieges gelungen.

Nun müßten auch die Verantwortlichen ihren geheimen Träumen abschwören und dem Staatsbürger überzeugend neuen Mut für Verteidigungsanstrengungen geben. Mit dem Slogan, die Technik der Großen zu unterlaufen, ist vielleicht ein neuer Beginn gesetzt worden, der vor allem bei der Jugend Fuß fassen könnte.

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