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Es geht um mehr als eine Phrase

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Vertrauensbildende Maßnahmen: ein Zauberwort der jüngsten Friedensdiskussion. Ist das nur eine neue Phrase? Darum geht es ab 9. November wieder in Madrid.

Am 9. November nehmen die Delegationen der 35 Unterzeichnerstaaten der Schlußakte von Helsinki in Madrid einen weiteren Anlauf, um die dort vor nun schon zwei Jahren gestartete Folgekonferenz für „Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) doch noch zu einem glücklichen Ende zu bringen; sprich: sich auf ein (aussagekräftiges) Schlußdokument zu einigen.

Im Mittelpunkt der Beratungen (so diese überhaupt konstruktiv anlaufen) sollte wieder die Frage der Einberufung einer „Konferenz über Abrüstung in Europa" stehen. Was den — ursprünglich französischen — Vorschlag der Einberufung einer solchen Konferenz betrifft, so zeichnete sich bereits vor geraumer Zeit eine Einigung darüber ab, daß eine solche Konferenz in zwei Phasen ablaufen sollte.

Die erste Phase sollte über Vertrauens- (und sicherheits-)bü-dende Maßnahmen" beraten und diesbezüglich konkrete Beschlüsse fassen. Erst die folgende Phase sollte sich den Fragen der Abrüstung selbst zuwenden.

Sind nun „vertrauensbildende Maßnahmen" — um die es in der ersten Phase der künftigen Konferenz gehen sollte — wirklich nur „eine neue Phrase" (FURCHE 25/ 1982)?

Das an sich zu auch nur bescheidener Popularität ungeeignete Wortungetüm (schon gar nicht in der sich möglicherweise abzeichnenden Fassung „Vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen") kennzeichnet einen jener Begriffe, die mit dem Abklingen der (allzu-)gern zitierten „Entspannungseuphorie" zusehends in Verruf zu geraten drohen.

Erstmals tauchte der Begriff der vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM) in einem offiziellen internationalen Dokument in der Schlußakte der KSZE-Konferenz auf. H. Vetschera wies später in einer eingehenden Analyse der Zielsetzungen dieser ersten als solche bezeichneten vertrauensbildenden Maßnahmen (österr. Militärische Zeitschrift, Heft 1/ 77) darauf hin, daß durch solche Maßnahmen vor allem eine Konfliktsautomatik vermieden werden sollte und erwähnt in diesem Zusammenhang die Gefahr von Mißverständnissen und/oder Fehleinschätzungen militärischer Tätigkeiten. Nur eine Phrase oder Ausdruck ganz realer Besorgnisse?

In weiterer Folge begann der anfangs da und dort eher belächelte oder als „billige Scheinlösung" verdächtigte Begriff ganz langsam an Eigengewicht zu gewinnen.

Vertrauen als Voraussetzung konkreter Schritte im Sinne von mehr Sicherheit in Europa - das leuchtete langsam auch Skeptikern ein. Die Verschlechterung des internationalen Klimas insgesamt und die zum Teil recht mangelhafte Befolgung der wenigen bereits konkret beschlossenen VBM durch einzelne Unterzeichnerstaaten schienen in der Folge jedoch den Skeptikern offensichtlich eher Recht zu geben. In diesem Stadium dürften wir uns auch derzeit noch befinden.

Illusionslose Sicht, nicht vorschnelle Resignation tut not; das gilt im übrigen nicht bloß für den Bereich der vertrauensbildenden Maßnahmen, sondern auch ganz allgemein für die da und dort offenbar in Verruf geratene Entspannung.

„Die Entspannung ist tot" - das sagt sich so leicht. Was ist aber die Alternative? Und was ist die Alternative zu „vertrauensbildenden Maßnahmen"?

Vielfach wird übersehen, daß Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen ja nicht etwa „der Gegenseite bereits Vertrauenswürdigkeit (bescheinigten), sondern auf die Ausarbeitung von Maßnahmen abzielen, deren Aufgabe es ist, zu Stabilisa-tion, Verifikation und Einschränkung der Handlungsfreiheit bei beabsichtigtem offensiven Vorgehen beizutragen" (Ehni).

Vertrauen soll „gebildet" nicht bereits vorausgesetzt werden. Konkrete VBM können somit durchaus auch (an Hand ihrer Umsetzung) zu einem Indikator für steigende oder sinkende Vertrauenswürdigkeit des betreffenden Unterzeichnerstaates werden; der Schluß daraus darf aber doch nicht zu Lasten der vertrauensbildenden Maßnahmen selber gezogen werden.

Vertrauen ist schon im persönlichen Bereich keine rührselige Angelegenheit, geschweige denn zwischen Staaten. „Vertrauen hat sehr viel mit Wissen, gegenseitiger Information und Berechen-barkeit des Verhaltens zu tun. Auf Vertrauen beruhende Beziehungen sind umso stabiler und berechenbarer, je mehr Wissen (Information) vorhanden ist. Vertrauensbildung ist also eine Resultante aus Informationsbereitschaft, aus Informationsmenge und -qualität" (Bruns).

Die in der FURCHE (25/1982) vor einiger Zeit zitierte Mahnung Rudolf Weilers, sich nicht von politischen Phrasen terrorisieren zu lassen, kann hinsichtlich der VBM nur dann Relevanz erhalten, wenn deren eigentliche Charakteristik außer Betracht zu rücken droht. Daß eine solche Versuchung nicht ausgeschlossen werden kann, liegt in der Natur der Sache: So zitiert etwa die Europäische Wehrkunde in Heft 11/80 unter Berufung auf das Institut für Internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR die dortige Ansicht, „Fragen einer sogenannten größeren Transparenz würden den Sinn solcher Maßnahmen letztlich in ihr Gegenteil" verkehren, mit derartigen Verfahrensweisen würde lediglich „Mißtrauen gegenüber den friedlichen Absichten des Warschauer Paktes geschaffen". Anderseits deutet aber doch gerade eine derartige Versuchung darauf hin, daß VBM eben doch mehr Gewacht haben dürften, als einer bloßen „neuen Phrase" zukäme.

Immerhin: „fortschreitende Einengung von Ermessensspielräumen und Optionen" und „Eingrenzung und schließliche Bindung der Handlungsfreiheit der Gegenseite" (Ehni), das mag zwar nach frommen Wünschen klingen, trifft aber in Wahrheit den Kern dessen, was vertrauensbildenden Maßnahmen, so sie diesen Namen verdienen sollen, eben eigen ist.

Letztlich ist dies auch nur die Umkehrung dessen, was man selber bei VBM einbringen muß: einen Beitrag zu größerer „Vorhersehbarkeit eigener Politik und Berechenbarkeit für die anderen"; VBM sind in dieser Sicht eben „eine auf Gegenseitigkeit beruhende Informations- und Kommunikationsaufgabe" (Bruns).

In diesem Sinn zählt Alf ord drei verschiedene Arten von VBM auf: „Mit der ersten Art soll es einem Staat schwerer gemacht werden, unbemerkt Kriegsvorbereitungen zu treffen; die zweite Art soll gewährleisten, daß ein Staat für Kriegsvorbereitungen mehr Zeit benötigt; und die dritte Art soll gewährleisten, daß zwischen dem, was gesagt wird, und dem, was getan wird, Ubereinstimmung herrscht." x

Zu bedenken wäre auch, daß derartige Maßnahmen aus ihrer Natur heraus nicht als isolierte Vorgänge angesehen werden dürften, sondern ihre Bedeutung erst im Zusammenhang mit dem eigentlichen Ziel der Rüstungskontrolle und Abrüstung erhalten. ..

Vertrauensbildende Maßnahmen sind sicher sehr viel mehr als lediglich eine „neue Phrase". Sie können es zumindest sein, wenn eine allfällige Fehlentwicklung rechtzeitig erkannt und dementsprechend gegengesteuert wird. Am Fehlen einer auch nur einigermaßen befriedigenden Alternative läßt sich aber abschätzen, daß wir wohl lernen werden müssen, mit so wenig spektakulären und oft genug unbedankten Bemühungen im Vorfeld von Rüstungskontrolle und Abrüstung zu leben.

Oberst Danzmayr ist Kommandant der 9. Panzer-Grenadierbrigade des Bundesheeres.

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