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Es geht um Mord

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Die Bischöfe Österreichs haben sich auf ihrer letzten Konferenz klar und deutlich geäußert: sie lehnen die durch einen Initiativantrag im Nationalrat geplante Neuordnung des Paragraph 144 im österreichischen Strafgesetz ab, die der schwangeren Frau das Recht auf Tötung ihres Kindes in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft einräumen soll.

Die Bischöfe haben ein deutliches und klares Wort gesprochen. Hat man erwartet, daß sie etwa zu einem solchen Gesetz ja sagen könnten — oder hat man gehofft, daß sie vielleicht schweigen würden?

Die Situation ist klar und nicht zu mißdeuten. Eine politische Partei — es ist die derzeitige Regierungspartei

— will das Strafgesetz ändern. Sie hat auf Grund ihrer parlamentarischen Mehrheit die Möglichkeit dazu. Sie hat sich über langjährige Beratungen von Experten ebenso hinweggesetzt wie über einen Entwurf des von ihr verwaltenen Justizministeriums.

Nach Jahrzehnten einer Verbesserung, ja zum Teil Sanierung des Verhältnisses zwischen Kirche und Sozialdemokratie wird offensichtlich — und das von Seiten der SPÖ — eine neue Phase der Beziehungen eingeleitet. Ist das notwendig?

Sollte die Regierungspartei ernsthaft glauben, daß eine Änderung des Paragraph 144 gerade heute, in der Zeit der Vollbeschäftigung, der Beseitigung des Wohnungselends, der Verbesserung des Gesundheitswesens

— und der Zeit einer breiten Aufklärung über Empfängnis und Empfängnisverhütung die Einlösung alter dogmatischer Bindungen notwendig ist?

Man schreibt doch nicht das Jahr 1926 oder 1931 — und auch nicht 1945! Ist nicht auch innerhalb der Sozialdemokratie seither ein echtes Streben zur Humanisierung der Politik die wesentlichste Triebkraft für die letzten Jahrzehnte gewesen?

Oder ist die ganze Auseinandersetzung im Zuge eines weltweiten, im letzten vom Anarchismus gesteuerten Kampagne auch nach Österreich gekommen — als emanzipatorischer Nachholprozeß, in dem man der Frau bedenkenlos die Rolle der Mörderin zubilligt — nach dem Motto: Mein Bauch gehört mir?

Das will sagen: hat es die SPÖ nötig, dem Geschrei der Neuen Linken oder einer Schickeria zu folgen, die lautstark kein anderes Problem zu kennen scheint als das der Abtreibung? Wir wollen hier nicht annehmen, daß erst Meinungsforschungsergebnisse die Sozialistische Partei Österreichs zur Propagierung der Fristenlösung inspiriert haben.

Also warum eine solche Entfremdung zwischen Kirche und Regierung, zwischen gläubigen Katholiken und den Funktionären der Regierungspartei?

Die Bischöfe sind nicht herzlos, wenn sie die Abtreibung als Problemlösung ablehnen. Sie sind nicht herzlos, wenn sie mit einem dog-matisch-scheinenden „Nein" nicht differenzieren zwischen den Wohlstandsbequemen und den in seelische und materielle Not Geratenen, die Kirche ist keine Gesellschaft im Weißen Turm, die nicht weiß, was die modernen Menschen heute bedrückt, welche Probleme mit einer ungewollten Mutterschaft verbunden sind.

Aber es geht hier nicht um eine Frage der Einsicht, eine Frage etwa der Toleranz; oder um eine Frage, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat betrifft.

Um so erstaunlicher ist die Fehlinterpretation von Journalisten und auch Politikern in diesen Tagen, wenn sie zwar der Kirche das Recht belassen, gegen die Fristenlösung zu sprechen; wenn sie aber gleichzeitig dem Staat das absolute und unteilbare Recht einräumen, zu tun, was ihm beliebt.

Nein, so einfach liegen die Dinge nicht; denn was der Staat zu tun sich anschickt, ist Mord. Nicht nur etwa für Theologen: es gibt keinen einzigen Biologen oder Mediziner, der nicht ganz eindeutig und klar feststellen würde, daß nach drei Monaten Schwangerschaft das Kind im Mutterleib lebt.

Die Dreimonatsindikation ist Mord. Die Kirche kann deshalb keinen Kompromiß schließen. Und die Kirche spricht auch nicht für sich oder eine vermoderte Scholastik, sondern für das Leben von Menschen — auch wenn sie noch nicht geboren sind.

Es ist in diesem Falle durchaus nicht so, daß die Kirche dem Staat keine verbindliche Meinung geben dürfte — der Staat ist jedenfalls in der Frage der Strafrechtsreform ja auch nicht befragt worden. Wer sich heute anmaßt, über ungeborenes Leben zu Gericht zu sitzen und mittels Parlamentsbeschlusses Mord zu legalisieren, muß sich gefallen lassen, daß ihn die Kirche mit allem in einem demokratischen Staat zur Verfügung stehenden Argumenten angreift. Hier wird kein Moralgebot nur für die Katholiken aufgestellt und neuerlich verkündet: hier wird festgehalten, daß sich der Staat anmaßt, Leben vernichten zu lassen — womöglich noch mittels Krankenschein.

Noch ist Zeit, die Dreimonatelösung von der Diskussion abzusetzen.

Der Tod von künftigen Menschenleben ist ein zu trauriger Preis für eine Strafrechtsreform, deren Notwendigkeit im Grundsatz niemand bestreitet.

Sollte die Regierungspartei aber wirklich an ihrem Entwurf festhalten, dann wird es notwendig sein, jedem einzelnen Abgeordneten, der zum Mordgesetz „ja" sagt, genau in die Augen zu sehen und seinen Namen festzuhalten: damit er auch draußen, in seinem Wahlkreis, Rede und Antwort über seine Entscheidung abgebe — vor Bürgern, die er im Parlament vertritt.

Es gibt sozialistische Nationalratsabgeordnete, die sich als praktizierende Katholiken bekennen. Sollte man sie via Fraktionszwang zu einer Entscheidung nötigen, die ihrem Gewissen widerspricht?

Abtreibung ist nicht nur eine Sünde gegen göttliches Gesetz; es gefährdet in extremem Maße das Gemeinwohl. Die Kirche und verantwortliche Katholiken sind derzeit die einzigen, die dem geplanten Mord via Gesetz entgegentreten. Das noch nicht geborene Leben findet — wie die Dinge jetzt liegen — nur in der Kirche seinen Fürsprecher. Noch nicht geborenes Leben: es kann noch nicht reden, noch nicht abstimmen — und auch noch nicht wählen.

Die Bischöfe haben letzte Woche ein klares Wort gesprochen. Die bisherige Antwort aus dem Lager der Regierung und Regierungspartei steht letztlich noch aus. Das heißt, daß der Appell an die Verantwortung möglicherweise doch noch Erfolg haben kann. Man soll sich allerdings kaum Illusionen machen, daß man sich mittels weniger linker Theologen oder durch „Gutachten" einzelner Vertreter aus dem christlichen Raum um die Verantwortung herumdrücken kann: nämlich darum, ob man im Hohen Haus am Ring für oder gegen den Mord stimmt.

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