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„Es gibt keine weißen und roten Kommunisten“

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FURCHE: Emstzunehmende Analytiker behaupten, daß die persönliche Animosität und Gegensätzlichkeit zwischen zwei Kanzlerkandidaten noch nie so groß gewesen sei wie zwischen Helmut Kohl und Helmut Schmidt. Falls Sie mit dieser These übereinstimmen, welches sind die Hauptgründe dafür?

KOHL: Nun, in dieser Absolut -heit ist die Behauptung sicherlich falsch. Was als Animosität bezeichnet wind, betrachte ich einfach als das Unvermögen, den anderen überhaupt zu verstehen. Meinte Vorstellungen vom Leben, von Politik und menschlichen Beziehungen sind so kraß unterschiedlich von denen Helmut Schmidts, daß es in der Tat sehr schwer sein dürfte, beide über einen Kamm zu scheren. Sehen Sie, ich habe seit jeher hart gearbeitet, aber ich bejahe auch die Lebensfreude, das Feiern und Lachen, Gern gehe ich mit anderen aus und bin dann nach altem Pfälzer Brauch einem guten Tropfen nicht abgeneigt. All das ist wohl bei Helmut Schmidt kaum denkbar. ^Schließlich habe ich mit ihm eine Reihe von persönlichen Enttäuschungen erlebt, einen Mangel an Diskretion und Fairneß.

FURCHE: Bei Ihrer Lebensauffassung müßte für Sie doch die für jeden Bundeskanzler unvermeidliche Isolierung beklemmend sein.

KOHL: Das stimmt sehen. Schließlich habe ich ja die Eiseskälte dieses Amtes oft aus nächster Nähe beobachten können, Für eine solche Kandidatur ist allerdings die persönliche Neigung weniger entscheidend. Vielmehr muß man erst einen langen Weg zurückgelegt haben und vom Vertrauen der Partei und der Mitbürger getragen sein, bevor man sie um ihre Stimme bittet.

FURCHE: SPD/FDP machen Franz Josef Strauß wieder einmal zum Buhmann. Früher hat ihm das, zumindest in Bayern, immer ein paar Prozent Wahlstimmen mehr eingebracht. Diesmal hört und liest man Parolen: „Wer nicht wählt, wählt Strauß“ oder „Wer Kohl wählt, wählt Strauß“. Mich würde interessieren, ob die Behauptung — selbst der Union wohlwollend gegenüberstehender Zeitungen — stimmt, daß Strauß Ihnen sehr große Schwierigkeiten bereitet, ja laufend Demütigungen zugefügt hat. Sie kontrastieren doch wohl in jeder Beziehung?

KOHL: Strauß gehört zu iden ganz großen Begabungen der deutschen Nachkriegspolitik. Um die Entwicklung der Bundesrepublik hat er sich hervorragende Verdienste erworben. Strauß gehört einer ganz anderen Generation an. Seit 1949 ist er in der Bundespolitik aktiv und hat wichtige Ämter bekleidet. Freilich sind wir unserer Natur nach verschieden. Anderseits gibt es wieder Gemeinsamkeiten, 'die verbinden. Beide sind wir nicht durch Protektion etwas geworden, sondern haben uns durchboxen müssen; beide halten wir sehr viel von Allgemeinbildung und leiten einen Großteil unserer politischen Überzeugung aus geschichtlichen Bezügen ab. Wie das immer bei unterschiedlichen Charakteren und Temperamenten so zu sein pflegt, gab es auch Streit. Nur bewerte ich dies als etwas ganz Normales in der Politik. Im Grunde ergänzen wir einander gut, ziehen jetzt gemeinsam in diesen wichtigen Wahlkampf.

FURCHE: Sie haben die Feststellung gemacht, die CDU sei kein verlängerter Arm der Kir-

che. Was heißt das für den Katholiken Kohl und seine protestantische Gattin...?

KOHL: Meine Ehe hat damit nichts zu tun. Meine Frau ist schon meine Tanzstundendame gewesen, und 'dies steht Gott sei Dank fern von allen politischen Erwägungen.

FURCHE: Die Kinder sind katholisch?

KOHL: Ja. Zum anderen: Freilich betrachte ich das „C“ in

„Christlich-Demokratische Union“ als eine wichtige Auf-

gabe. Es deutet auf unseren Maßstab des christlichen Sittenge-sefczes und Menschenbildes hin. Aber ioh habe mich nde zu der Behauptung verstiegen, daß Christen nicht auch in anderen politischen Parteien tätig sein sollen. Unsere weltanschauliche Glaubenisheimat bleiben die beiden christlichen Kirchen. Doch sind wir keine Kirchenpartei, geben weder Ordinariaten noch anderen Kirchenbehörden Weisungen und würden sie auch, trotz aller freundschaftlich-kameradschaftlichen Beziehungen, umgekehrt nicht annehmen. Der Auftrag der Kirchen ist transzendent, der unsere hingegen irdisch urad zeitlich begrenzt. Immer hat unsere B'ildungis- und Erzie-hunigispoliitik das christliehe Erbe bewahrt.

FURCHE: Vor der Bundestagswahl von 1972 war für viele die Haltung der CDU-CSU zu den Ostverträgen ein Stein des Anstoßes. Sie hat diesmal während der Auseinandersetzung über das neue Abkommen mit Polen im Bundesrat Geschlossenheit gezeigt und auch klarer formulierte Zugeständnisse aus Warschau für die deutschen Aussiedler erzielt. Hoffen Sie, daß das der Wähler honorieren wird, und bereitet sich icieder eine einheitliche Ost- und Außenpolitik der drei Parteien vor?

KOHL: Wenn wir die Verträge kritisiert haben, so wegen der Art, in der sie ohne sauberes Aushandeln zusitanidegefcommen sind, auch teilweise wegen des materiellen Inihalts, sowie schließlich wegen jenes unausge-tragenen Dissens, der den Keim eines neuen Streites in sich birgt. Aber sie wurden nun einmal ratifiziert. Demnach gilt der Satz „pacta sunt servanda — Verträge sind heilig“. Selbstverständlich wind eine Bundesregierung uniter meiner Führung ihre Politik auf den geschlossenen Verträgen aufbauen. Wirklicher Friede und Ausgleich, auch mit Osteuropa, einschließlich der

Sowjetunion, bedeuten allerdings ,geben und nehmen“. An der Bundesregierung übe ich eben ihrer ständigen Vorleistungen wegen Kritik, die erfolgt sind, ohne daß die andere Seite wenigstens nachzog. Prüfstein der Entspannung bleibt Berlin. Dort muß noch sehr v'iel getan werden, bevor der Status seines freien Teils gewährleistet ist.

FURCHE: Während der letzten Jahre haben Sie mit vielen osteuropäischen Spitzenpolitikern gesprochen. Sie waren zwei Stunden lang bei Kossygin und eineinhalb Stunden bei Tito. Sie sahen auch Schiwkoff und Ceausescu und aßen mit dem rumänischen Staatschef zu Mittag. Hatten Sie während all dieser Begegnungen den Eindruck, daß man über die Politik der Union informiert ist, nicht zuletzt über ihre Respektierung der abgeschlossenen Ostverträge?

KOHL: Wesentlich ist zunächst die Tatsache, daß die Einladungen an mich ergangen sind und daß die Begegnungen zustamde-kame.n. Gerade jetzt, während der Balkanreise, gaben meine Gespräche mit den Staatschefs von Rumänien, Bulgarien und Jugoslawien einen deutlichen Hinweis: Wie immer die Wahl in der Bundesrepublik ausgeht, wird man das Ergebnis respektieren und wäre bereit, auch mit einem Bundeskanzler Kohl und seiner Regierung vernünftig und gut zusammenzuarbeiten. Genau das wurde in den Gesprächen demonstrativ betont.

FURCHE: Wie aber reagierten Kossygin und die übrigen sowjetischen Politiker?

KOHL: Sicherlich ersehnt man in der Sowjetunion nicht unbedingt eine Unionsregierung Aber es trat doch klar zutage, daß man mit ihr leben könnte und leben müßte. Ich weiß nicht, ob die sowjetische Regierung, ähnlich wie 1972, zugunsten der jetzigen Koalition, massiv intervenieren wird. Eigentlich glaube ich es kaum. Bekanntlich sind die sowjetischen Führer Realisten und wissen deshalb genau, daß die Chance des Machtweohsels in Bonn unmittelbar vor der Tür steht und daß dann vernünftige Beziehungen mit der neuen Regierung auch in ihrem Interesse liegen.

FURCHE: Wäre ein Bundeskanzler Kohl zu einem Treffen mit dem DDR-Chef Honecker-bereit?

KOHL: Ja, aber unter der Voraussetzung, daß ein solcher persönlicher Kontakt kein bloßes Schaugescbäft, kein Pnopaganda-coup wäre, sondern zu mehr Durchlässigkeit für Menschen und Informationen und zu einem Abbau des Skandals von Mauer und Stacheldraht führen könnte. Dabei denke ich selbstverständlich auch an weitere Erleichterungen für Berlin. Wenn Honecker jetzt aus der Verfassung der DDR und dem Programm der SED jeglichen Hinweis auf die Einheit der deutschen Nation gestrichen hat, ist das für mich ein deutlicher Hinweis. Vor der Geschichte brauchen wir in der Bundesrepublik Deutschland einen langen Atem. Da bleibt Polen ein leuchtendes Vorbild. Es ist mehrmals geteilt worden und war sogar als selbständiger Staat ganz von der Landkarte verschwunden. Dennoch haben die Polen die Identität, die Einheit ihrer Nation, nie aufgegeben und haben sich eben diesen langen Atem vor der Geschichte bewahrt. Was ihnen recht war, ist den Deutschen billig. Auf die Selbstbestimmung, wenngleich

durch die militärpolitische Lage ein Fernziel, werden wir nie verzichten und auch die ideologische kommunistische Herausforderung im Geiste der Freiheit entschlossen beantworten.

FURCHE: Würden Sie als Bundeskanzler die Bonner Amerika- und Europapolitik unverändert fortsetzen oder ihr andere Akzente geben?

KOHL: Ich verstehe mich als ein Erbe Konrad Adenauers in der deutschen Politik. Zu seinen irreversiblen Entscheidungen gehörte die westliche Bindung, der Vorrang also der Freiheit vor der Einheit. Ohne die enge Partnerschaft und Freundschaft mit den Vereinigten Staaten läßt sich . diese Freiheit nicht aufrechterhalten. Die Beibehaltung der Partnerschaft bleibt für mich ein ganz selbstverständlicher Teil meiner Politik. Als zweites hatte Adenauer erkannt, daß der deutsche Nationalstaat, überhaupt der Nationalstaat des neunzehnten Jahrhunderts, überholt ist. Wir müssen uns in die größere Einheit Europas einordnen. Wenn ich Kanzler bin, werde ioh folgerichtig alles daran setzen, daß 1978 das Europaparlament direkt gewählt wird, um ihm eine neue Chance und neue Kompetenzen zu eröffnen. Meiner Überzeugung nach werden hierbei, sofern es noch nicht alle tun, mindestens sehen ein, zwei Partner mit uns gemeinsame Sache machen.

FURCHE: Die Schwesterpartei der CDU, die „Democracia Cri-stiana“, ist noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, aber die Kommunisten blieben in Italien die relativen Sieger. Was sollte Ihrer Meinung nach geschehen, damit, wo auch immer, dieser kommunistische Aufwärtstrend gestoppt werde?

KOHL: Vor allem muß das diuimme Gerade aufhören, es gebe „weiße“ und „rote“ Kommunisten. Wer hier in Westeuropa, sei es in Frankreich oder Italien, die kommunistische Bewegung verharmlost, macht sich an der Entwicklung «Ar Volksfront mitschuldig. Man kann nicht ein bißchen dieser Freiheit und ein bißchen totalitären Kommunismus miteinander vermischen. Kommunismus und Faschismus haben immer eines gemeinsam:

Ihr Schilußpunkt ist das Ende der Freiheit. Es darf also mit solchen Ideologien keine Gemeinsamkeit geben. Wir, die Länder der Freien Welt, Amerika, die Bundesrepublik und andere europäische Staaten, müssen ,den Italienern die Chance einer baldigen Gesun-

dung ihrer Wirtschaft und eines Ausbaues der sozialen Gerechtigkeit ermöglichen und die hiezu erforderliche Hilfe leisten.

FURCHE: Im Zusammenhang mit der Befreiung der israelischen Geiseln haben Sie vor wenigen Tagen eine verstärkte internationale Kooperation angeregt. Was schwebt Ihnen aber in Deutschland vor?

KOHL: Erneut beweist die Flucht von vier Anarchistinnen aus der Frauenibaftanstalt Berlin-Moabit, daß die Bedrohung durch Terroristen nicht nachgelassen hat und durah das unerträgliche Zusaimimienspiel zwischen Terroristen und Sympathisanten in den Gefängnissen und außerhalb derselben fortdauert. Ich bin gegen jede gespreizte Selbstdaffistellung eines Obrigkeitsstaates, alber für einen Staat mit natürlicher Autorität. Die Herausforderung seiner Feinde, wie wir sie bei der Baader-Meinhof-Bande erlebt haben, sollte nicht mit Hysterie zur Kenntnis genommen wenden. Vielmehr ist eine kraftvolle Reaktion erforderlich.

FURCHE: Auch in der Frage des sogenannten Radikalenerlasses, der international so viel Staub aufgewirbelt hat?

KOHL: Der Radikalenerlaß hat seine Wurzeln in unserer Geschichte. Nicht zuletzt weil sie keine kraftvollen Verteidiger hatte, ist die Weimarer Republik auigrundegerAchtet worden. Hitler und den Uimer Reiohswehrpro-zeß betrachte ich als zwei hervorstechende unter unzähligen Beispielen. Wir sind eines der freiheitlichsten Länder der Welt. Bei ums kann jeder kommunistisch oder sonstwie denken. Wenn man heute schon prognostiziert, daß die Neofasohisten und die Kommunisten zusammen noch nicht zwei Prozent aller Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl auf sich vereinigen wenden, so ist das eine großartige Leistung dieser Demokratie. Etwas ganz anderes wäre es, jemanden, der diesen Staat umstürzen Will und die Ideologie und die totalitäre Verfassung der DDR bei uns einführen möchte, an die Machthebel der Politik, der Verwaltung, der Justiz, der Polizei, heranzulassen. Wenn ein kommunistischer Jurist Richter wenden will, empfinde ich das als schizophren. Man kann nicht im Namen der Verfassung Recht sprechen, um 17 Uhr das Gericht verlassen und nun den Umsturz der bestehenden Ordnung planen, auf die man sich tagsüber berufen hat.

FURCHE: Eine letzte Frage, Herr Ministerpräsident. Wie haben sich die Kontakte zur Österreichischen Volkspartei gestaltet und welche Beziehungen verbinden Sie mit dem Nachbarland Österreich?

KOHL: Um die Frage der Reihe nach zu beantworten: ich unterhalte sehr freundschaftliche Beziehungen zu unserer österreichischen Schwesterpartei und vielen ihrer Mitglieder. Als Pfälzer bin ich ein Südwestdeutscher. So ist eine natürliche Affinität zu den Ländern gegeben, die in der Nachbarschaft liegen, zu Frankreich, zum Elsaß, zu Lothringen und selbstverständlich zur Schweiz und zu Österreich. Ja, ich bin beinahe ein Wahlösterreicher. Viele Urlaube habe ich während der letzten Jahre dort zugebracht — und ich wunde imimeir mit offenen Armen aufgenommen.

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