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Es ,grünt' nicht leicht im Osten

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Die Ost-West-Konferenz über Umweltschutz, die vergangene Woche in München mit einigen greifbaren Resultaten zu Ende ging, zeigte auch die politische Problematik eines wirksamen Schutzes unserer Lebensgrundlagen auf. Kommunistische Staaten - so zeigte sich - tun sich im Umweltschutz besonders schwer.

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Die Ost-West-Konferenz über Umweltschutz, die vergangene Woche in München mit einigen greifbaren Resultaten zu Ende ging, zeigte auch die politische Problematik eines wirksamen Schutzes unserer Lebensgrundlagen auf. Kommunistische Staaten - so zeigte sich - tun sich im Umweltschutz besonders schwer.

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Mit Vehemenz und auch einigen kaum widerlegbaren Gründen gingen die Vertreter Osteuropas in München in die Offensive: Die CSSR, DDR, aber auch Polen und die Sowjetunion stehen j a, was die Umweltschäden betrifft, mit an der Spitze der europäischen Länder. Das aber, so erklärten die Vertreter dieser Staaten übereinstimmend, sei nicht allein ihre Schuld. Und sie machten eine Gegenrechnung auf:

CSSR-Sprecher Karel Nutil meinte, in seinem Land seien aufgrund der „klimatisch bestimmenden Westwinde" die Schäden zu zwei Dritteln auf den Schadabtransport aus dem Ausland zurückzuführen.

Polens Krzysztof Zareba rechnete vor, daß bei einem zugestandenen katastrophalen eigenen Ausstoß von fünf Millionen Schwefeldioxyd im Jahr nach den Berechnungen seiner Regierung noch einmal genausoviel Schwefelverbindungen aus dem westlichen Ausland als „saurer Regen" im Land an der Weichsel niederrieseln.

Der sowjetische Umweltminister Jurij Israel bezeichnete den Schadimport aus den westlichen Ländern als fünf- bis zehnmal höher als den selbstproduzierten. Durch die dadurch verursachte Ubersäuerung entstünden Schäden in Millionenhöhe. Zur Rettung der Böden würden jährlich 1,5 Millionen Tonnen Kalk benötigt.

Die DDR stimmte nicht in den Chor ein — sie kommt ja vergleichsweise gut davon: Obwohl durch DDR-Rauchfänge so große Mengen in die Luft geblasen werden, daß 18,5 Gramm Schwefel jährlich auf jeden Quadratmeter DDR-Boden niedergehen müßten, sind es tatsächlich — dank „Luftexport" — nur 8,6 Gramm.

Die Offensive der Ostblockstaaten, die sich zum Teil zu Recht, zum Teil aber bloß propagandistisch geschickt, als Opfer westlicher Industrieabgase darstellen, vernebelt freilich eine Tatsache: In Sachen Umweltschutz stehen in Osteuropa objektive und systemimmanente Gründe wirksamen Maßnahmen entgegen.

Und mit Sicherheit ist eines — gegen die Träume linker Utopisten und roter „Grüner" im Westen — festzuhalten: Die Abschaffung des profitorientierten „Kapitalismus" im Osten hat die Umweltzerstörung nicht aufgehalten oder verzögert, sondern im Gegenteil nur beschleunigt.

Gerade die CSSR, so sehr sie sich auch auf „westliche Schadstoffe" berufen mag, ist dafür ein Beispiel von schlüssiger Beweiskraft. Denn auch ohne den Import von Schadstoffen wäre die CSSR — wie die selbst zugegebenen Umweltbelastungen nachweisen — eines der bedrohtesten Länder Europas.

Es soll keineswegs geleugnet werden, daß die gesetzlichen Bestimmungen über Umweltschutz in allen kommunistischen Staaten zum Teil sehr weitreichend und streng sind, ja Umweltschutz zum Teil sogar Verfassungsrang hat.

Aber eine „schöne" Verfassung und „gute" Gesetze zu haben, hat die Machthaber jenseits der Elbe seit 1945 nie daran gehindert, sie de facto zu mißachten (siehe Religionsfreiheit, Menschenrechte). Beim Umweltschutz ist das genauso.

Aber auch noch aus anderen Gründen taugt das „sozialistische System" genauso wenig oder noch weniger wie das kapitalistische zur Umweltbewahrung: • Der sozialistische Staat und der Marxismus in seiner Interpretation in Osteuropa ist produkti-ons- und wachstumsorientiert. Der DDR-Lyriker Hanns Cibulka hat daher, durchaus ideologiekonform, die düsteren Verse geschrieben: „Vom Anblick der toten Fische kaufen wir uns frei/ durch Wachstumsraten der Wirtschaft."

Wohlgemerkt — Cibulka bezieht das auf die DDR, und nicht auf den westlichen Kapitalismus. Er wurde auch deshalb von der Partei herb kritisiert. Was daraus hervorgeht? Der Umweltschutzgedanke ist in Osteuropa wohl le-gistisch verankert, ideologisch aber ein Fremdkörper. # Ein weiteres wichtiges Hindernis für wirksamen Umweltschutz im Kommunismus: Dieselben Entscheidungsträger, nämlich die Partei und ihr Exekutiv-Organ, die Regierung, sind sowohl für das Wirtschaftswachstum als auch für die Umwelt zuständig. Das heißt nun wahrhaftig, den Bock zum Gärtner zu machen.

In der kapitalistischen Marktwirtschaft kann die rein profitorientierte Umweltzerstörung privater Unternehmer durch politische Kräfte und Instanzen, die sich in einer Demokratie ungehindert entfalten können, abgeblockt oder zumindest verzögert werden, weil diese Kräfte mit den jeweiligen Unternehmensleistungen eben nicht identisch sind.

• Im Kommunismus—und dafür gibt es Hunderte offizielle und inoffizielle Belege — wird Technik und Technologie vorrangig nach dem Bedürfnis der Macht und nicht nach dem Bedarf der Bevölkerung, der Umwelt usw. entwik-kelt. So ist die Umweltschutztechnologie (analog etwa zu den Konsumgütern) durchaus ein Stiefkind geblieben. Sie wird zum Teil und immer mit Verspätung aus dem Westen importiert, aber nur so weit Devisen vorrätig sind.

• Schließlich fehlt in den kommunistischen Systemen das .Alarmsystem" der freien Information und einer wirklich unabhängigen, kritischen Presse. Der ungemein dramatische Bericht der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften über die katastrophalen Umweltschäden wurde erst dank der Dissidenten-Bewegung „Charta 77" bekannt.

Die kommunistischen Machthaber glauben nach wie vor daran, Schäden dadurch bekämpfen oder ungeschehen machen zu können, wenn man ihre Bekanntmachung verhindert. Die Folge: Die UmweltzerStörung konnte in Osteuropa jahrzehntelang „unerkannt" voranschreiten; der — ohnehin nicht wirksam artikülier-bare — Druck von unten, von einer alarmierten Öffentlichkeit, erfolgte zu spät.

So ist erst in den letzten ein, .zwei Jahren auch in Osteuropa etwas wie eine „grüne Bewegung" im Entstehen, die allerdings staatlich kanalisiert wird. Als Beispiel dafür mögen die freiwilligen Aufforstungsaktionen der Pioniere in der CSSR gelten.

Echte Opposition etwa in Fragen der Umwelt können die Regime im Osten schon deswegen nicht zulassen, weil das die Grundlagen ihres Selbstverständnisses und ihrer Machtausübung angreifen würde.

Alles in allem — und trotz der erfreulichen Ansätze von Zusammenarbeit zwischen Ost und West in der Umweltproblematik in München: Mit der Umweltzerstörung im „Sozialismus" ist es wie mit vielen anderen Übeln in diesem gesellschaftlichen System auch: sie wachsen unter dem Schutz ihrer Leugnung.

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