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Es hätte ärger kommen können

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Fast auf den Tag genau 31 Jahre nach den Wiesbadner Empfehlungen zur Rechtschreibreform von 1958 trat in Wien vom 16. bis zum 20. Oktober 1989 eine internationale Arbeitstagung zusammen, in deren Verlauf sich fast zwei Dutzend Fachleute aus der Bundesrepublik, der DDR, der Schweiz und aus Österreich intensiv mit Vorschlägen zur Neuregelung von Teilbereichen der deutschen Rechtschreibung befaßten. Die Frage „Groß- oder Kleinschreibung“ stand nicht zur Debatte; 1982 hatten mit wenigen Tagen Abstand die Großschreiber und die Kleinschreiber ihre jeweiligen Regelvorstellungen veröffentlicht; seither herrscht auf diesem Gebiet leicht gespannte Ruhe, welche aber immerhin ein brauchbares Arbeitsklima für andere Reformbereiche geschaffen hat.

Die Tagung begann mit der Revision einer Vorlage zur Getrennt-und Zusammenschreibung, die bereits Kritik auf sich gezogen hatte, weil sie durch gedankenlose Zusammenschreibungen entstandene, aber sachlich völlig überflüssige Pseudopräpositionen (zum Beispiel mithilf e des/der/von...) und Pseudoadverbien (wie infrage stellen, zutage fördern) enthielt. Einige dieser zusammengeschriebenen Dummheiten konnten noch aus der Vorlage entfernt werden. Die Pseu-dopräposition „mithilfe“ ist ein Beispiel für die Irrwege, welche die Rechtschreibreform einschlagen kann. Wenn man „mithilfe“.(des/ der/von...) zusammenschreibt, verwischt man die klaren Wortbilder. Im Falle einer Abschaffung der Hauptwortgroßschreibung hätten zudem das „Substantiv“ die „mithilfe“ und die Pseudopräposition „mithilfe“ das selbe Wortbild, trotz unterschiedlicher Bedeutung und Betonung!

Präzise Getrenntschreibimg wäre sowohl für die Anhänger der Großschreibung wie auch für die Kleinschreiber vorteilhaft.

Der nächste Beratungsgegenstand war die Fremdwortschreibung, vor allem die Fremdwörter griechischen Ursprungs, die in lateinischer Umschrift ins Deutsche, Englische und Französische gekommen sind. Es ist nicht zielführend, die Schreibungen „ph, th, rh“ zu gruppieren, weil „rh“ eine Sonderstellung einnimmt. Mit „rh“ wird eine affektierte Behauchung des „r“ im Griechischen angezeigt, die nicht einmal von den Griechen so genau genommen wurde. Um nicht „griechischer als die Griechen“ zu schreiben, wurden die Formen ohne „h“ als Hauptformen festgelegt (Reu-ma, Katarr). Im wissenschaftlichen Bereich bleiben Zweitformen mit „h“ zulässig (Rheuma,...). Geographische Namen behalten das „h“ (Rhein, Rhön, Rhone,...).

Die griechisch-lateinische Gra-phientrias „ph, th, ch“ kann nicht einheitlich behandelt werden, weil „ch“ auch in anderen Sprachen (und mit unterschiedlicher Aussprache) auftritt und sogar in griechischlateinischen Wörtern im deutschen Sprachraum uneinheitlich gesprochen wird, zum Beispiel „Chirurg“ in Österreich „ki..“,imBinnendeut-schen aber „schi..“. Das „ch“ entzieht sich daher einer Reform.

Ebenso sollte man das „th“ in Ruhe lassen, weil es im Englischen in die „th“-Aussprache eingetreten ist. Hier war die Wiener Tagung der Ansicht, „th“ im Anlaut „unbeschädigt“ zu lassen (also weiterhin Theater), im In- und Auslaut aber zu liberalisieren (Astma, neben Asthma, Labyrint neben Labyrinth). Beim „ph“ soll nach Meinung der Mehrheit der in Wien Versammelten die Eindeutschung uneinheitlich vorgenommen werden, södaß drei Gruppen entstünden: a) die Stämme „phon, phot,. graph“ nur noch mit „f“ (Telefon, Fotografie); b) die Masse der Wörter in beiden Varianten (Alfabet neben Alphabet, Katastrofe neben Katastrophe); c) Fachwortschatz nur mit „ph“ (Monographie, Phänomen, Philosophie, Physik,...)

Wörterbuchhersteller werden mit dieser Lösung keine Freude haben, und auch der Schreiber wird durch die Bildung dreier Gruppen verunsichert werden. Die vermutlich beste Lösung wäre, die „ph“-Wörter zur Hauptform zu erklären, aber bei allen die Nebenform mit „f “zuzulassen. Es würden sich dann gewisse Schreib-Vorlieben „einpendeln“ . Der umgekehrte Weg, daß alle „f“-Wörter auch mit „ph“ geschrieben werden dürften („Phreu-de“ neben Freude!), ist natürlich nicht gangbar.

Bei der Schreibung deutscher Wörter muß das Stammprinzip stärker zur Geltung kommen. So soll endlich auf die österreichische Regel von 1879 bis 1901 zurückgegriffen werden, nach der das „scharfe s“ (ß) nur noch nach Langvokalen und Zwielauten auftritt: „mit Gruß und Kuss“, „reisen : reißen“. Das lästige Pendeln zwischen „ß“ und „ss“ im selben Stamm würde damit aufhören, statt „fassen -faßte“, „Faß - Fässer“ einheitlich „fassen - fasste“, „Fass - Fässer“. -Eine völlige Ersetzung des ß durch ss wie in der Schweiz wurde nicht in Betracht gezogen: „Maße und Masse, Buße und Busse,...“ bleiben unterscheidbar.

An der Kompositionsfuge sollen immer alle Konsonanten geschrieben werden, also „Schifffahrt“ statt „Schiffahrt“. Daneben wurden weitere Verletzungen des Stammprinzips zur Sanierung vorgeschlagen, zum Beispiel „überschwäng-lich“ (= im Uberschwang) statt „überschwenglich“. Eine Reihe weiterer guter Vorschläge zur Neuregelung der Schreibung deutscher Wörter wurde jedoch bedauerlicherweise zurückgestellt, aus der Sorge, man könnte „den Karren der Reform überladen“.

Allgemein kann man die Tagung so charakterisieren, daß sie wissenschaftlich gut vorbereitet war, daß noch einige bessernde Korrekturen der eingebrachten Vorlagen vorgenommen werden konnten und daß ein eher vorsichtiges Fordern als Ergebnis herauskam, welches ganz gut die Mitte zwischen dem Festhalten an Bewährtem und verantwortungsbewußten Reformen zu treffen suchte.

So sind kindische Änderungen wie der seit Monaten durch die Diskussionen geisternde „Keiser“ (statt „Kaiser“) auf der Wiener Tagung durchgefallen. Einige verbliebene Schwachstellen in den Vorschlägen würden sich in einem weiteren redaktionellen Auskämmverfahren bereinigen lassen. Die wissenschaftliche Revision der Regeln der deutschen Rechtschreibung wird fortgesetzt.

Der Autor ist Generalsekretär des Institutes für Österreichkunde und Mitglied des Koordinationskomitees für Orthographie beim Bundesministerium für Unterricht (wissenschaftliche Arbeitsgruppe).

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