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Es ist eins vor zwölf!

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Experten haben in den letzten Monaten die Öffentlichkeit mit Informationen und Zahlen von Raketen, atomaren Sprengköpfen, Atom-U-Booten, Kampfflugzeugen, Panzern, Erst- und Zweitschlagskapazitäten überschüttet. Wir können und wollen dieses Aufzählen und Aufrechnen nicht wiederholen. Es ist auch insofern sinnlos, als ohnehin schon jetzt jede Supermacht über ein Atompotential verfügt, das für die mehrfache Vernichtung der Erdbevölkerung reicht…

Es ist weitgehend unbestritten, daß es derzeit eine zahlenmäßige Überlegenheit der UdSSR bzw. der Staaten des Warschauer Paktes im Bereich der sogenannten konventionellen Waffen gibt. Deren Kosten gingen zu Lasten des Lebensstandards der Bevölkerung. Sie wird dennoch zu Hunderttausenden für die staatlich gelenkte „Friedensbewegung” mobilisiert, die nur gegen die Aufrüstung des Westens demonstrieren darf. Die wenigen kleinen „unabhängigen” Friedensgruppen gelten als Dissidenten und sind allen Gefährdungen dieses Status ausgesetzt.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß die Mehrheit der offiziellen Friedensdemonstranten an die Gefahr vom Westen wirklich glaubt, sich existenziell bedroht fühlt. … In seinem europäischen Teil war und ist Rußland verwundbar.

Die USA sind bis jetzt von außeramerikanischen Angriffen verschont geblieben. Seit den ausgehenden Vier ziger jahren hat sich die UdSSR durch Staaten des Warschauer Paktes Sicherheitszonen geschaffen. Mitteleuropa ist aber auch das Glacis für die USA, hier und nicht in Texas oder Sibirien wird, falls es zu ihm kommt, der dritte und vermutlich letzte Weltkrieg ausgetragen werden. Das einzige Mittel, das uns vor ihm bewahren kann, ist der Druck einer internationalen großen, starken, solidarischen Friedensbewegung auf die Politiker der Großmächte…

Es ist nicht fünf Minuten, sondern eine Minute vor zwölf!

Die enorme Größe, Technisierung und Automatisierung der Rüstungsapparate droht den Politikern immer mehr zu entgleiten, sich selbständig zu machen. Nichts hat das deutlicher gezeigt, als der Abschuß des koreanischen Jumbo-Jets im September …

Was immer die Vorgeschichte der Verletzung des sowjetischen Luftraums gewesen ist, den von sowjetischen Luftwaffenkommandos möglicherweise der mittleren Ebene veranlaßten Tod von 269 Männern, Frauen und Kindern kann sie nicht entschuldigen. Niemand kann aber Vorhersagen, daß solche Katastrophen nicht auch durch militärische oder technische „Irrtümer” des Pentagons ausgelöst werden.

Daher müssen wir im Namen aller friedliebenden Menschen die Regierungen, die Politiker aller einem Militärbündnis angehörenden Staaten und der ganzen Welt immer wieder und immer stärker mit jenen Forderungen konfrontieren, die auch die Katholische Jugend formulierte:

0 Weiterführung der Genfer und aller anderen Abrüstungsverhandlungen;

• Setzung von Vertrauen schaf fenden Maßnahmen wie z. B. Verzicht auf die Nachrüstung und die ihr zwangsläufig folgende Nach- Nachrüstung;

• Rüstungsstopp, Abrüstung, Verzicht auf einen atomaren Erstschlag;

• Schaffung eines atomwaffenfreien Europas und schließlich — sicherlich am Ende eines langen, mühseligen Weges — einer atomwaffenfreien Welt;

• Gezielte Nützung der durch Rüstungsstopp und Abrüstung freiwerdenden Mittel für die Linderung der Not in der Dritten Welt…

Ewiger Friede ist ein uralter Menschheitstraum, Friede für alle, die guten Willens sind, eine biblische Verheißung. Friede, Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenrechte sind heute die Dreiheit, die zur Zeit der Französischen Revolution 1789 Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit hieß. Rufen wir auf zu einer gewaltlosen Revolution für Frieden und Menschlichkeit auf der ganzen Erde.

Die Autorin ist Vorstand des Instituts für Zeitgeschichten an der Universität Wien. Auszug aus der Rede bei der Schlußkundgebung am 22. Oktober am Wiener Rathausplatz.

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