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„Es traf sie mitten ins Herz ..

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Beim ersten Pfingstfest ereignete sich ein Sprachwunder. „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ Und die Zuhörer waren bestürzt. „Sie gerieten außer sich vor Staunen und sagten: Sind das nicht alles Gaüläer, die hier reden? Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören?“ (Apg 2, 4.7).

Dieser Bericht erinnert an die Erzählung von der Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel. Was damals geschah — die Sprachverwirrung — soll durch das Ereignis von Pfingsten wieder aufgehoben werden.

Was haben uns solche Erzählungen heute zu sagen? Wir stehen mitten in der Geschichte. Die Sprachverwirrung von Babel ist noch nicht überwunden: was sich zu Pfingsten ereignet hat, hat sich noch nicht durchgesetzt.

Wir erleben beides: die Verwirrung der Sprachen, und — zumindest von Zeit zu Zeit — auch das Sprachwunder.

„Verwüstet liegt das gute Land der Sprache“ schreibt 1954 — wohl unter dem Eindruck dej Natio-

nalsozialismus - Günther Anders in einem Gedicht. Viele sehen auch heute das gute Land der Sprache verwüstet. Sie sprechen von Sprachverfall, von der mißachteten und verunstalteten Sprache, von Geschwätz und Palaver, von Wortgeräusch und Un-sprache, von Worthülsen und Sprachlosigkeit.

Nicht wenige leiden auch an der Sprache der Kirche. Sie finden ihre Sprache weltfremd, unverständlich, phrasenhaft und nichtssagend; es gelinge der Kirche kaum, das Evangelium überzeugend zu verkünden und in die Sprache des heutigen Menschen zu übersetzen.

Woher kommen die Sprachschwierigkeiten? Woher die Unfähigkeit, sich auszudrücken und einander zu verstehen?

Auf diese Frage will die Erzählung vom Turmbau zu Babel eine Antwort geben, eine Antwort, die auch heute noch Gültigkeit hat.

In dieser Erzählung ist die Sprachverwirrung eine Strafe Gottes. Aber die Strafe Gottes ist nicht etwas, was den Menschen von außen willkürlich auferlegt wird; sie ist die innere Konsequenz, die unausweichliche Folge von menschlichen Fehlhaltungen und Sünden. Die Sprache wird verwirrt, weü der Mensch in Maßlosigkeit seine Grenzen überschreitet: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen“ (Gen 11,4).

Die Sprache gerät in Unordnung, weil der Mensch nicht in Ordnung ist. „Zeichen müssen sich verwirren, wo sich die Dinge verwickeln“ (Walter Benjamin).

Für die Bibel ist die Wurzel der Sprachverwirrung die Loslösung von Gott, wodurch der Mensch selbst und die Dinge in der Welt ihren ihnen zustehenden Ort verlieren. Weil der Mensch selbst seinen Ort verliert, gerät auch die Sprache durcheinander.

Die Sprachverwirrung von Babel ist ein gültiges Symbol; auch noch in der Zeit nach Christi Geburt. Denn das Reich Gottes, das Jesus angekündigt hat, ist noch nicht vollendet.

Aber gibt es auch die Zeichen und Wunder von Pfingsten? Was geschah zu Pfingsten?

Den Jüngern hatte es durch den Tod Jesu am Kreuz buchstäblich die Sprache verschlagen. Sie konnten dieses Ereignis nicht einordnen und verstehen. Sie waren sprachlos geworden. Sie bedurften einer fundamentalen Erneuerung durch die Kraft des Heiligen Geistes, der sie in die Wahrheit einführte. Erleuchtet von ihm, konnten sie die Zusammenhänge der Ereignisse erkennen und im Lichte des Alten Testaments deuten. Und so fanden sie die Sprache wieder, die alle verstehen konnten, die guten Willens waren. Die anderen sagten, die Apostel seien vom süßen Wein be-

trunken.

Die Apostel wußten, wovon sie redeten. Ihre Worte machten die Zuhörer betroffen. „Es traf sie mitten ins Herz“ (Apg 3,37).

Das Pf ingstwunder ist nicht nur ein Wunder des Sprechens, sondern auch ein Wunder des Hörens. Sprechen wird erst zur Sprache, wo es gehört wird. Das Sprachwunder betrifft Sprecher und Hörer; die einen vermögen zu sprechen, die anderen zu hören. Beides ist gleich wichtig. Wo Menschen einander nicht verstehen, muß es nicht immer am Sprecher liegen.

Durch das Pfingstwunder lernen Menschen, die verwirrt und sprachlos waren, wieder zu sprechen und zu hören. Dadurch entsteht Gemeinschaft; jene Gemeinschaft, die durch den Turmbau von Babel zerstört worden war.

„Es gibt zwei Tatsachen, nicht mehr, des geistigen Lebens, zwei

Tatsachen nämlich, die sich zwischen dem Ich und dem Du zutragen: das .Wort“ und die Liebe. In ihnen liegt die Erlösung des Menschen, die Befreiung seines Ichs aus seiner Selbstabschließung... Die Kraft, mit der das Wort in seiner Geistigkeit von Mensch zu Mensch wirkt, ist eine übernatürliche. Darum gehört die wahre Wissenschaft von der Sprache gar nicht in den Bereich der Naturwissenschaft.“ Was Ferdinand Ebner mit diesen Worten ausspricht, ereignet sich auch zu Pfingsten: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32).

Solche Sprachwunder gibt es auch heute, sowohl in der Kirche, wie überall dort, wo Menschen leben und Gottes Geist wirksam ist. Wir sollten versuchen, sie zu entdecken und nicht nur über die Sprachverwirrung klagen. Sie geschehen dort, wo Barrieren überwunden werden und Menschen wieder miteinander sprechen können; wo Menschen die Augen aufgehen und sie manches verstehen können, was ihnen vorher unverständlich war; oder wo Menschen im Glauben den Sinn ihres Lebens entdecken.

Sprechen gelingt dort, wo der Mensch das zum Ausdruck bringt, was er erfährt, wo Wirklichkeit offenbar wird. Das gilt auch für religiöse Sprache. „Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet“ (2 Kor 4,13).

Das Reden über den Glauben kann nicht in angelernten und oft unverstandenen Formeln bestehen. Es muß durch Erfahrungen mit dem Glauben gedeckt sein. So ermutigt Kardinal Newman auch die Prediger: „Trachten wir darnach, wirklich zu meinen, was wir sagen, und zu sagen, was wir meinen. Mühen wir uns, darüber klar zu werden, wann wir eine Wahrheit verstehen und wann nicht. Wenn wir sie nicht verstehen, so wollen wir sie im Glauben annehmen und wollen bekennen, so zu tun.“

Sinn der Sprache ist, etwas mit-zuteüen und Kommunikation zu schaffen. Die Sprache verfehlt ihren Sinn, wo sie dazu verwendet wird, etwas zu verbergen, zu entstellen oder zu entzweien.

Die Sprache ist nicht besser als der Mensch, der sie spricht. Sie wird nicht verbessert durch Sprachübungen, sondern durch die geistige und spirituelle Erneuerung des ganzen Menschen. Es kann jemand Meister im Ausdruck sein und den Sinn der Sprache verfehlen.

Zur Sprache gehört auch das Gespräch mit Gott. „Im .Dialog mit Gott“ kommt das Wort zu seinem letzten und tiefsten Sinn. Der Mensch braucht das Wort, um sich vor sich selber über sich und sein Denken klar zu werden — denn es ist das Licht unseres Lebens. Und er wird sich über sich selbst nur klar, versteht die Not seines Existierens und sich selbst in dieser Not nur im .Dialog mit Gott'“ (Ferdinand Ebner).

So schließt sich der Kreis zwischen dem Turmbau zu Babel und Pfingsten. Was dort zerbrochen ist, soll hier wiederhergestellt werden: die Einheit unter den Menschen und die Einheit zwischen der Menschheit und Gott.

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