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Es war nicht nur Ronald R.

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Fassungslose Gesichter bei Medienleuten, Meinungsbefragern und in den liberalen (d. h. in Amerika: gemäßigt linken) Zentren der Großstädte. In Washington beginnt die Carter-Bürokratie zu packen und die Häuser zu verkaufen.

Der politische Beobachter steht voller Staunen vor einem politischen Erdrutsch, der die Wähler eines Kontinents - ungeachtet ihrer bisherigen politischen Bindung - zu einem neuen Konsens gedrängt hat. Nach außen war es ein gewaltiger Wahlsieg für Ronald Reagan.

Es geht hier jedoch um mehr als nur um die Person Ronald Reagan: Die bis weit in die Arbeiterschaft reichende Mittelklasse hat sich erhoben und einen politischen Richtungswechsel herbeigeführt, der vermutlich historische Auswirkungen weit über die USA hinaus haben wird: eine Herbert-Hoover-Nie-derlage mit umgekehrten Vorzeichen, komplementiert durch die Entmachtung der liberalen Aristokratie im Senat, der erstmals nach 26 Jahren wieder von Republikanern kontrolliert wird.

Reagan ist bloß der Katalysator eines konservativen Trends, der alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfaßt.

An sich konnte man diesen Trend schon seit einigen Jahren beobachten, kaum jemand jedoch wollte ihn definieren. Als Nixon 1972 McGovern auslöschte, sprach man von der Niederlage eines linken Exzentrikers. Eine Anomalie, hieß es. Feinere Sensorien hatten aber schon damals erkannt, daß sich eine neue konservative Mehrheit zusammenfand, die Nixon mit keineswegs demokratischen Methoden verwurzeln wollte.

Wäre Nixon nicht über Watergate gestolpert, die neue konservative Struktur wäre heute bereits jedem klar: Der seit Jahrzehnten frustrierte und steuerlich bestrafte Mittelstand hat mit einem sehr wesentlichen Teil der Arbeiterschaft eine Koalition geschlossen, die die traditionelle Bindung der Minderheiten an die Demokratische Partei abgelöst hat.

Eine bedeutende Schicht der Arbeiterschaft, die (welche Ironie!) sich dank der Politik der Demokraten zum Mittelstand emporarbeiten konnte, fühlt sich heute in ihrer Existenz ebenso gefährdet wie der traditionelle Mittelstand. Der Appell der meisten Gewerkschaftsführer, Carter zu wählen, hatte keinerlei Wirkung und dürfte nun auch zu einem Uberdenken dieser Allianzen führen.

Italiener, Iren und andere Volksgruppen, die früher der Mehrzahl nach demokratisch wählten, sind inzwischen politische Exponenten der einst angelsächsischen republikanischen Parteimaschine geworden. Der neue Senator von New York heißt D'Amato und war noch vor einigen Monaten völlig unbekannt.

Jüdische Wähler wechselten in Scharen zu den Republikanern, weil sie von Carter eine Steigerung der feindseligen Einstellung gegenüber Israel befürchteten. Aber selbst die Hispanier (Amerikaner spanischsprechender Abstammung) und ein Teil der Schwarzen haben ausgelassen. Sie sind zwar nicht zu Reagan übergelaufen, aber sie haben

Carter die überwältigende Zustimmung vorenthalten, die sie ihm noch vor vier Jahren gegeben hatten.

Man fragt sich, wie so etwas eintreten konnte, ohne daß die Meinungsbe-frager eine Vorahnung hatten. „Too close to call”, zu knapp für eine Prognose, hatte es noch am Vorabend der Wahl geheißen.

Aber die Meinungsforscher haben nie über die Befragten hinausgesehen -die es offenbar satt hatten, ihre innere Einstellung an die große Glocke zu hängen - und die zahlreichen konservativen Zweckorganisationen beobachtet, die sich zum Beispiel gegen die Abtreibung oder für moralische Aufrüstung engagiert und die für Reagan viel Geld gesammelt haben; oder die patriotischen Verbände, die für das Schulgebet eintreten, und schließlich die evangeli-sierenden Kirchen und Prediger, die einige liberale Politiker zu Fall brachten.

Diese Gruppen und Organisationen sind das Fußvolk und die niedrige Führerschicht der neuen konservativen Mehrheit, die hier in den USA die nicht existierende Parteiorganisation ersetzt. Diese Organisationen kämpfen weniger für wirtschaftliche Ziele. Sie bäumen sich viel mehr gegen den Verlust der Weltgeltung der USA, gegen die nachlassende Verteidigungsbereitschaft, die Herabsetzung des Patriotismus, gegen Schmutz und Schund und das Uberhandnehmen der Kriminalität auf.

Angesichts dieser fundamentalen Entwicklung ist es eigentlich unwesentlich, die zahlreichen taktischen Fehler der Carter-Kampagne herauszuheben. Es war Zeit für einen Wechsel, und die Darstellung Reagans als eine Satansgestalt oder das zynische Spiel mit den Geiseln ging nach hinten los.

Reagans ständig wiederholte rethori-sche Frage, „Bist du heute besser dran als vor vier Jahren?” zog stärker als die politischen Geschenke, mit denen Carter in den letzten Monaten großzügig seine schwache Front zu stärken suchte.

Was wird nun die konservative Ära bringen? Wenn man den Instinkten ihrer Exponenten folgt: den Versuch, die Wirtschaft durch marktkonforme Methoden und Abbau der Defizite und Bürokratien zu sanieren; das verlorengegangene Terrain gegenüber der Sowjetunion wieder aufzuholen durch Stärkung der Rüstung und vermutlich auch durch Wiedereinführung der Dienstpflicht.

„Friede durch Stärke” ist die Devise der Konservativen, weil sie den Krieg durch Schwäche fürchten. In der Außenpolitik ist Realpolitik statt schwärmerischer Verfolgung abstrakter Menschenrechte zu erwarten; Vergatterung der NATO-Alliierten und Uberprüfung der ostpolitischen Anbiederung.

Das Beispiel Nixon hatte bewiesen, daß die Sowjets auch eine profilierte Außenpolitik mitmachen, wenn sie eine klare Linie verfolgt und nationale Interessen anerkennt.

Zunächst wird das Ausmaß des Sieges die Rückkehr von Politikern des Typs Kissinger blockieren. Der rechte Flügel fordert sein Recht. Aber unter den Reagan-Beratern gibt es gewiß auch noch andere hervorragende Fachleute.

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