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Es wird alles verdoppelt

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Südtirol ist ein Fremdenverkehrsland, das auch gern von italienischen Touristen aus den alten Provinzen besucht wird. Die alten Provinzen - das ist also das übrige Italien. Wir sind die neue Provinz. Im Duden steht unter Provinz: Unter römischer Oberherrschaft und Verwaltung stehendes, erobertes Gebiet außerhalb Italiens. Das entspricht natürlich dem alten Wortsinn. Heute verwaltet sich die Provinz weitgehend selbst, ist autonom, und diese Autonomie mußte regelrecht ertrotzt werden.

Eines der sichtbarsten Zeichen dieser Autonomie ist das neue amtliche Telefonbuch, das nun zweisprachig verfaßt ist. Früher hat man sich damit geholfen, daß unter Innichen, Sterzing, Schlan-ders auf die italienischen Namen verwiesen wurde, also San Candi-do, Vipiteno, Silandro. Heute kann ich nun den Karl Gruber eirmial unter Meran, dann auch unter Merano suchen, einmal wohnt er in der Carduccistraße, dann in der Via Carducci, einmal heißt er Karl, dann heißt er Carlo. Nur die Nummer selbst ist, wenn man Glück hat, dieselbe.

Diese Verdoppelung ist ein beliebtes, in vielen Dingen sehr teures Spiel. Zum Beispiel im Schulsektor. Auf dem Lande, wo es immer weniger Italiener gibt, werden die Klassen immer kleiner und kleiner, bis, so geschehen in Laas, nur mehr ein Schüler übrigblieb. Aber der wtirde nicht etwa mit einem Schulbus in die italienische Volksschule nach Schlan-ders geschickt, sondern man beschäftigte weiterhin für diesen kostbaren Schüler einen Lehrer, einen Religionslehrer, einen Schuldiener mit allem Zubehör, bloß um die Schule nicht auflösen zu müssen.

Schulexperimente im Sinne des Schüleraustausches zwischen deutschsprachigen und italienischsprachigen Oberschulen, von einigen Eltern durchaus gewünscht, werden von oben herab unterbunden, und zwar von der deutschen Seite. Die italienischen

Stellen müssen mitziehen, ob sie wollen oder nicht, da sie wegen der Koalition im Landtag politisch gezwungen werden.

Alles, was nur irgendwie lebenswichtig erscheint, wird verdoppelt. Das Personal muß zweisprachig se’in, und auch die leitenden Beamten. Natürlich ist die Umstellung eine langwierige Geschichte und nicht jeder ist bereit, sie zu akzeptieren.

Zum Beispiel ein höherer Gerichtsbeamter. Man konnte seine Nöte in der Zeitimg lesen. Er hat alle beruflichen Voraussetzungen, leitete sein Amt gewissenhaft, nun muß er infolge der Autonomiebestimmungen seine Deutschkenntnisse unter Beweis stellen. Er ist aber schon etwas älter, jedenfalls hat er keine Lust, sich nochmals auf die Schulbank zu setzen, er pocht auf die Gleichheit aller Staatsbürger, darauf, daß er die gleiche Ausbildung wie seine Kollegen in Florenz hat. Was machen? Man bietet ihm eine zweisprachige Sekretärin an. Nein, das hieße, daß er nunmehr seine Entscheidungen nicht mehr allein treffen kann, ęr müßte sich auf Gedeih und Verderb einer nicht qualifizierten Kraft ausliefern. Er will nicht, die Politiker streiten, er versteift sich auf sein Recht, die Akten wachsen.

Trotz der angeführten Beispiele kann man davon ausgehen, daß das Sprachproblem gemildert und beseitigt werden kann. Aber da gibt es eine neue Barriere. Da kommt ein Italiener mit perfektem Hochdeutsch und ist auch stolz darauf, möchte teilhaben, aber oh weh, man spricht Tiroler Dialekt, und zwar einen sehr uri-gen, und nun ist wieder nichts. Der Zugang ist also nicht nur die deutsche Sprache, es ist der Dialekt. Sonst bleibt man draußen.

Es gibt italienischsprachige Italiener, zweisprachige Italiener, zweisprachige Südtiroler und nur deutschsprachige Südtiroler. Dann gibt es auch Ladiner, die sprechen meist beide Sprachen, dazu ihre eigene und meist noch • andere. Sie leben schon seit Jahrhunderten mit diesem Problem und werden damit fertig. Sie, die der ältesten Sprachschicht angehören, sind geschickte Slalomläufer zwischen den Machtblöcken. Oder sie wandern aus, wenn ihnen diese Welt zu eng wird.

Auch viele andere Südtiroler suchen das Weite. Und wenn sie dann im,Ausland“ Erfolg haben, ist man natürlich stolz, appelliert an ihr Heimatgefühl, schreibt ein Buch „Südtirol von außen“ mit einem Loblied auf die tüchtigen Landessöhne und -töchter. Was könnte sie wiederum nach Südtirol zurückbringen? wird im genannten Buche gefragt. Die Antwort: der Leichenwagen.

Der Autor ist Mitbegründer und Mitherausgeber der SüdtiroTer Kulturzeitschrift ARUNDA.

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