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Ethik & Ordnungspolitik

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Jeder Ordnungspolitik liegen ausgesprochen oder unausgesprochen ethische Vorstellungen zugrunde. Jede Ethik beruht auf einer mehr oder weniger klar präzisierten* * Sicht über das Wesen und den Lebenssinn des Menschen. Die entscheidende Grundlage liefert die Anthropologie als Basis für eine Vorstellung von Sinn und Zweck des menschlichen Lebens aufgrund einer theologisch begründeten Anthropologie (etwa das christliche oder das islamische Menschenbild) oder einer philosophischen Anthropo-

logie aufgrund der wissenschaftlich aufgearbeiteten menschlichen Erfahrung.

Andere Annahmen über die Natur des Menschen führen zu anderen ethischen und in der Folge ördnungspolitischen Konsequenzen.

Zwei Beispiele: Die Annahme, daß die Aufhebung des Privateigentums das Wesen des Menschen grundlegend verändert, ist eine Voraussetzung für das marxistisch-leninistische Ordnungssystem. Die Meinung, die Einführung einer Grundrente ohne Arbeit bewirke, daß die so Alimentierten bisher unverrichtete Alten- und Pflegedienste leisten würden, beruht auf einem idealistischen, wirklichkeitsfremden Menschenbild.

Aus einem humanistischen Menschenbild können etwa folgende Ziele der wirtschaftlichen Tätigkeit abgeleitet werden:

• Die Versorgung mit materiellen und immateriellen Gütern unter Schonung der knappen Ressourcen;

• die Ermöglichung von Einkommen für alle, auch für diejenigen, die auf den Märkten entweder noch nicht, vorübergehend nicht oder nicht mehr Waren oder Leistungen anzubieten haben. Sozial ist jene Ordnung, die es möglich und wahrscheinlich macht, daß diese Zielsetzungen unter Wahrung der Menschenwürde aller Teilnehmer erreicht werden.

Die ethischen Grundlagen jeder Wirtschaftsordnungspolitik bil-

den folgende wissenschaftliche Disziplinen:

• Die Anthropologie als realistische Lehre vom Wesen des Menschen,

• eine Staats- und Rechtsphilosophie als Lehre von den Aufgaben und Grenzen des Staates,

• eine Wirtschaftsethik als Lehre vom Zweck wirtschaftlicher Tätigkeiten und ihrer Rangordnung,

• und eine Gesellschaftstheorie über das sinnvolle Zusammenwirken der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft über den Bereich der Wirtschaft hinaus.

Aus einer Anthropologie, die den Menschen als einmaliges, un- nachahmbares Individuum mit einem persönlichen Lebenssinn sieht, der nur im Zusammenwirken mit anderen Menschen (als soziales Wesen) erfüllt werden kann, lassen sich drei Grundwerte ableiten: das Personalitäts-, das Solidaritäts- und das Subsidiaritätsprinzip.

Nach einem realistischen erfahrungsgestützten Menschenbild ist der Mensch zwar zum Guten bestimmt, aber zum Bösen geneigt; er ist zwar im Besitze der Vernunftsnatur, nicht aber im Besitze

.. kann eine gesellschaftliche Ordnung nur unvollkommen sein …“

der irrtumslosen Erkenntnis des Guten und der stets willigen Neigung zum Guten.

Genauso wie dem Einzelmenschen nur eine Annäherung an die Vollkommenheit des Lebens nach der sittlichen Ordnung möglich ist, kann eine gesellschaftliche Ordnung — in der überdies stets „Gute“ und „Böse“ nebeneinander leben — immer nur unvollkommen sein. In der Gesellschaft besteht nämlich eine Tendenz zur Fehlentwicklung und in der Gesellschaftsordnung eine Tendenz zum Versagen, daher sind dauernde Wachsamkeit und unausgesetzte Anstrengungen erforderlich, um diesen Mängeln stets aufs neue entgegenzuwirken.

Überdies sind nicht alle sozialen Probleme lösbar. Es gibt auch solche, mit denen man zu leben

lernen muß. Es kann daher nie eine Wirtschaftsordnung in Aussicht gestellt werden, die die menschliche Freiheit und eine gerechte Ordnung auf Dauer sichert, sondern nur eine solche, die die menschliche Freiheit vorrangig verwirklicht und gerechtere Lösungen verspricht, die immer wieder aufs neue korrigiert werden müssen, und die nicht mehr neue Probleme aufwirft, als sie bestehende löst.

Der Autor ist Nationalbankpräsident a. D., sein Beitrag ein Auszug aus einem Vortrag.

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