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Ethikunterricht für Techniker?

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Die Frage lautete: „Braucht die Technik Moral?” Auf sie eine Antwort zu finden, waren - auf Einladung des Klubs für Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten - in der Vorwoche nicht nur Techniker zu einer Diskussion an der Technischen Universität Wien zusammengekommen. Auch ein Theologe, ein Chirurg, ein Psychiater saßen auf dem Podium.

Richtiger hätte die Frage nach der Ethik lauten müssen, denn die Suche ging letzten Endes doch um die Fragen von Gut und Böse in der Technik, um die Beseitigung der Wertunsicherheit -nicht um die Frage nach der Offenbarung, die dem Techniker meist fernliegt.

Und noch richtiger hätte man nach der Ethik des Technikers, nicht der Technik fragen müssen, denn nicht die Suche nach der Erkenntnis, nicht die Schaffung neuer Hilfsmittel zur Verbesserung des Lebens ist ethisch relevant, sondern ihr Einsatz: Der Mensch, der sich neue Erkenntnisse zu eigen macht, steht unter ethischem Auftrag -sei er der suchende Forscher, der entwickelnde Techniker oder der benützende „Konsument”.

Rektor Wilfried Nöbauer, Mathematiker vom Fach, erinnerte an Leonardo da Vinci: Der große Renaissance-Künstler verzichtete auf die Ausführung seiner Pläne, ein Unterseeboot zu bauen, weil er erkannte, daß seine Erfindung zu jenem Zweck eingesetzt, Schiffe zum Sinken zum bringen. 300 Jahre später kam Robert Fulton auf die gleiche Idee - und prompt wurde seine Erfindung zu jenem Zweck eingesetzt, den Leonardo gefürchtet hatte. Seither ist das U-Boot Kriegswaffe geblieben. Daß die heutigen Atom-U-Boote dazu beitragen, durch das Gleichgewicht der 'Abschreckung den Frieden zu bewahren, ist nur ein schwacher Trost.

Selten weiß der Forscher vorher, welche Folgerungen aus seiner Arbeit erwachsen.. Elektroniker Fritz Paschke skizzierte die Entwicklung des Laser, geboren aus dem uralten Menschheitstraum, kohärentes - einfarbiges -Licht zu erzeugen. Niemand habe auf dem langen Weg zu dieser Erfindung an militärische Verwendungen gedacht. Heute operiert der Augenchirurg mit dem Laserstrahl blutlos Schäden der Netzhaut - aber die „Lichtkanone” geistert heute auch nicht mehr nur durch Science-fiction-Romane.

Auch moralische Begriffe ändern sich, meinte der Chirurg Jan Navratil. Theodor Billroth, sein großer Vorgänger an der Klinik vor 100 Jahren, hätte jeden operativen Eingriff am Herzen strikt verbannt - heute seien Herzoperationen selbstverständlich. Die moderne Technik bietet die Hilfsmittel.

Die moderne Technik darf aber nicht dazu führen, die menschliche Betreuung des Patienten durch die Maschine zu ersetzen - Navratil selbst hat solche Tendenzen an der Intensivstation seiner Klinik sofort abgestellt.

Die moderne Technik hilft, auch bereits - unter normalen Umständen -Todgeweihte zu retten. Bietet aber nicht gerade der eben erst erlebte „Fall Tito” ein abschreckendes Beispiel (wenn man von der politischen Notwendigkeit einer Ubergangszeit absieht)?

Der Arzt muß - mit Hilfe der Technik - das Leben erhalten, solange noch ein Funken Hoffnung besteht, betonte Navratil. Aber er muß auch im Katastrophenfall, wenn die Möglichkeiten zu helfen beschränkt sind, entscheiden, wem geholfen werden soll - eine schwere ethische Entscheidung.

Wer hilft dem Arzt, wer hilft dem Techniker bei den ihm abverlangten ethischen Entscheidungen? Prorektor Anton Kolb aus Graz, als Theologe für die Sinnfragen des Lebens zuständig, plädierte für eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Bereiche, um ein ganzheitliches Menschenbild der Arbeit der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zugründezulegen und auch der Gesellschaft nahezubringen. Die Theologie könnte zur sinnvollen Ergänzung, zur Wahrung der jeweiligen Grenzen beitragen.

In der Diskussion sprach man von der „Entmythologisierung” der Technik, vom Ende der Fortschrittseuphorie, vom Ende des Glaubens an die totale Machbarkeit. Ist die Zunahme der Neurosen, der psychosomatischen Erkrankungen, der Charakterstörungen gerade in technisch hochentwickelten und mit hohem Lebensstandard ausgerüsteten Ländern - die der Psychiater Hans Strotzka diagnostizierte - ein Symptom dieser Ernüchterung? Die Tiefenpsychologie könnte hier helfen, meinte er.

Für Rektor Nöbauer war das Stagnieren der Hörerzahlen an der Technischen Universität das auslösende Element seiner Überlegungen gewesen. Finden die Jungen keine Befriedigung mehr in einem Beruf, der ihnen die Antwort auf die Sinnfragen schuldig bleibt? Schwärmen sie, wie er meinte, von einem „weltweiten Longo Mai”, wo man sich darauf zurückziehen könnte, Schäfiein zu züchten und „natürlich” zu leben?

Die Idee eines eigenen Lehrangebots „Ethik für Techniker” fand wenig Begeisterung - sie würde wohl auch bei den . Studenten kaum ankommen, meinte man. Prof. Kolb wollte sie als „Unterrichtsprinzip” verstanden wissen, Teil einer verbesserten Allgemeinbildung, die nicht nur dem Techniker vonnöten wäre. Und wenn der „Konsument” mehr Wissen von der Technik hätte, ließe sich auch von der anderen Seite her das Gespräch verbessern.

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