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Ethisch nicht vertretbar

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Tschernobyl hat nun auch Auswirkungen auf die Kirche: Erstmals gibt es eine dezidierte Ablehnung der Atomenergie aus dem Mund eines österreichischen Bischofs.

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Tschernobyl hat nun auch Auswirkungen auf die Kirche: Erstmals gibt es eine dezidierte Ablehnung der Atomenergie aus dem Mund eines österreichischen Bischofs.

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Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl haben sich Unsicherheit und Angst unter den Menschen ausgebreitet. Bedrückt sind vor allem die Jugendlichen sowie die schwangeren Frauen und die Mütter und Väter, die sich um die Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeiten ihrer Kinder sorgen.

Ich fühle mich als Bischof diesen Menschen tief verbunden. Nach gemeinsamen Überlegungen mit den Diözesanverantwort-

liehen der Katholischen Aktion und der Seelsorge sehe ich mich zu folgenden Aussagen veranlaßt: Die Ereignisse von Tschernobyl haben uns wachgerüttelt, weü sie uns gezeigt haben,

• daß die Atomtechnik heute nicht sicher genug beherrschbar und vor allem menschliches Versagen niemals auszuschließen ist. Auf diese Weise sind Mensch und Natur in die Zukunft hinein belastet und in ihrer Existenz bedroht;

• daß von den Auswirkungen eines größeren Atomunfalles nicht nur die unmittelbare Umgebung einer Anlage betroffen ist, sondern praktisch die ganze Welt;

• daß uns im Grunde Erfahrung und Wissen fehlen, in welcher Weise den Folgen eines Unfalles begegnet werden könnte.

Aus dieser Erkenntnis heraus erscheinen unter heutigen Gegebenheiten Bau und Betrieb von Atomkraftwerken und ähnlichen Anlagen ethisch nicht mehr vertretbar. Deshalb ist es auf jeden Fall notwendig und sinnvoll, sich von der Vergeudungs- und Wegwerfwirtschaft abzuwenden.

Konkrete Maßnahmen sind vor allem: Vermeidung von Energievergeudung in Produktion, Haushalt und Verkehr, Verbesserung der Wärmedämmung bei Gebäuden, Nutzung der Abwärme und alternativer Energiequellen.

Als konkreter Beitrag der Diözese sollen die kirchlichen Gebäude auf Möglichkeiten der Energieeinsparung untersucht und entsprechende Maßnahmen gesetzt werden.

Ich glaube, daß in der nun gegebenen Situation ängstliche Panik fehl am Platze ist, weil sie unsere Gedanken lähmen und in die Sackgasse der Resignation oder Radikalisierung führen könnte.

In Sorge um die demokratische

Ordnung und den inneren und äußeren Frieden appelliere ich sowohl an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft als auch an die Engagierten in den Bürgerbewegungen, den Stil der Auseinandersetzungen um die Atomenergie an die Grundwerte der Demokratie zu binden.

Die Katastrophe von Tschernobyl zeigt, daß Umkehr notwendig ist. In christlicher Hoffnung glauben wir an diese Möglichkeit. Es gibt bereits viele erfreuliche Ansätze neuer Wertungen und Haltungen, die es zu bestärken gut:

• die Empfindsamkeit der Menschen in Fragen des Schutzes menschlichen Lebens und der natürlichen Umwelt,

• den Willen zu einer sachlichen Auseinandersetzung über Möglichkeiten und Grenzen der modernen Technik,

• das Denken in weltweiten Dimensionen, über politische, ideologische und konfessionelle Gren-

zen hinweg,

• die Bereitschaft zur persönlichen Umkehr, zum sorgsamen Umgang mit den Gütern der Erde und zur Entwicklung eines einfachen Lebensstils,

• das engagierte Eintreten vieler Initiativgruppen im Rahmen der demokratischen Ordnung zur Beeinflussung politischer Entscheidungen für die Gestaltung der Lebensbedingungen.

Die Katastrophe von Tschernobyl hat uns erneut deutlich gemacht, daß der Mensch die Natur als Schöpfung Gottes respektieren muß und sie nicht in eigener Willkür, sondern nur in Ubereinstimmung mit den Geboten des Schöpfers verändern darf. Deshalb vertrauen wir als Christen auf die Kraft des Gebetes, das uns stärkt in der Hoffnung, die Welt friedlich und menschenwürdig zu gestalten.

Wortlaut des Hirtenbriefs, den der Bischof von Linz am 11. Juni 1986 veröffentlicht hat.

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