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„... etwas gegen Juden'

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Das Thema „Antisemitismus“ beschäftigt immer wieder die Geister, ganz besonders nach der leidvollen Erfahrung, daß trotz der Niederringung des nationalsozialistischen Verbrecherregimes seine antisemitische Ideologie nicht auch überwunden wurde. Die Geschichte kennt den Antisemitismus als ein höchst anpassungsfähiges Phänomen. Die Autorin Elisabeth Endres spricht daher zurecht von Metamorphosen des Antisemitismus. Ihn gibt es auch dort, wo die Wirtschaftliehen und sozialen Probleme, die oft zur Begründung des Antisemitismus vorgebracht wurden, nicht gegeben sind.

Es gibt auch einen Antisemitismus ohne Juden. Man hat den Eindruck, daß selbst die Existenz des Judentums für viele zum Ärgernis geworden ist. Nur derjenige kann -wenn er es überhaupt will - antisemitische. Tendenzen überwinden, der den Hintergrund dieses Phänomens versteht. Daher sind alle Analysen des Antisemitismus, die religiös-theologischen, historischen, wirtschaftlichen, soziologischen und psychologischen wichtig, weil sie alle bedeutende Teilaspekte bloßlegen, ohne deren sachgemäßes Verständnis eine Überwindung des Antisemitismus nicht möglich ist.

Dieses Buch ist aber nicht nur ein Werk über den Antisemitismus und ein Zeugnis höchst anständiger Menschlichkeit, sondern auch - und man hat fast den Eindruck, daß es das in erster Linie ist - eine Anklage gegen unreflektierte Kirchlichkeit durch eine engagierte Christin. Für das Kirchenbild der Tradition, das auch noch das vieler Traditionalisten in der Kirche ist, galten und gelten die Juden als „Glaubensverweigerer“ mit all den negativen Folgen, die sich aus dem jüdisehen „Unglauben“ ergeben. Daran änderten leider alle kirchenamtlichen Erklärungen nichts. Man muß nur an die beschämende Haltung gewisser Traditionalisten denken, als Bischof Reinhold Stecher der unseligen Verehrung des „seligen Anderl von Rinn“ im Tiroler Ort Judenstein ein Ende setzte.

Diese unbestreitbaren Vorurteile des Buches bringen - wie alles Menschliche - auch gewisse strukturelle Mängel mit Sich. Man hat den Eindruck, daß die Juden vornehmlich Material für die Kirchenkritik der Autorin sind. Das wird besonders deutlich, wenn manche Formulierungen in ihrem vortrefflichen und mitreißenden Stil weit über das Belegbare hinausgehen. Es handelt sich hier aber immer um Fakten der Judaistik und nicht um solche der Kirchen- oder europäischen Literaturgeschichte.

So ist zu lesen, daß der jüdische Glaube den Juden das Zinsnehmen verboten hätte. Seit dem 12. Jahrhundert gibt es eine breit gestreute hebräische Literatur, die das Zinsnehmen rechtfertigt. Hätten die Juden infolge der ihnen auferlegten Gesetzgebung auch eine andere Möglichkeit zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gehabt?

Ebenso scheint die Autorin ohne Berücksichtigung der religionsgeschichtlichen Fakten formgeschichtlichen Erwägungen in der Exegese des Neuen Testaments zu sehr zu vertrauen. Hier hätte auch die Kenntnis hebräischer Quellen zu sachlich richtigen Aussagen führen können. So etwa meint die Verfasserin, daß der Hohepriester „wohl kaum die Frage gestellt hat“, ob „Jesus der Sohn Gottes sei“. Dabei bedachte sie wohl nicht, daß „Sohn Gottes“ im adoptianischen Sinn schon im Alten Testament zur davidischen Königsideologie gehört und auch noch im Qumran für den davidischen Messias verwendet wurde. Auch die genaue Formulierung der Frage durch den Hohepriester „Sohn des Hochgelobten“ entspricht spezifisch jüdischer und nicht frühchristlicher Terminologie. Der Hohepriester hatte sicherlich nicht die christliche, wohl aber die jüdisch adoptianische Auffassung vom Sohn Davids als Sohn Gottes.

Diese Bemerkungen von judai-stischer Seite stehen aber nur am Rande. Viele antisemitische Erscheinungen wurden von der Verfasserin beim richtigen Namen genannt. Die Gefahr des antisemitischen sogenannten „Judenwitzes“ wurde absolut richtig erkannt. Der kirchenkritische Aspekt aber bewirkt, daß weder der vorchristliche heidnische Antijudaismus erwähnt noch auch der antichristliche Rassenantisemitismus als ebenfalls „kirchenkritisches“ - nur äußerst antikirchliches Phänomen charakterisiert wurden.

Christen dürfen nicht vergessen, daß eine Jahrhunderte währende christliche Verunglimpfung und Verfolgung des Judentums der Mutterboden war, auf dem gegen Ende des 19. Jahrhunderts der antichristliche Antisemitismus entstehen und zu den blutigen Folgen der Schoa führen konnte.

Der Autor ist Professor für Judaistik in Wien.

DIE GELBE FARBE. Von Elisabeth Endres. Piper-Verlag, München 1989.264 Seiten, geb., öS 280,80.

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