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Euphorie und Fragezeichen

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98 Prozent der ÖVP-Parteitagsde-legierten wählten vor zwei Wochen Josef Taus zum neuen Bundespartei-obmann und Erhard Rusek zum neuen Generalsekretär der Volkspar-tei, die nun für längere Zeit ihre Generationsprobleme an der Führungsspitze gelöst haben sollte. Taus brillierte als neugewählter Parteiobmann mit einer fulminanten Rede, die den Delegierten das Gefühl gab, daß i— jetzt erst recht — die Wahl am 5. Oktober für die ÖVP noch lange nicht verloren ist. In Fernsehauftritten danach gab sich Josef Taus als wendiger und geschickter Formulierer mit großem theoretischen und praktischen Background. Man wird den TV-Diskussionen zwischen den Obmännern der beiden großen Parteien mit großem Interesse entgegenblicken dürfen, wenngleich allein in einem Studio keine Wahlen zu gewinnen sind;

Die Euphorie in der Volkspartei kennt derzeit keine Grenzen, weil der Erwartungshorizont der Funktionäre nicht von der politischen Realität, sondern von einem Ubermaß an Hoffnungen abgesteckt ist. Hoffnungen können Berge versetzen, ob sich damit aber Wahlen gewinnen lassen, ist eine ganz andere Frage. Es stimmt, daß in der Sozialistischen Partei zur Zeit große Unsicherheit herrscht. Auch die Berichterstattung im Parteiorgan „Arbeiter-Zeitung“ über Josef Taus ist kaum geeignet, einen klaren Kurs zu setzen. Man schiebt Taus die Haselgruber-Affäre in die Schuhe, nennt ihn „herzlos“, einen Neuling in der Politik und einen Vertreter der „Geldwirtschaft“. Nun, Taus trat lange nach der Haselgruber-Affäre in die Girozentrale ein, unter seiner Leitung wurden die Folgen der Haselgruber-Affäre abgebaut und die Girozentrale zum zweitgrößten Bankinstitut aufgebaut. Als Vertreter der „Geldwirtschaft“ (wie etwa die Generaldirektoren Ockermüller, Kienzl, Mantler, Flöttl — alles Mitglieder der SPÖ und hohe Bankfunktionäre) vermittelte er Spargelder zur Kreditfinanzierung kommunaler Investitionen. Daß das eine unseriöse Sache sein soll, werden doch gerade die Sozialisten nicht behaupten wollen. Was den „Neuling“ Taus betrifft, so ist festausteilen, daß Androsch das Finanzministerium bereits mit 33 Jahren übernommen hat. Immerhin agiert Josef Taus seit bald sieben Jahren als Aufsichtsratspräsident der ÖIAG und niemand wird ernsthaft bezweifeln, daß die Führung der verstaatlichten Industrie in Österreich eine hochpolitische Aufgabe ist, die Taus im übrigen auch stets zur Zufriedenheit der Sozialisten gelöst hat.

Möglicherweise wird sich die SPÖ aus ihrer Unsicherheit befreien, wenn Bundeskanzler Kreisky wieder das Heft in die Hand nimmt. Dabei wird sich Kreisky freilich einiges einfallen lassen müssen. Josef Taus — und vor allem daraus erklärt sich seine 98-Prozent-Wahl am ÖVP-Parteitag — ist ein ernsthafter Gegner, der just dort stark ist, wo Bruno Kreisky erhebliche Schwächen hat und dort noch immer wettbewerbsfähig ist wo Kreisky stark ist: Im politischen small-talk, in der Argumentation am Fernsehschirm, in der Reaktionsgeschwindigkeit...

Das neue ÖVP-Führungsduo hat nach seiner Einkehr in die VP-Bun-desparteileitung versprochen, bis zum 5. Oktober die Behandlung aller offenen Personalfragen zu sistieren. Sicherlich werden sich Taus und Bu-sek spätestens nach dem 5. Oktober daranmachen, die Parteizentrale und auch die Organisation effizienter zu gestalten. Daß es auf diesem Gebiet sehr viel zu tun gibt, wissen die am besten, die gelegentlich über die

Qualität des Parteiapparates klagen. Und das waren zuletzt gar nicht wenige.

Josef Taus weiß am besten, was in der Politik von Vorschußlorbeeren zu halten ist Wahrscheinlich kommt ihm die euphorische Stimmung in der ÖVP gar nicht gelegen, weil sie von harter Arbeit ablenkt und überdies die Gefahr stärkt, die Wahl vom 5. Oktober zu einer ausgemachten Sache zu erklären. Davon kann freilich keineswegs die Rede sein. Die letzte Meinungsumfrage weist noch einen sehr deutlichen Vorsprung der SPÖ (54 Prozent) vor der ÖVP (40 Prozent) aus. Sicherlich: Dieser Vorsprung ist nicht uneinholbar, aber er ist eine Belastung, mit der man nicht durch gut organisierte Parteitage und brillante Männer an der Spitze von heute auf morgen fertig werden kann.

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