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Eurokommunismus und Anarchie wurden abgewählt

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Rund sechs Millionen Belgier haben mit drei verschiedenen Stimmzetteln ihre Volksvertreter, Senatoren und Provinzialräte gewählt. Das Ergebnis brachte erhebliche Stimmengewinne für die christdemokratischen Parteien und damit für die Position des Ministerpräsidenten Leo Tindemans.

Die Wahlergebnisse in Wallonien, Flandern und Brüssel haben nachgewiesen, daß die Belgier in den letzten Wochen gründlich über sich selbst nachgedacht haben. Sie stimmten vorwiegend für die großen Parteien, von denen sie eine schnelle Lösung der ökonomischen Schwierigkeiten zu erwarten scheinen. Bei einem Angebot von acht nationalen und 37 regionalen oder lokalen Listen haben die belgischen Wähler sich unmißverständlich für die traditionellen Parteien entschieden und jedem politischen Extremismus eine deutliche Absage erteilt.

Kennzeichnend hiefür ist der Zusammenbruch der wallonischen Sammlungsbewegung, die zwei Drittel ihrer Parlamentssitze verloren hat. Die vom „Roten Baron“ Gendebien propagierte Schwenkung des „Rassemblement Wallon“ in radikalsozialistische Ardennenpfade ist vor allem von den heimattreuen christlichen Arbeitern abgelehnt worden. Ihre Stimmen sind fast gleichmäßig den Liberalen, den sozialen und den christlichen Demokraten zugefallen.

An den Einzelergebnissen in Wallonien läßt sich ablesen, daß diese vier Provinzen überhaupt nicht links stehen, wie vor den Wahlen hartnäckig behauptet worden ist. Auch die in der Vergangenheit hochgespielten

Sprachproblemeerscheinen im Lichte der Wahlergebnisse deutlich als Aufgabe zweiter Größenordnung. Dies gilt ebenfalls für die Hauptstadt Brüssel mit ihren Randgemeinden. Hier haben sich die frankophone FPF und die liberale PL gut behaupteten Flandern dagegen hat die liberale Regierungspartei PW drei Abgeordnetensitze, die Volksunie deren zwei verloren.

Die sozialistische BSP dagegen konnte sich behaupten. Den größten Erfolg aller Parteien jedoch konnte die christliche Volkspartei CVP verbuchen. Sie gewann sechs Sitze hinzu. Zweifellos hat hiebei der „Tinde- mans-Effekt“ eine große Rolle gespielt - ein plötzlich aufgetauchter Begriff, der einerseits das Versagen anderer Parteien entschuldigen, anderseits den Wahlerfolg der CVP verharmlosen soll.

Zusammen mit der wallonischen Schwesterpartei DSC unter dem Vorsitz von Georges Gramme verfügen die Christdemokraten nun über 80 der 212 Sitze in der Kammer. Die sozialistischen Parteien BSP und PSB haben 62, die liberalen Parteien zusammen 33

Sitze. In Brüssel hat die frankophone FDF einen Sitz hinzugewonnen und kommt damit auf zehn Abgeordnete. Während die flämische „Volksunie“ noch mit 20 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, schmolz das RW auf fünf Sitze zusammen. Die kommunistische Partei ist von vier auf zwei Sitze zurückgefallen.

Einen Tag nach der Wahl ist die Regierung Tindemans zurückgetreten. Es besteht kaum noch Zweifel daran, daß das neue Kabinett Tindemans - sobald die Konsultationsrunde des Königs abgeschlossen ist - eine breite parlamentarische Basis haben wird. Die Führer der großen Parteien haben sich inzwischen zustimmend geäußert. CVP-Vorsitzender Wilfried Martens wünscht eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Staatsreformen durchführen zu können, betont aber auch die Notwendigkeit einer homogenen Regierungsmannschaft, die zusammenarbeitet, um zuerst die aktuellen Probleme zu lösen.

Ideologische Parteiinteressen müssen zurückgestellt werden. An Leo Tindemans wird es hegen, das von ihm erbetene und erhaltene Wählervertrauen auf glaubwürdige Mitarbeiter zu übertragen, um volle vier Jahre regieren zu können. Belgien hat auf Eurokommunismus und Anarchie verzichtet.

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