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Europa auf dem Weg zur Krise
Zu keiner Zeit in den vergangenen vierzig Jahren standen die Chancen für einen politischen Ost-West-Dia- log so gut wie heute. Nach Jahr- zehnten, angeblich durch militäri- sche Abschreckung zumindest im Machtbereich der beiden Super- mächte in der nördlichen Hemisphä- re gesicherten Friedens, nimmt man Abschied von bloßer militärischer Sicherheit. In Europa bricht damit das Zeitalter der politischen Krisen (im griechischen Sinn: der hoff- nungsvollen Entscheidungen) an.
Den Supermächte-Vertretern George Bush und Michail Gor- batschow, die einander diese Wo- che in Washington treffen werden, ist trotz konkreter Problemvielfalt in dieser Lage sokratische Gelas- senheit anzuraten. Wer um die Ungewißheit der Zukunft der von den Supermächten dominierten Militärblöcke und Europas weiß, hat die richtige Ausgangsposition. Dieses „Wissen" zeigt sich auf Sei- ten der USA vorerst in politischer Visionslosigkeit; auf sowjetischer Seite in Form konfuser Machtlosig- keit gegenüber den Auflösungser- scheinungen im eigenen Imperium.
Das Londoner International In- stitute of Strategie Studies (IISS) hat in seinem jüngsten „Strategie Survey" die „fortgesetzte Ungewiß- heit, aus der schließlich eine neue Form der internationalen Beziehun- gen erwachsen wird", als „einzige Gewißheit" bezeichnet, die sich aus den gegenwärtigen Krisen in Euro- pa ausmachen läßt.
Für die Supermächte gilt es Ab- schied zu nehmen vom alles bestim- menden „worst case thinking", das in immer gigantischeren Rüstungs- anstrengungen seinen bedrohlichen Ausdruck gefunden hat. „Neues Denken" hat sich zu wenig durch- gesetzt. Trotz Zerfalls des War- schauer Paktes herrscht auf N ATO- Seitenoch Blockdenken vor. Sicher- heitspolitische Überlegungen blok- kieren die wirtschaftliche Zusam- menarbeit der USA mit der UdSSR (China erhielt beispielsweise die Meistbegünstigungsklausel, die So- wjetunion wartet vergeblich dar- auf). Die Sowjets wiederum pochen - was angesichts der NATO-Hal- tung zu erwarten war - auf Erfüllung der Verpflichtungen der Warschauer Pakt-Staaten, vornehmlich der DDR, und bremsen bei den Wiener Abrüstungsgesprächen.
Die verheerende Wechselwirkung von Mißtrauen und Rüstung wurde bis jetzt erst in Ansätzen durchbro- chen. Trotzdem hat sich, nicht zu- letzt durch die Gipfeltreffen, at- mosphärisch zwischen den Super- mächten so viel gelockert, daß jetzt die Stunde Europas schlagen kann. Der Pfingst-Gipfel sollte das bestä- tigen.
In Europa zeichnet sich ein neuer sicherheitspolitischer, blocküber- schreitender Weg innerhalb der KSZE ab. Und diese Möglichkeit wird mittlerweile sogar von bisher total auf die NATO-Sicherheitspo- litik eingeschworenen Medien Westeuropas mit der Formel „NATO und KSZE" goutiert.
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