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„Europa braucht viel mehr Demut”

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Wer sind eigentlich die diplomatischen Vetreter von Österreichs Nachbarstaaten in Wien? Wie leben Sie, welche politische Laufbahn haben sie hinter sich, wie sehen ihre Beziehungen zu Österreich aus? Wir beginnen eine Serie in lockerer Folge über unsere Nachbarschaftsbeziehungen in diplomatischer Sicht. Startschuß: die Tschechische Republik.

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Wer sind eigentlich die diplomatischen Vetreter von Österreichs Nachbarstaaten in Wien? Wie leben Sie, welche politische Laufbahn haben sie hinter sich, wie sehen ihre Beziehungen zu Österreich aus? Wir beginnen eine Serie in lockerer Folge über unsere Nachbarschaftsbeziehungen in diplomatischer Sicht. Startschuß: die Tschechische Republik.

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FURCHE: Was waren Ihre ersten Erlebnisse mit Österreich?

BOTSCHAFTER PAVEL JAJTNER: Ich hatte Beziehungen zu Österreich schon über meinen Großvater. Er war Tischler, hat in Mähren gelernt und ist dann - wie viele Gesellen - nach Wien gegangen. Das war noch vor dem Ersten Weltkrieg 1910.

Meine Mutter war Lehrerin der deutschen Sprache. Nach 1957, als mein Vater von den Kommunisten eingesperrt worden war, wurde sie krank, konnte nicht mehr unterrichten. Der Österreichische Rundfunk war in der Zeit, als sich meine Mutter nur mehr im Rollstuhl fortbewegen konnte, ein offenes Fenster in die Welt. Sie hat viel zugehört und uns sehr viel darüber berichtet.

Dann gibt es noch etwas sehr Intimes, das ich in Österreich 1967 erlebt habe. Das war die Zeit, als es für uns Bürger der damals sozialistischen Tschechoslowakei erstmals möglich war, ins Ausland zu fahren. Ich war damals 20 Jahre alt. Wir machten eine Sonderfahrt nach Wien und nach Mariazell - und auf dieser Reise habe ich meine Frau kennengelernt. Die schönsten Augenblicke des ersten Kontaktes haben wir also in Österreich erlebt.

FURCHE: Sind Sie ein Mährer?

JAJTNER: Halb und halb. Mein Vater ist Mährer, meine Mutter stammt aus Böhmen. Und ihr Vater war auch Mährer. Vielleicht liegt die Wurzel unseres Stammes mehr in Mähren, mein Name deutet darauf hin. Diese Gebiete in Mähren waren ja Kolonisationsgebiete, Grenzgebiete. Zwischen Böhmen und Mähren gab es dichten Urwald und im 13. Jahrhundert wurde hier kolonisiert. Ottokar Przemysl II. hat deutsche Kolonisten ins Land geholt, weil die eine bessere Technologie hatten. Man kann nicht ausschließen, daß irgendwo eine Verwandtschaft mit deutschsprechenden Böhmen und Mährern besteht, wir sind ein Volk von zwei Sprachen. Das hat schon Willy Lorenz...

FURCHE: Er war FUR-CHE-Chefredakteur...

JAJTNER: Ja, er hat einen wunderschönen Brief geschrieben „Das ist die Liebe zu Böhmen”, in dem er über die Verwandtschaft nachdenkt. In den letzten Bildern finden sich wunderschöne Worte darüber, daß es besonders der Hochmut war, der immer schlechte Auswirkungen hatte.

Was wir brauchen, ist mehr Demut. In ganz Europa brauchen wir mehr Demut, überall mehr Verständnis.

FURCHE: Wie verlief Ihr politischer Werdegang?

JAJTNER: Natürlich habe ich nie davon geträumt, Politiker und letztlich Diplomat zu werden. Ich bin 46 Jahre alt, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Meine Eltern waren Lehrer. Mein Vater unterrichtete Geschichte, nicht jene, die die Kommunisten wünschten, sondern die Wahrheit. Nach der ungarischen Revolution von 1956 kam er deswegen ins Gefängnis. Meine Mutter unterrichtete Deutsch, das habe ich schon gesagt. Ich durfte nicht aufs Gymnasium, also habe ich eine Lehre als Elektrotechniker abgeschlossen, danach durfte ich an die Mittelschule, machte die Matura und begann zu studieren - Elektrotechnik in Brünn. Das war ein indifferentes, un-ideolo-gisches Fach. Man mußte als Elektrotechniker nicht so konform mit dem Regime gehen wie beispielsweise ein Professor, obwohl mich Sprachen, Philosophie, Religion mehr interessiert hätten. Ich komme aus einer katholischen Familie. Die schönste Erinnerung aus meiner Kindheit war die Kirchenmusik. Ich habe selbst musiziert, habe jahrelang Geige gespielt. Jetzt komme ich nicht mehr dazu.

Sechzehn Jahre habe ich nach Abschluß des Studiums in Brünn als Techniker gearbeitet, teilweise auch im Marketing.

FURCHE: Wie erlebten Sie das Jahr 1968, Prager Frühling und das Ende ?

JAJTNER: Ich war 21, habe in Brünn studiert und mich auch an verschiedenen Protestaktionen beteiligt. Wir hatten mit großen Hoffnungen auf den Prozeß geschaut, der im Jänner 1968 begonnen, aber nur bis August gedauert hat. Ich habe die Demokratisierung auf der Hochschule gespürt. Das war fantastisch. Wir haben eine Selbstverwaltung errichtet und eine eigene Zeitschrift herausgegeben. Wir konnten auch reisen, das habe ich auch ausgenutzt. Wie gesagt, war das nur von kurzer Dauer. Jetzt, mit Abstand, sehe ich, daß wir doch etwas naiv waren. Denn wir hatten gehofft, daß es uns gelingt, in der damaligen Tschechoslowakei den Kommunismus zu reformieren. Aber ohne Änderungen in der Sowjetunion war das nicht möglich, das haben wir auch gesehen.

FURCHE: Hatten Sie später Kontakte zur Charta 77?

JAJTNER: Ja. Die Charta 77 war eine breite liberale Vereinigung. Ergebene, gute, orthodoxe Katholiken und natürlich auch enttäuschte Kommunisten. Das war sozusagen alles in einem Sack. Ich habe mich mehr an den kirchlichen Strukturen orientiert.

Das war auch ein Zeichen der Opposition zum Regime. Das war unerwünscht und wir wurden verfolgt.

An unserer Generation resignierten die Kommunisten, sie meinten, wir wären noch in den Vorurteilen der alten Zeiten aufgewachsen. Deshalb bekämpfte man den Religionsunterricht. Ich habe mit Lehrerinnen meiner (vier, Anm.d.Red.) Kinder darüber gesprochen: und ich habe festgestellt, daß die überhaupt nichts davon wußten, was das heißt, die Kinder in den Religionsunterricht zu schicken. Als ich sie auf die ethische Erziehung ansprach - welche Alternative gibt es zu den Zehn Geboten? - da war die gute Frau überrascht, weil sie offensichtlich nie über das Problem nachgedacht hatte. Sie war sozusagen Atheistin bona fide. Religion war für sie ein für allemal erledigt - und sie nahm sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken.

Mit dem Nichtwissen beginnt eine Spirale, die zu Haß führt. Nichtwissen führt zu Mißtrauen und Mißtrauen zu Haß - und Haß zur Gewalt. Das merken wir heute auf dem Balkan wieder.

FURCHE: Wann bemerkten Sie Veränderungen in der Tschechoslowakei?

JAJTNER: Mit Gorbatschow ab 1985 hat man das schon gespürt. Ich bin 1987 in die Christliche Volkspartei eingetreten. Aber wir haben uns damals nur auf Aktivitäten konzentriert, die Leute zusammenzuholen. Weil echte politische Arbeit war noch nicht möglich. Nach 1989 konnte ich mich nicht weiter der Politik verschließen. Ich wurde bereits 1990 zum Bürgermeister von Pf ibyslav, das ist die kleine Stadt, aus der ich stamme, nördlich von Ihlava, gewählt. Im Herbst 1990 wurde ich zum Bezirkshauptmann von Havlickuv Brod ernannt. 1992 bin ich ins Föderalparlament gewählt worden - diese Phase dauerte nur ein halbes Jahr, weil dann ja die Föderation zerfiel.

FURCHE: Wie schätzen Sie die gegenwärtigen Beziehungen zwischen der Tschechischen Republik und Österreich ein?

JAJTNER: Ich habe vor Amtsantritt - am 17. Juni habe ich Bundespräsident Thomas Klestil das Beglaubigungsschreiben überreicht - Herrn Niesner, den österreichischen Botschafter in Prag kennengelernt. Er hat mir gesagt: Es ist nichts einfacher, als tschechischer Botschafter in Wien zu sein. Ich habe gesagt: Natürlich, das ist der Anfang. Das ist genauso wie mit Mozarts Musik: für den Laien klingt alles ganz einfach, doch für den Profi ist sie sehr schwierig. Man muß nämlich das spielen, was nicht in den Noten steht. Und da bin ich in der gleichen Situation.

Ich bin überzeugt, daß die Beziehungen zwischen der tschechischen Republik und Österreich jetzt besser sind als nach dem Ersten Weltkrieg.

FURCHE: Werden Sie eigentlich mit den Problemen Temelin und Sudetendeutsche konfrontiert?

JAJTNER: Ja, mit beiden. Mit Temelin etwas stärker. Österreich hat in den siebziger Jahren einen Stop von Zwentendorf erreicht. Ich kann die Gründe gut verstehen. Besonders nach der Tschernobyl-Katastrophe hat sich gezeigt, wie kompliziert und gefährlich Atomkraft sein kann. Aber unsere Situation ist so, daß wir ausgeraucht sind.

Nach 40 Jahren Kommunismus haben wir riesige Schulden gegen-

über der Umwelt. Unsere einzige Energiequelle ist die Braunkohle. Und damit wird die Umwelt genauso oder vielleicht noch mehr zerstört als durch ein Atomkraftwerk. Die Schlußfolgerung: wir haben keine Alternative. Ökonomisches Wachstum ist von Energie abhängig.

Die Vorschläge, die von Österreich, von Bundeskanzler Vranitzky oder Ministerin Rauch-Kallat gekommen sind, Temelin in ein Gaskraftwerk umzubauen, die hören sich einfach an. Ich habe unlängst gelesen, was ein Umbau von Zwentendorf kosten würde: um zwei Milliarden Schilling mehr als gleich ein Kraftwerk auf der grünen Wiese zu bauen. Selbst für Österreich wäre das zu teuer.

Für uns ist es noch weiter kompliziert aus dem Grund, weil wir kein Gas haben, es erst einkaufen müßten. Dafür sind auch keine Pipelines vorhanden. Und als studierter Elektrotechniker sehe ich es als Verschwendung einer Edelenergie, die Gas nun einmal darstellt, an, sie in eine andere Edelenergie umzuwandeln. Bei der Umwandlung schmeissen wir einfach fast 50 Prozent dieser Energie weg. Es gibt nämlich Verluste sowohl bei der Stromerzeugung als auch in den Netzen. Und Gas ist eine Edelenergie, die direkt in den Haushalten verbraucht werden kann ohne diese Verluste.

Sicherheit, das werden unsere österreichischen Nachbarn verstehen, liegt uns genauso am Herzen. Wir bemühen uns, die besten Firmen einzusetzen, beispielsweise amerikanische.

Mit dem Botschafter der Tschechischen Republik in Wien, Dipl.Ing. Pavel Jajtner, sprach Franz Gansrigier.

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