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Europa feiert 40. Geburtstag

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Am 9. Mai jährt sich zum vierzigstenmal die „Ge- burtsstunde Europas". Am gleichen Tag des Jah- res 1950 hat Frankreichs Außenminister Robert Schuman der Weltöffentlichkeit jenen nach ihm be- nannten Plan präsentiert, der den Anstoß zur Grün- dung der ältesten der drei Europäischen Gemein- schaften, der „Montanunion" brachte. Welche Plä- ne für Europa gibt es heute?

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Am 9. Mai jährt sich zum vierzigstenmal die „Ge- burtsstunde Europas". Am gleichen Tag des Jah- res 1950 hat Frankreichs Außenminister Robert Schuman der Weltöffentlichkeit jenen nach ihm be- nannten Plan präsentiert, der den Anstoß zur Grün- dung der ältesten der drei Europäischen Gemein- schaften, der „Montanunion" brachte. Welche Plä- ne für Europa gibt es heute?

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Das Konzept des Schuman- Planes war ebenso einfach wie revolutionär: Die gesamte fran- zösisch-deutsche Kohle- und Stahl- produktion sollte einer gemeinsa- men (supranationalen) „Hohen Be- hörde" unterstellt werden - und zwar im Rahmen einer Organisa- tion, die auch „den anderen euro- päischen Ländern zur Teilnahme offensteht". Die Zusammenlegung dieser Industrien sollte die erste Etappe zu einer europäischen Fö- deration darstellen. Durch die wirt- schaftliche Verflechtung der (auch für den Rüstungssektor essentiel- len) Schwerindustrien Frankreichs und Deutschlands sollte ein Krieg zwischen diesen beiden Ländern „nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich" gemacht werden.

Für den eigentlichen Inspirator des Schuman-Planes, den französi- schen Wirtschaftsdiplomaten und späteren ersten Präsidenten der „Hohen Behörde", Jean Monnet, war es der Hauptzweck dieses Vor- schlags, „eine Bresche in die Wälle der nationalen Souveränität zu schlagen, die so begrenzt ist, daß sie Zustimmung erlangen kann, aber tief genug, um die Staaten zu der für den Frieden notwendigen Ein- heit zu bewegen".

Das Nahziel des Schuman-Pla- nes, die Errichtung der Europäi- schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), ist schon im Pariser Vertrag von 1951 Wirklichkeit geworden. Wie dies von Schuman und Monnet erdacht worden war, wurde die EGKS zum Ausgangs- punkt eines westeuropäischen In- tegrationsprozesses neuer Prägung, der sich 1957 in der Gründung von EURATOM und EWG bestätigen sollte.

Sicherlich hat Monnets ursprüng- liches Konzept der Supranationa- lität im Laufe der Entwicklung Anpassungen erfahren: So ist zum Beispiel die Stellung des - aus na- tionalen Regierungsvertretern zu- sammengesetzten - EG-Minister- rates bereits im EWG-Vertrag wesentlich gestärkt worden. Mon- net selbst war jedoch ein herausra- gender Pragmatiker, dem die Sache stets wichtiger war als Prinzipien- streitigkeiten.

Gerade er hat sich im übrigen Anfang der siebziger Jahre beson- ders nachdrücklich für die Schaf- fung jenes „Europäischen Rates" der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten eingesetzt, der inzwischen zu einem so wichtigen politischen Lenkungsorgan der europäischen Integration geworden ist.

1950 war Monnet - ebenso wie Schuman - davon überzeugt gewe- sen, daß die Montanunion-Initiati- ve notfalls ohne Großbritannien vorangetrieben werden müsse, wenn nur so eine Verwässerung dieses Vorhabens vermieden wer- den könne. Als das Vereinigte Königreich ab 1961 seine Absicht bekundete, am Integrationsprozeß in der von der Gemeinschaft ge- schaffenen Form teilzunehmen, war Monnet jedoch ein entschiedener Befürworter der Erweiterung.

Die Geschichte hat Monnet, dem „ersten Ehrenbürger Europas", auch in dieser Frage recht gegeben. Die EG mag durch ihr fortschrei- tendes Wachstum etwas von der ursprünglichen Homogenität der Sechsergemeinschaft verloren ha- ben; gleichzeitig hat sie aber im Verlaufe aller dieser Erweiterungs- prozesse jenes politische Gewicht erhalten, das sie heute zum natürli- chen Schwerpunkt eines sich ver- ändernden Europa macht.

Die Erfahrung, daß die Ziele der Vertiefung und der Erweiterung der Gemeinschaft nicht miteinander in Widerspruch stehen, ist gerade auch im Hinblick auf Österreichs EG- Beitrittswunsch von großer Rele- vanz.

Einer der drei Beitrittsanträge Österreichs vom 17. Juni 1989 be- trifft das „Kind" des Schuman- Planes, die Europäische Gemein- schaft für Kohle und Stahl. Es bedarf wohl keiner besonderen Erläuterungen, warum es dem vier- fach besetzten - und in der Aus- übung seiner staatlichen Souverä- nität beschnittenen - Land 1950 nicht möglich war, an einer Orga- nisation mitzuwirken, deren Mit- glieder Teile ihrer Souveränitäts- rechte an eine überstaatliche Orga- nisation übertragen wollten.

Seinen Willen zur Teilnahme am europäischen Integrationsprozeß hatte Österreich allerdings noch vor der Schaffung der EGKS bewiesen, als es 1949 Gründungsmitglied der OEEC geworden war. (Dieser Schritt hatte unserem Land be- trächtlichen Mut abverlangt und war von der sowjetischen Besat- zungsmacht prompt als „Verletzung des Kontrollabkommens" kritisiert worden.)

Mit dem von der Europäischen Gemeinschaft bestimmten Integra- tionsprozeß hat sich Österreich jedenfalls schon früh in positiver Form auseinandergesetzt. Es sei hier nur an einen - übrigens in der FURCHE erschienenen - Artikel Außenminister Kreiskys vom 12. Juli 1958 erinnert, in dem es hieß, daß „steigende wirtschaftliche Prosperität als Folge der europäi- schen Integration jedenfalls mehr zur Unabhängigkeit eines Staates beiträgt, als wirtschaftliche Unter- entwicklung" . Durch seine Rolle als Gründungsmitglied der EFTA hat sich Österreich auch an der Entste- hung einer Organisation beteiligt, deren primäres Ziel der Brücken- schlag zur Gemeinschaft war (siehe Seite 11, Anm. d. Red.)

Heute hat die große Dynamik des europäischen Integrationsprozesses in Österreich den Wunsch entste- hen lassen, an der Verwirklichung der Gemeinschaftsverträge und der Einheitlichen Europäischen Akte mit Sitz und Stimme mitzuwirken. Österreich sieht den - vom Schu- man-Plan eingeleiteten und von der Gemeinschaft seit damals entschei- dend geprägten - Integrationspro- zeß als eine historische und evoluti- ve Entwicklung an, welche die Zukunft Europas und damit auch unsere eigene Zukunft bestimmen wird. Wir wollen an diesem Prozeß als Mitgestalter und nicht als Ge- staltete teilnehmen.

Dieses Bestreben läßt sich gerade auch aus der Logik des Schuman- Planes erläutern. Die dort ange- strebte Verzahnung der europäi- schen Volkswirtschaften hat längst über die Grenzen der Gemeinschaft hinausgegriffen. Österreich wickelt heute mehr als 70 Prozent seines gesamten Außenhandels- und Dienstleistungsverkehrs mit der Gemeinschaft ab und ist mit ihr damit stärker verflochten als man- cher Mitgliedstaat, es ist daher nur allzu verständlich, daß aus einer solchen Situation der Wunsch nach Mitentscheidung erwächst.

Auch zu dem vom Schuman-Plan gewollten europäischen Friedens- werk glaubt das neutrale Österreich gerade jetzt einen spezifischen Beitrag leisten zu können. Seine historischen Verbindungen zu den Nachbarn in Mittel- und Osteuro- pa können der Gemeinschaft in einer Zeit, wo Konfrontation der Kooperation Platz macht, zusätzli- ches Profil geben.

Im übrigen war es ja der Schu- man-Plan, diese eigentliche „Grün- dungsurkunde" der EG, der sich, wie schon erwähnt, als erster zum Prinzip einer Gemeinschaft be- kannt hat, die „den anderen euro- päischen Staaten zur Teilnahme offensteht".

Heute kommt Österreich auf die- se von den Gründungsvätern der Gemeinschaft, Robert Schuman und Jean Monnet, vor vierzig Jah- ren ausgesprochene Einladung zurück.

Der Autor ist Sonderbeauftragter für Euro- päische Integration.

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