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Europa hat noch nicht abgedankt

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Das Gespenst der,,Eurosklerose“ ist tot (FURCHE 31/1986). Auch beim diesjährigen Forum Alpbach wurde dem Pessimismus der Europäer eine Absage erteilt.

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Das Gespenst der,,Eurosklerose“ ist tot (FURCHE 31/1986). Auch beim diesjährigen Forum Alpbach wurde dem Pessimismus der Europäer eine Absage erteilt.

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In der unmittelbaren Vergangenheit wurde zweimal das Argument von Energiekrisen bemüht, um eine wirtschaftliche Bedrohung Europas zu behaupten:

Einmal in den unmittelbaren Nachkriegs jähren, als man sich um die Knappheit der Kohle sorgte - Kohle türmt sich inzwischen zu Halden.

25 Jahre danach gab der Erdölschock den Pessimisten neue Nahrung für ihre Befürchtungen. Inzwischen haben wir die öl-schwemme.

Auch der Untergang ist also nicht mehr das, was er einmal war, wie Hans Magnus Enzensberger in seinen „Randbemerkungen zum Weltuntergang“ formuliert.

Einen der letzten Höhepunkte erlebten wir Mitte der siebziger Jahre, als im Zuge der weltweiten Konjunkturbelebung eine Reihe von Staaten, insbesondere die pazifische Region, aber auch die USA, außerordentlich kräftig wuchsen, während die europäische Wirtschaft sich nur zögernd erholte.

Gleichzeitig waren europäische Entwicklungen, insbesondere im Bereich der sogenannten „neuen Technologien“ Mikroelektronik und Biotechnologie, gegenüber amerikanischen und japanischen ins Hintertreffen geraten.

Mitverantwortlich dafür war, daß Europa seine Möglichkeiten, sein intellektuelles, wirtschaftliches und politisches Potential schlecht nützt, weil es sich manchmal in provinzieller Kirchturmpolitik, in Kleinstaaterei selbst reduziert. Selbst im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft ist es nicht gelungen, den Stacheldraht aus Vorschriften, Steuergrenzen und Rechtshindernissen befriedigend zu beseitigen.

Noch bis vor kurzem gaben Deutsche, Franzosen und Briten gewaltige Summen aus dem jeweiligen Staatssäckel aus, um ihre eigenen Zukunftstechnologien zu entwickeln. Dabei erwiesen sich nationale Normen - gedacht als Mittel zur Abschotung des Heimatmarktes vor unliebsamer Konkurrenz — als Bumerang, da sich die Europäer damit ihre wirtschaftliche Basis für die kapitalintensiven neuen Technologien, nämUch den europäischen Markt, selbst entzogen!

Doch zu behaupten, Europas Volkswirtschaften hätten aufgrund untragbarer staatlicher Regulationen, hoher Besteuerung, Wohlfahrtsdenken und institutioneller Rigiditäten ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren und würden auf kurz oder lang in der Bedeutungslosigkeit versinken, halte ich für nicht angebracht.

Ohne die beachtlichen Leistungen der USA geringschätzen zu wollen, muß man feststellen, daß der langfristige wirtschaftliche Vergleich mit Europa nicht eindeutig zugunsten Amerikas ausfällt:

Der stürmische Aufschwung 1983/84 in den USA war von steigenden Budgetdefiziten, einem Höhenflug des Dollars und einer dramatischen Verschlechterung der Leistungsbilanz begleitet. Diese Ungleichgewichte konnten bisher erst teilweise beseitigt werden, und es ist zu befürchten, daß sie die nächste Rezession belasten werden, die In den USA möglicherweise schon begonnen hat.

Vor allem die längerfristig weit langsamer wachsende industrielle Produktivität der USA hat dort während langer Jahre Anlaß zu besorgten Hinweisen auf Europa gegeben und den Ruf nach einer expliziten Industriepolitik für die USA ausgelöst.

Darüber hinaus ist die Orientierung am Hochtechnologiebereich doch recht einseitig. Sie geht daran vorbei, daß entscheidende Industriezweige in Europa über eine höhere Produktivität verfügen als in den USA. So zum Beispiel bestimmte Bereiche der Metallindustrie, der Automobilbau, die Maschinenindustrie und einige Konsumgüterindustrien. Die Bedeutung der Hochtechnologien für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit sollte zwar nicht außer Betracht bleiben, doch ist durchaus denkbar, auch ohne Primärentwicklungen in diesen Bereichen die Wirtschaft konkurrenzfähig zu erhalten.

Erwähnenswert erscheint mir auch die Tatsache, daß Amerikas gute Position auf dem Gebiet der neuen Technologien nicht zuletzt auf den enormen Ausgaben für Rüstungszwecke beruht und daß diese Position durch vielfältigste Schutzmaßnahmen abgesichert wurde und wird.

Die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen dem „stationären“ Europa und dem „dynamischen“ Rest der Welt zeichnet sich bei der Analyse der tatsächlichen oder vermeintlichen Schwächen unseres „alten“ Kontinents.

Westeuropa bildet einen überaus kaufkräftigen Markt mit mehr als 300 Millionen Konsumenten. Einen Markt, auf dem heute — als Erfolg bisheriger Integrationsbemühungen — Güter weitgehend frei getauscht werden können.

In den Statistiken über den Welthandel finde ich keine Bestätigung für die behauptete Inferiorität Europas: Selbst der rein außereuropäische Handel Europas ist genauso hoch wie der Nordamerikas oder Japans... Europa verfügt über eine Reihe von potenten, multinational operierenden Unternehmungen, die neben denen Amerikas bestehen können ...

Lassen Sie mich zu einem Punkt kommen, der mir besonders am Herzen liegt, und der — wie ich glaube — von eminenter Bedeutung für eine seriöse Einschätzung Europas und seiner Konkurrenten ist,

Europa ruht im wesentlichen auf einer soliden gesellschaftspolitischen Basis, die Demokratie ist überall gefestigt und es gibt einen weitgehenden, gesamteuropäischen Konsens über wesentliche gesellschaftliche Ziele und Werte.

Es ist dies ein Konsens Uber eine spezifisch europäische Lebensform, in der sich private Unternehmerinitiative mit staatlicher Vorsorge paart, in dem Raum bleibt sowohl für staatliche als auch für private Initiative. In dem soziale Für- und Vorsorge einen festen Platz im politischen Weltbild haben, in dem sich schrittweise die Uberzeugung festigt, daß Konflikte und Kriege vermeidbar sind und daß sich Zusammenarbeit wieder lohnt.

Oer Seitrag ist ein Auszug aus dem Redemanuskript ..Österreich - Absage an den Pessimismus des Bundeskanzlers im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach.

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