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„EUROPA-INGENIEURE" AUS DEM „LÄNDLE"

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Seit 30. September ist in Vorarlberg die erste österreichische „Fachhochschule" in Betrieb. Vorerst drücken 43 Studenten die Schulbank.

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Seit 30. September ist in Vorarlberg die erste österreichische „Fachhochschule" in Betrieb. Vorerst drücken 43 Studenten die Schulbank.

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Der „Studienversuch Fertigungsautomatisierung", so heißt der Vorarlberger Probelauf für eine Fachhochschule offiziell, umfaßt insgesamt sieben Semester - inklusive einem Praxissemester in der Industrie - am „Technikum Vorarlberg" in Dombirn. Nach Abschluß werden die Studenten als „Diplomierte Techniker für Fertigungsautomatisierung" ein EG-konformes Zertifikat in Händen halten.

Dieses Fachhochschul-Modell wurde von Wissenschaftsminister Erhard Busek, Vorarlbergs Landeshauptmann Martin Purtscher und der zuständigen Schul- und Bildungslan-desrätin Elisabeth Gehrer feierlich eröffnet. Vorarlberg erhebt eine Art „Vaterschaftsanspruch" für Idee und Realisierung der ersten österreichischen Fachhochschule (FH) und hat tatsächlich viel Vorarbeit geleistet.

Da um das Fachhochschulgesetz politisch noch heftig gerungen wird, hat sich das Land Vorarlberg mit Unterstützung von Wissenschaftsminister Busek an den Akademischen Senat der Technischen Universität Graz gewandt, und diese fungierte als „Geburtshelfer": Der Studienversuch ist ein ins „Ländle" ausgelagertes Kurzstudium der TU Graz und wird von dieser auch personell und wissenschaftlich getragen. Die Kosten teilen sich Bund und Land, wenn es auch Sache des Bundes wäre, für die Finanzierung eines Studienversuchs aufzukommen. „Das aber wäre unrealistisch gewesen", weiß der für die FH zuständige Abteilungsvorstand im Amt der Landesregierung, Hubert Regner, ein erfahrener Bildungsexperte.

Die TU Graz, freut sich Landesrä-tin Elisabeth Gehrer, habe sich bisher als einzige Universität für eine praxisorientierte Fachhochschul-Ausbil-dung engagiert und den Studienversuch wesentlich mitkonzipiert. Auch die Universität beziehungsweise Fachhochschule Konstanz ist mit eingebunden. Weiteres Lehrpersonal rekrutiert sich aus der Industrie -logische Konsequenz der Praxisorientierung dieser neuen Bildungsschiene. Für den Start wurde zunächst die Fachrichtung Fertigungsautomatisierung gewählt. Im Endausbau sollen, so Landeshauptmann Purtscher, vier Studiengänge mit den Schwerpunkten Maschinenbau, Elektrotechnik/ Elektronik und Wirtschaftswissenschaften sowie als kreativer Bereich etwa Multimedia oder Design angeboten werden.

Der Landeshauptmann nannte bei der Eröffnung auch die wesentlichen Kriterien für eine Fachhochschule aus Vorarlberger Sicht, nämlich Praxisbezug, Anpassung an die regionalen Bedürfnisse, EG-Kompatibilität und straffes Studium. Der Ehrgeiz der Bildungspolitiker des „Ländle", das bekanntlich keine Universität hat, aber dennoch - oder gerade deshalb - ein ambitioniertes Bildungsprogramm betreibt, ist es nicht nur, mit diesem Studienversuch ein Pilotmodell für Fachhochschulen in Österreich zu etablieren, sondern diese auch für Studierende und Lehrende aus der gesamten Region um den Bodensee international attraktiv zu machen.

Nicht zufällig „steht" die erste FH in Form eines Studienversuchs in Vorarlberg: Mit massiver Unterstützung der Sozialpartner hat das Land in enger Zusammenarbeit mit der baden-württembergischen Steinbeis-Stiftung und dem Technologiebeauftragten der Regierung von Baden-Württemberg, Johann Löhn, seit 1989 das „Technikum Vorarlberg" als Vormodell für eine Fachhochschule eingerichtet. Ziel: hochqualifizierte Mitarbeiter für die Wirtschaft mit der Berechtigung als „Europa-Ingenieure". Die überproportional exportorientierte Vorarlberger Wirtschaft braucht, insbesondere im Blick auf die Europa-Integration, diese Qualifikationsstufe ihrer Mitarbeiter für das mittlere und auch obere Management.

Landeshauptmann Purtscher hat bei seinem Regierungsantritt 1987 eine Technologie- und Bildungsoffensive auf seine Fahnen geschrieben. So ist es nur logisch, daß das Land Vorarlberg für die Fachhochschule beachtliche Mittel locker macht. Es wird für die auf rund 1.000 Studierende konzipierte Fachhochschule die Infrastruktur errichten und für Gebäude-Investitionen bis zum Endausbau 250 Millionen Schilling für die Ausstattung nochmals 60 Millionen aufwenden.

Aus der Tatsache, daß die aus der Taufe gehobene Vorarlberger Fachhochschule vorerst als Studienversuch der TU Graz ausgelegt ist, ergibt sich, daß für den FH-Zugang die gleichen Kriterien wie für die Universität gelten, nämlich Matura oder Studienberechtigungsprüfung. Dadurch stellt sich, so der Bildungsexperte der Landesregierung, Hubert Regner, die Frage einer Aufnahmeprüfung derzeit nicht. Allerdings betonen Lan-desrätin Gehrer und ihr Spitzenbeamter Regner unisono, daß in einem kommenden Fachhochschulgesetz aus Vorarlberger Sicht unbedingt die „offene Laufbahnplanung" (Durchlässigkeit) im Bildungssystem, also auch von der dualen Lehrausbildung her der Zugang zur Fachhochschule über Aufbaulehrgänge und Colleges gewährleistet sein müsse.

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