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Europa ist größer als die EG der Neun

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Die Wahlen in das Europa-Parlament, mit denen die EG-Staaten nun ihr parlamentarisches Forum nach demokratischen Grundsätzen organisieren, werfen wieder einmal die Frage auf, was wir unter Europa heute verstehen müssen. Die Zeiten, da man diesen Kontinent einfach geographisch abgrenzte, sind längst vorbei. Aber schon seit eh und je war die Ostgrenze des europäisches Kontinents niemals klar, denn logischerweise konnte man zu keiner Zeit den asiatischen Teil Rußlands zu Europa rechnen.

Nun ist diese Abgrenzungsfrage noch viel schwieriger geworden. Der Zweite Weltkrieg hat diesen Kontinent geteilt. Man spricht seither von West- und Osteuropa und zieht damit mitten durch den Kontinent eine politische Demarkationslinie.

Man wird also wohl bis auf weiteres einen geographischen Begriff „Europa“ kennen, der alle Staaten dieses

Kontinents, einschließlich des europäischen Teils der Sowjetunion, umfaßt, aber zwischen West- und Osteuropa im politischen Sinne streng unterscheiden müssen. Was uns hier interessiert, ist ausschließlich Westeuropa.

Daß es außer bilateralen und multilateralen Friedensverträgen nach dem Zweiten Weltkrieg keinen allgemein umfassenden Friedensvertrag gegeben hat, war ein Novum in der europäischen Geschichte.

Als 1945 die Waffen schwiegen, be-' fand sich dieser Kontinent in einem in jeder Beziehung desolaten Zustand. Aber die Hoffnungen, zu einer europäischen und darüber hinaus auch weltweiten Friedensregelung zu kommen, waren groß.

Die Hoffnung wurde bald enttäuscht. Der von Staun inszenierte „kalte Krieg“ führte sehr bald zum Entstehen europäischer und weltweiter Probleme. Um hier für Westeuropa eine gesicherte Basis zu schaffen, bemühten sich die großen Europäer, wie Adenauer, De Gasperi, Schuman, Spaak und andere, eine neue Gemeinschaft für Westeuropa auf politischer und militärischer Basis zu schaffen.

Eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sollte den Rahmen hiefür bilden. Es kam nicht dazu. Die sehr eigenständige Politik Frankreichs verhinderte das im letzten Moment.

Die großen Männer dieser Zeit aber ließen sich nicht abhalten, nach neuen Wegen einer Gemeinschaft zu suchen. Ging es auf der politisch-militärischen Ebene nicht, so bot sich der wirtschaftliche Weg an. Der Vertrag von Rom (1956) über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) war das Ergebnis, und die Europäischen Gemeinschaften (EG) mit heute zehn, in absehbarer Frist aber zwölf Mitgliedern stellen die gegenwärtige Entwicklungsform dar.

Die ehemalige EWG wurde bekanntlich ununterbrochen totgesagt, weil man immer wieder fälschlicherweise annahm, daß eine nur auf wirtschaftlicher Basis gegründete Staatengemeinschaft nicht ohne politischen Uberbau existieren könne. So wünschenswert ein solcher Uberbau auch ist, so haben die Europäischen Gemeinschaften bis heute schlagend bewiesen, daß sie lebensfähig sind.

Die EG sind heute der größte Handelspartner der Welt, ohne daß der politische Überbau über mehr als ein Anfangsstadium hinausgekommen wäre.

Es erscheint zweckmäßig, hier auch etwas von der österreichischen

Position zu sprechen. Die Gründung der kleinen Europäischen Freihandelszone (EFTA) war die ökonomisch unerläßliche Antwort derjenigen europäischen Staaten, die der seinerzeitigen EWG nicht beitreten konnten oder wollten. Zu ersteren zählt Österreich, dessen völkerrechtlicher Status einer immerwährenden Neutralität verhindert, daß unser Land'einer internationalen Organisation mit supranationalen Institutionen beitritt. Das entspricht einer anerkannten Regel des Völkerrechtes.

Österreich hat daher seine seinerzeitigen Verhandlungen mit der EWG auch immer unter sorgfältiger Beobachtung dieses Grundsatzes geführt. Was Österreich in seinem sogenannten „Alleingang mit Brüssel“ wollte, war ein rein ökonomisches Arrangement, das auf den Grundsätzen einer Freihandelszonen-Konstruktion beruhen sollte. Gerade das aber machte anfangs ziemlich große Schwierigkeiten, weil auf EWG-Seite immer wieder behauptet wurde, daß eine Freihandelszone mit dem ihr inhärenten System von Ursprungszeugnissen und vielen anderen Notwendigkeiten nicht funktionieren könne.

Diese- unrichtige Behauptung wurde selbst dann noch lange Zeit aufrecht erhalten, als das Funktionieren der EFTA als reine Freihandelszone längst bewiesen war. Die österreichischen Bemühungen um ein Sonderarrangement mit der EWG scheiterten bekanntlich auch hier wieder am französischen Einspruch.

Aber als die Zeit reif geworden war, kam es 1972 zu dem Freihandelszonen-Vertrag zwischen den Europäischen Gemeinschaften und den restlichen EFTA-Staaten - inzwischen waren Großbritannien, Dänemark und Irland von der EFTA zu den EG übergetreten - und es darf uns Österreicher mit Stolz erfüllen, daß die wesentlichen Bestandteile dieses umfassenden Vertrages genau das waren, was Österreich in seinen Verhandlungen mit Brüssel auf bilateraler Ebene vorgeschlagen hat.

Nun stellt sich die Frage, wie es weitergehen wird. Die demokratischen Wahlen in das Europa-Parlament sind ein Schritt zum Bau einer politischen Gemeinschaft. Dies erscheint mir der wirklich und, wie ich glaube, vorläufig einzige politische Effekt der neuen Einrichtung zu sein. Ansonsten muß man die Effizienz dieses nun durch allgemeine Wahlen bestellten Europa-Parlaments, vorläufig wenigstens, mit einiger Skepsis betrachten.

Dieses Parlament hat, wenn man vom Budget absieht, keine Beschlußkompetenzen, sondern nur beratenden Charakter. Die nicht zuletzt aus propagandistischen Gründen vertretene Meinung, daß sich ein demokratisch gewähltes Parlament schon seine Kompetenzen verschaffen werde, dürfte bis auf weiteres an der Politik der EG-Regierungen scheitern.

Es ist ferner zu berücksichtigen, daß zu diesem Parlament die politischen Parteien kandidieren, was aber bedeutet, daß die europäischen Wähler bei der Stimmabgabe wahrscheinlich viel weniger europäische als vielmehr parteipolitische Erwägungen zur Grundlage ihrer Stimmabgabe machen.

Das ist an sich unvermeidlich, wird aber zur Folge haben, daß etwa in politischen Fragen weniger das Gesamtinteresse Europas, als vielmehr die parteipolitischen Grundsätze der Mitglieder dieses Europa-Parlaments zum Ausdruck kommen werden. Noch ein Mangel darf nicht vergessen werden. Uber die Politik jedes einzelnen Mitgliedstaates entscheiden die Parlamente und in deren Auftrag die Regierungen. Es entsteht also die Frage, inwieweit sich die Abgeordneten zum Europa-Parlament in ihrer Heimat mit ihren Beschlüssen überhaupt durchsetzen können.

Für alle europäischen Staaten, die nicht den EG angehören, ergibt sich nun, daß eine parlamentarische Körperschaft in Europa entstanden ist, in der sie nichts mitzureden haben, woraus natürlich Konsequenzen entstehen müssen und die Gefahr einer politischen Doppelgeleisigkeit in Westeuropa resultieren kann.

Es ist zu früh, um darüber näheres auszusagen, aber man wird nicht fehlgehen, wenn sich die Nicht-EG-Staaten als erste Konsequenz bemühen würden, dem Europarat in Straßburg, dem alle angehören, eine größere Bedeutung zu verschaffen.

Ob dies gelingen wird, kann jetzt nicht beantwortet werden. Wir können nur vom österreichischen Standpunkt aus sagen, daß dem eben neu gewählten österreichischen Generalsekretär des Europarates, Franz Karasek, besondere Bedeutung zukommt. Das Allerbeste ist ihm für seine Tätigkeit zu wünschen.

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