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Europa — sein Erbe und Auftrag

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„Der Beitrag Europas - Erbe und Auftrag" ist das Generalthema des diesjährigen Europäischen Forums Alpbach, das vom Österreichischen College veranstaltet wird. Doch die Europäisierung der außereuropäischen Welt stößt keineswegs bei allen auf ungeteilte Zustimmung.

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„Der Beitrag Europas - Erbe und Auftrag" ist das Generalthema des diesjährigen Europäischen Forums Alpbach, das vom Österreichischen College veranstaltet wird. Doch die Europäisierung der außereuropäischen Welt stößt keineswegs bei allen auf ungeteilte Zustimmung.

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Wenn wir Europas Beitrag zur Weltzivilisation auf vielen Gebieten behandeln, so gebührt dem wechselseitigen kulturellen Einfluß zwischen Europa und den großen außereuropäischen Kulturräumen besondere Beachtung. Ein Großteil des Beitrages Europas zur Weltzivilisation liegt nämlich in der geistigen Ausstrahlung Europas auf die anderen Kulturräume.

Andererseits ist Europa von einigen dieser Räume merkbar beeinflußt worden. Europa hat diesen wechselseitigen Einfluß — wenn man von den nichteuropäischen Anrainern des Mittelmeerraumes in Vorderasien und Nordafrika absieht, mit denen schon seit der Zeit der Phönizier, der römischen Kolonien an den Küsten des östlichen Mittelmeers und der arabischen Invasion auf der iberi-

schen Halbinsel Beziehungen bestanden — erst durch seine weltweiten Entdeckungen im 15. und 16. Jahrhundert geschaffen.

Die Geschichte des gegenseitigen Einflusses ist zu großen Teüen gleichzeitig die Geschichte dieser großen Entdeckungen durch europäische Konquistadoren, Missionare und neue Handelswege suchende Kaufleute.

Es ist schließlich und vor allem die Geschichte der schöpferischen Neugier und der Unruhe der europäischen Völker, die den Hauptmotor des Fortschrittes und fast aller Innovationen des letzten Jahrtausends darstellten. Jener europäischer Völker deren keltisch-germanisch-slawische Mischung verbunden durch griechischen Geist, römisches Recht und christliche Erlösungsideen die hochbrisante Mischung erzeugt hatte, die die Universalität der katholischen Kirche, die Reformation und die Gegenreformation, die Renaissance, die Aufklärung und schließlich die Wissenschaften und das moderne Industriezeitalter geboren hatte.

Natürlich können hier nur einige kurze und skizzenhafte Hinweise gegeben werden auf jene Lawine von Einflüssen, die durch die Entdeckungen ausgelöst wurden und die zunächst in großer Mehrzahl von Europa nach den anderen Kulturräumen gingen, die aber auch den umgekehrten Weg von Afrika, Indien, Amerika und Ostasien nach Europa nahmen.

Es war sicher Indien, das von den verschiedenen außereuropäischen Kulturen Europa am meisten faszinierte, das außerordentlich viel von Europa auf allen Gebieten übernahm und das andererseits vermutlich die größte Ausstrahlung auf Europa ausübte und ausübt, wenn man von dem Sonderfall Nordamerika absieht.

Das ist auch durchaus verständlich wenn man weiß, daß Indien den einzigen außereuropäischen Kulturraum darstellt, der eine ähnliche Mannigfaltigkeit an Völkern und daher an ethnisch bedingten Einzelkulturen und Sprachen, an Religionen, Kunstrichtungen und Traditionen aufweist wie Europa selbst.

In mancher Hinsicht ist die gegenseitige Beeinflussung Indiens und Europas exemplarisch und repräsentativ für das Verhältnis Europas auch zu den anderen Kulturräumen.

Ob es sich um die Staaten und Kulturen der Inkas oder der Azteken, um die großartigen Kulturen Ostasiens oder um die verschiedenen Kulturen Schwarzafrikas handelt, immer war das Verhältnis Europas zu den außereuropäischen Kulturen, Staaten und Völkern — mit Ausnahme Japans —

gleich dem Verhältnis des geistig und politisch Offensiven, des Ideen Verbreitenden, Verbindungen und Handel Wünschenden und neue Entwicklungen Anbahnenden gegenüber dem Veränderungen Ablehnenden, Altes bewahren Wollenden und dem — zwar oft Weisheit, Würde und Schönheit Ausstrahlenden — „aber passiv Verharrenden.

In Japan stießen die Europäer auf ein Volk, das in zwar anderer, aber doch seltsam ähnlicher Weise wie Europa von offensivem Aktivismus, großer geistiger Disziplin, einer souveränen wehrhaften Abwehr- und Kampfbereitschaft und der Begabung Neues blitzschnell zu verstehen, für sich selbst zu okkupieren und zu verarbeiten, erfüllt war.

In Japan fehlte die geradezu herausfordernde Bereitschaft Objekt zu sein und sich dem Modernen, Aktiveren, Handlungsbereiteren — nämlich Europa — zu unterwerfen wie dies in Indien, Mexiko, Peru, Indonesien und Afrika und schließlich auch in China der Fall gewesen ist.

Es ist daher kein Zufall, daß Japan nie von Europäern besetzt, nie auf leichtem Wege vereinnahmt wurde und daher nie eine europäische Kolonie gewesen ist. Es ist aber auch kein Zufall, daß Japan aufgrund seiner den Europäern in vielem so verwandten Eigenschaften heute gleichwertig in die großen Industrienationen des Westens integriert ist und seinen westlichen Partnern den Europäern und den Nordamerikanern politisch und technisch-industriell ebenbürtig, ja auf manchen Gebieten schon überlegen erscheint.

Der Autor ist Präsident des Österreichischen Collegs. Der Beitrag zitiert auszugsweise seinen Vortrag vor dem Europäischen Forum Alpbach 1984.

Läßt sich das Abendland überhaupt herausfordern?

Sind sich die Europäer ihres Erbes nicht mehr sicher? Sind es zuvörderst nur noch materielle Sorgen, die sie plagen?

Jedenfalls platzte in Alpbach just jene — auf das Generalthema bezogene — Arbeitsgemeinschaft, die der „Herausforderung des europäischen Christentums durch andere Kulturen" gewidmet gewesen wäre. Steht Selbstherrlichkeit dahinter, die sich nicht herausfordern läßt?

Abendländische Überheblichkeit könnte es sein, die Interessen-

losigkeit nährt: die Überheblichkeit, europäische Zivilisation mit abendländischer gleichzusetzen.

Mohammed Arkoun, Professor an der Universite Sorbonne Nou-velle in Paris, widerspricht dem in einem Spätabendgespräch im kleinen Kreis. Und er verweist auf den großen, einheitlichen Raum der zivilisatorischen Menschlichkeitsentwicklung, mit seiner griechisch-semitischen Tradition in der Kultur, zu dem ein weiteres Element kommt: der Monotheismus, niedergelegt im Alten wie im Neuen Testament, niedergelegt ebenso im Koran.

„Raum und Zeit", so der Sorbonne-Professor, „sind die eigentlichen Grundlagen für alles menschliche Denken."

Zwei Ereignisse sind es daher, die diesen großen Kulturraum geteilt haben: Die Geburt von Jesus

von Nazaret und sein Wirken; das Auftreten von Mohammed.

Judentum, Christentum und Islam sind aus dem einen Kulturkreis, den sie geteilt haben, hervorgegangen. Sie stehen zueinander in unverwechselbarer kultureller Beziehung, obwohl im historischen Verlauf Abgrenzung dominiert: in Christen und Nicht-christen, in Gläubige und Ungläubige beim Islam.

Diese Sicht entspricht einem wissenschaftlichen Denken, das Fragen nach der Bestimmung des Menschen zu historischen Herrschaftsfragen gemacht habe, meint Arkoun: „Und diese Geschichte wird in unseren Schulen bis hinauf zu den Universitäten gelehrt und gelernt." Geschichte— in der Dimension von Herrschen und Beherrschen.

Heute habe die westliche Kultur weltweit die Position der Vorherrschaft. „Da gibt es keine andere Gesellschaft, die diesem kulturellen Modell entgehen könnte, es wird mit der Technologie verpflanzt" (Arkoun).

Europas Auftrag? Hans Fi-scher-Barnicol, Professor am Institut für interkulturelle Forschung in Heidelberg, warnt vor den Gefahren. Die weltumspannende Uniformierung des Erziehungssystems: Wir exportieren das europäische Modell, obwohl wir selbst damit unzufrieden sind. Ein weltweites Mediensystem: Wir transferieren unsere Technik, obwohl wir selbst mit den Problemen nicht fertig werden.

Dort, wo Technologie über Generationen gewachsen ist, kommt ihr auch eine gesellschaftliche Integrationsfunktion zu. Ohne „Wurzelentwicklung" (Fischer-Barnicol) sieht jedoch Arkoun im Technologieexport „eine Zerstörung der kulturellen Tradition".

Arkoun und Fischer-Barnicol plädieren für eine neue Sicht der Geschichte, für eine selbstkritische Sicht der jeweils eigenen Tradition, die von den gemeinsamen Wurzeln losgelöst ist. „Das Scheiden in ein Zuvor und ein Danach, in ein disqualifizierendes Alt und ein qualifizierendes Neu", meint der Heidelberger Professor, „das macht den Streit in unserer Geschichte aus".

Dürfen wir (West-)Europäer das Diktat aufrechterhalten, daß unser wissenschaftliches Denken und Sprechen für alle verbindlich ist? Müssen nicht wir, die wir uns gescheiter wähnen, mit dem Uberdenken beginnen?

Alpbach hat den Dialog verweigert, Europa läßt sich nicht herausfordern. Obwohl das Verhältnis des Christentums zum Islam etwa die Zukunft Afrikas entscheiden könnte.

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