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Europa sucht Rezepte gegen die große Krise

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Obwohl ein Wirtschaftsaufschwung prognostiziert wird, ist mit einer spürbaren Entspannung auf dem Arbeitsmarkt nicht zu rechnen. Was hilft gegen die Flaute?

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Obwohl ein Wirtschaftsaufschwung prognostiziert wird, ist mit einer spürbaren Entspannung auf dem Arbeitsmarkt nicht zu rechnen. Was hilft gegen die Flaute?

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Bei Ebbe werden die Schiffwracks sichtbar" - mit diesem holländischen Sprichwort charakterisierte der niederländische Wirtschaftsminister Koos Andriessen die wirtschaftliche Lage in Westeuropa. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, daß mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Hochkonjunktur verdeckt wirdi in der Krise jedoch zum Vorschein kommt.

In der Tat ist die gegenwärtige Bezession weniger konjunkturell als strukturell bedingt. Dies bedeutet aber, daß auch bei einem zu erwartenden Konjunkturaufschwung mit einer spürbaren Entspannung auf dem Arbeitsmarkt nicht ohne weiteres gerechnet werden kann.

Eine in der Vergangenheit oft an-

fewandte Methode zur Belebung der Virtschaft besteht im Einsatz öffentlicher Mittel für Arbeitsbeschaffung und in niedrigen Zinsen für private Investitionen und zur Ankurbelung des Konsums. Diese Rezepte können zwar bei einem vorübergehenden Konjunktureinbruch hilfreich sein, sind aber bei struktureller Wettbewerbsschwäche ungeeignet. Rilliges Geld führt zu hoher Inflation und gefährdet die Stabilität der Währung.

Rei staatlichen Subventionen ist die Versuchung groß, vorhandene

Mittel zur temporären Sicherang letztlich nicht zu rettender Arbeitsplätze einzusetzen. Wettbewerbsstärkende Investitionen in Ausbildung, Forschung und Entwicklung, die erst nach mehreren Legislaturperioden wirksam werden, bleiben dann aus. Man muß annehmen, daß ein nicht unerheblicher Teil der heutigen Schwierigkeiten auf diese Politik zurückzuführen ist. Vor allem aber schränkt das Diktat der europaweit leeren Staatskassen den Spielraum für großzügige öffentliche Investitionen erheblich ein.

Wenig Sinn macht es auch, die Grenzen zu schließen, um sich so vor der stärkeren Konkurrenz des Auslandes zu schützen. Gerade eine kleine Volkswirtschaft mit starker Außenhandelsverflechtung würde durch eine protektionistische Handelspolitik wesentlich mehr verlieren als gewinnen.

Verbleibt als dritter Weg die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit durch neue Produkte, Verbesserungen in der Herstellung und im Marketing sowie durch Kostensenkung.

Ansatzpunkte dafür bieten die im Vergleich relativ hohen Rruttolohn-kosten in Westeuropa, manche nicht mehr zeitgemäßen und mitunter auch mißbrauchten Sozialleistungen und Arbeitsbestimmungen sowie die oft überdimensionierten Verwaltungsapparate.

Diese Politik ist freilich unpopulär. Westeuropäische Länder, deren Regierungen solche Reformen eingeleitet haben, sind durchwegs in großen Schwierigkeiten: Italien mit der Abschaffung der Scala mobile (automatische Lohnanpassung an die Inflationsrate) und dem vergeb-

lichen Versuch, notorische Steuer-hinterzieher zu stellen, Schweden mit einem radikalen und doch unzureichenden Sparprogramm, Spanien mit einem schmerzhaften, zur Zeit heftig umkämpften Sozialpakt, die Niederlande mit einer mehr als zwanzigprozentigen Kürzung der Arbeitslosenunterstützung und der Offenlegung des Mißbrauches der Sozialversicherung, Deutschland mit dem bekannten Solidarpakt, Frankreich mit dem Plan einer „Jahresarbeitszeit". Überall stellt sich die Frage, wie politisch durchgesetzt werden kann, was wirtschaftlich notwendig ist.

Was soll geschehen? Zunächst muß der Ernst der Lage erkannt werden. Wer heute „Arbeitsplatz-" oder „Pensionsgarantien" anbietet, ist unglaubwürdig. Es ist zu hoffen, daß die Einsicht, daß es so nicht weitergehen kann, bei der Revölkerang größer ist als die Politiker glauben. Schließlich können die vorhandenen und bevorstehenden Schwierigkeiten nur überwunden werden, wenn sich Unternehmer und Mitarbeiter nicht als Gegner, sondern als Partner gegenüberstehen. Denn wie könnten in einem Klima des Mißtrauens und der Furcht, „vom anderen über den Tisch gezogen zu werden", das notwendige Engagement und die unerläßliche Kreativität in den Retrie-ben, Organisationen und Amtsstuben entstehen?

Das Ergebnis der Verhandlungen der Metallindustrie zeigt trotz mancher Anlaufschwierigkeiten bei der sogenannten „Öffnungsklausel" (Verzicht von Reallohnerhöhungen zugunsten von Maßnahmen, die Arbeitsplätze sichern) im Gegensatz zur vergifteten Atmosphäre in Deutschland, daß partnerschaftliche Problemlösungen der bessere Weg sind.

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