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Europäische Wiedergeburt

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Der alte Kontinent leidet an „Eurosklerose“, jammerten vor kurzem noch Experten. Doch auch die transatlantischen Bäume wachsen nicht in den Himmel - Japan und die USA haben wirtschaftliche Probleme.

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Der alte Kontinent leidet an „Eurosklerose“, jammerten vor kurzem noch Experten. Doch auch die transatlantischen Bäume wachsen nicht in den Himmel - Japan und die USA haben wirtschaftliche Probleme.

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Bruce Nussbaum's Buch „Das Ende unserer Zukunft“ lieferte 1984 das Stichwort - das Syndrom des Europessimismus war geboren. Schon sahen sich die Europäer in der Rolle des antiken Griechenland gegenüber Rom — als Zentrum von Bildung, Kultur und Schönheit, gleichzeitig aber wirtschaftlich und militärisch ohnmächtig. Die Europäer als „Hauslehrer“ wohlhabender Amerikaner und Japaner. ,

Inzwischen scheint sich eine Trendwende im Bewußtsein abzuzeichnen. Jedenfalls lieferten namhafte Experten bei einem Symposion des Gottlieb-Duttwei-ler-Institutes für Zukunftsforschung in Zürich reichlich Argumente, das Fragezeichen am Ende des Tagesmottos durch ein kräftiges Rufzeichen zu ersetzen: Doch eine Zukunft für Europa!

Wenn im Prognos-Euro-Re-port 1986 für Westeuropa ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent bis zum Jahr 2000 vorhergesagt wird, dann ist das heute für viele Wirtschaftspolitiker und Unternehmer Grund zum Optimismus. Noch vor einigen Jahren war eine solche Prognose Anlaß zu aufwühlenden Selbstzweifeln der Europäer. Tatsächlich sind der beispiellose japani-

sehe Aufholprozeß und der amerikanische Höhenflug der letzten Jahre beeindruckend.

Aber bereits die Prognosen für 1986 zeigen, daß die transatlantischen Bäume auch nicht in den Himmel wachsen: Westeuropa wird ein solides dreiprozentiges Wachstum verzeichen, Japan und die USA werden knapp über zwei Prozent kommen.

Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung längerfristig, so zeigt sich eine klare Tendenz n W Angleichung des Wohl-! Standsniveaus zwischen den drei Wiitscnartlichen Zentren. Betrug das Pro-Kopf-Brutto-Inlandspro-dukt (BIP) Westeuropas 1950 weniger als ein Drittel desjenigen der USA, so liegen wir heute bei etwa 80 Prozent. Das japanische Pro-Kopf-BIP machte 1950 gar nur sieben Prozent im Vergleich zu den USA aus, heute sind es immerhin rund 70 Prozent. Japan liegt damit aber immer noch deutlich hinter Westeuropa. Wenngleich vor allem der schwankende US-Dollar derartige Vergleiche schwierig macht.

Arg ins Hintertreffen kam Europa in. der Beschäftigungspolitik. Aber gerade hier zeigt sich am offensichtlichsten, daß der „Abstieg“ Europas eher Folge einer falschen Wirtschaftspolitik war denn Ausdruck eines notwendigen Niedergangs. Die Krise der siebziger und achtziger Jahre hat gravierende Flexibilitätsmängel aufgedeckt. Der ruinöse Subventionswettbewerb war Folge einer gefährlichen Einstellung: Vertreter von Einzelinteressen fanden es lohnender, ihren Anteil am vorhandenen Gesamtkuchen zu vergrößern, als dazu beizutragen, daß der Kuchen insgesamt größer wird. So hat allein die Stahlindustrie zur Aufrechterhaltung ihrer Uberkapazitäten von 1975 bis 1985 in England umgerechnet rund 220 Milliarden Schilling, in Frankreich 170 Milliarden, in Italien ebenfalls rund 170 Milliarden und in der Bundesrepublik 45 Milliarden Schilling verschlungen.

Aber auch andere Irrationalitäten haben die Dynamik Europas gebremst. Es war und ist die Unschlüssigkeit, aus der Erkenntnis der Grenzen des Wachstums die Forderung nach „Null-Wachstum“ abzuleiten. Denn gerade dadurch wird jene Dynamik gebremst oder verhindert, welche zu einer produktiveren und sparsameren Verwendung der knappen Ressourcen führt. Gerade der Umbau in Richtung ökologischeren Wirtschaftens ist ein enormer Wachstumsfaktor, der durch Strükturkonservierung umwelt-und wohlstandsschädlich behindert wird.

Der jüngste Aufschwung in den USA wurde mit starken Aufputschmitteln erreicht, die Rasanz des Aufschwungs wurde teuer, vielleicht sogar zu teuer erkauft. In Europa hingegen geht der vergleichsweise geringere, aber sehr solide Aufschwung vom Entzug früher verabreichter Drogen aus.

Und wenn zutrifft, was die Experten voraussagen, nämlich daß die Zeit der Massenfabrikation vorbei ist und eine neue Epoche hochqualifizierter „handwerklicher“ Arbeit mit auf individuelle Wünsche abstimmbaren Produkten bereits begonnen hat, die vor allem kleinräumige, vernetzte Strukturen und hochqualifizierte Arbeitskräfte braucht, dann wären Qualifikationspotential, Wirtschaftsstruktur und Tradition in Westeuropa und zum Teil auch in Japan besser darauf vorbereitet als in den USA.

Der Beschäftigungszuwachs in den USA ist natürlich beeindruk-kend, aber mit Hunderttausenden zusätzlichen „Würstelständen“ läßt sich langfristig die Wettbewerbsfähigkeit nicht verbessern. Das zeigt auch das gewaltige Produktivitätsgefälle.

Ohne Zweifel wird es in Japan und in den Ländern der pazifischen Region auch in den nächsten Jahren eine größere Dynamik als in Westeuropa geben. Aber diese Zuwächse werden deutlich geringer sein als in den letzten Jahren. Grundlage des japanischen Wirtschaftswunders war eine ungewöhnlich hohe Kapitalbildung, die fast ausschließlich zu Investitionen in der Wirtschaft verwendet wurden.

Japan hat dabei zum Beispiel das Wohnungswesen und die Infrastruktur vernachlässigt, und es hat fast nichts für Verteidigung ausgegeben. Seit Mitte der siebziger Jahre verschlingen aber Umweltschutz, Infrastruktur, Verteidigung und der Wohnungsbedarf immer mehr Mittel - eine Tendenz, die sich weiter verstärken wird. Außerdem wollen die Japaner selbst mehr Wohlstand, die festzustellende Europäisierung im Gewerkschaftssystem wird diesen Wunsch auch durchsetzbar machen. Mehr Konsum bedeutet aber weniger Investitionen.

Immer mehr japanisches Kapital sucht Investitionsmöglichkeiten im Ausland mangels lukrativer Möglichkeiten im Inland. Eine Chance für Europa, aber auch für Österreich. Japan hat schließlich in der Technologieentwicklung entscheidende Vorteile, mit dem Schwerpunkt aber in der Massenproduktion. Es kann die Fortschritte des Auslandes aber in Zukunft nicht mehr imitativ übernehmen, sondern muß vielmehr selbst mehr für Forschung und Entwicklung aufwenden.

Das Beispiel der wieder nach Westeuropa zurückgeholten Uhren- und Textilindustrie zeigt,daß die „Newly Industrialized Countrys“ (NIC's, Schwellenländer) des pazifischen Raumes ihrer komparativen Arbeitskostenvorteile gegenüber automatisierter Produktion verlustig gehen. Trotzdem werden sie auch in den nächsten Jahren weiter wachsen, die steigende Bevölkerung wird aber keinen Wohlstandszuwachs ermöglichen. Für Westeuropa ergeben sich neue Chancen, da etliche dieser Länder nicht noch stärker von der japanischen Wirtschaft abhängig werden wollen. So sieht etwa auch China Westeuropa als den geeignetsten, weil politisch unverfänglichsten Partner.

Die Zukunftschancen der Wirtschaft Westeuropas könnten also ganz gut sein, natürlich aber nur dann, wenn die politischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden.

Dazu gehören:

• Weiterentwicklung zum EG-Binnenmarkt (der mit rund 300 Millionen Einwohnern der kaufkräftigste Markt wäre);

• zügige Weiterarbeit an den gemeinsamen Technologieprogrammen und Verbesserung der Forschungskooperation;

• Deregulierung und Entbüro-kratisierung, Vereinheitlichung von Normen und Standards;

• Verbesserung der Kooperation mit den NIC's und den Entwicklungsländern — bessere Erschließung fremder Märkte, vor allem Japans;

• Nützen der Wachstumschance, die sich aus dem innereuropäischen Wohlstandsausgleich ergibt;

• Vorreiterrolle in der, Umwelt-und Energiespartechnologie ausweiten.

Für Osterreich ergibt sich aus der skizzierten Entwicklung die . Notwendigkeit, alle Möglichkeiten zu nützen, um am wirtschaftlichen Integrationsprozeß Europas stärker teilzunehmen.

Der Autor ist Leiter der Politischen Akademie in Wien.

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