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Europas dritte Welt

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Die Erzdiözese Görz (Gorizia, Go-rica) in Italien, ein Gebiet an der jugoslawischen Staatsgrenze, hat als Nachfolgerin des Patriarchats von Aquiieia eine unterschiedliche soziale und sprachliche Struktur. Im italienisehsprechenden Teil überwiegt der friaulische Charakter; an der Lagunenküste bei Grado werden die kulturellen Einflüsse und die Mentalität des alten Venedig fühlbar; rund um die Stadt Görz und im Karst ist das Gebiet zweispachig. Inmitten der italienischen Pfarren leben zahlreiche slowenische Familien und inmitten der traditionellen slowenischen Pfarren gibt es italienische Enklaven.

Die Görzer Erzdiözese befaßte sich nach dem Zweiten Vatikanum im Sinne der christlichen Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit lange Zeit mit Plänen für die Seelsorge in allen gemischtsprachigen Orten. Sie wollte, erfüllt von ökumenischem und missionarischem Geist, eine Gemeinschaft der Liebe und der gegenseitigen Wertschätzung verwirklichen.

Der Rat der Görzer Geistlichkeit betraute im Jahr 1970 eine paritätische Kommission mit der Aufgabe, die Fragen der Seelsorge in den gemischtsprachigen Gebieten zu studieren und Grundsätze für deren Lösung auszuarbeiten. Im Lichte der evangelischen Lehre und auf streng theologischer Basis erarbeitete die Kammission folgende Grundsätze:

• Jeder Mensch hat ein angeborenes und natürliches Recht, in seiner eigenen Sprache Gott zu verehren und die Sakramente zu empfangen; ebenso wie der einzelne Mensch, hat dieses Recht auch jedes Volk und jede Volksgruppe.

• Die Seelsorge innerhalb einer Volksgruppe soll von Geistlichen derselben Gruppe auegeführt werden; fehlen diese, so sollen Angehörige anderer Gruppen die Seel-

“so1*gr lösten, ■•'ätfer*“sb'; daß sie zu „Juden unter Juden, Griechen unter Griechen, Römern unter Römern werden...“ (Paulus, 1 Kor 9, 20—22).

• Unter den Angehörigen der verschiedenen Sprachgruppen soll das Gebot Jesu Christi gelten; das jedem Menschen die Pflicht der brüderlichen Liebe, der Hilfe und der Wertschätzung gegenüber den Mitmenschen auferlegt.

Der Rat der Görzer Geistlichkeit beschloß des weiteren, im Sinne dieser Grundsätze unter dem Vorsitz des Görzer Erzfoischofs Monsignore Peter Cocolin im April 1972 folgende Lösung der Seelsorgefrage für die in der Stadt Görz unter der italienischen Mehrheit lebende slowenische Volksgruppe:

• Bei der Kirche des heiligen Ivan in Görz wird ein „Slowenisches Pastoralzentrum“ mit dem Status einer Pfarre gegründet. Die Pfarre wird hinsichtlich der Zuständigkeit ihrer Pfarrangehörigen nicht einen territorialen, sondern einen personalen Charakter haben. Das heißt, der slowenische Pfarrer wird seine Seelsorge bei den slowenischen Katholiken der ganzen Stadt Görz ausüben können.

• Die slowenischen Katholiken der Stadt haben das Recht, sich anläßlich von Taufen, Kommunionen, Firmungen und Trauungen direkt an den slowenischen Seelsorger beim heiligen Ivan zu wenden. Der slowenische Seelsorger wird später den zuständigen Pfarrer, in dessen Sprengel der betreffende Slowene wohnt, benachrichtigen, damit dieser die Matrikeleintragung durchführen kann.

• Slowenische Gottesdienste werden weiterhin in den einzelnen Stadtkirohen abgehalten und auf Wunsch der Gläubigen notfalls ergänzt.

• Jeder Stadtpfarrer seil über Wunsch eines slowenischen Pfarr-

kindes jade religiöse Handlung in slowenischer Sprache durchführen. Äußert das slowenische Pfarrkind diesen Wunsch nicht, so muß ihn der Pfarrer fragen, in welcher Sprache die religiöse Handlung vollzogen werden soll. Wenn ein Pfarrer der slowenischen Sprache nicht mächtig ist, soll er den slowenischen Pfarrer von Sankt Ivan beauftragen. — Den Slowenen, die sich in Spitälern und Gefängnissen befinden, wird die Seelsorge in ihrer eigenen Sprache zugesichert.

Die Zahl der Slowenen in der Erzdözese Görz beträgt rund 20.000, seit der größte Teil der Erzdiözese nach dem Zweiten Weltkrieg an Jugoslawien gekommen ist und vom Apostolischen Administrator in Köper (Capodistria) verwaltet wird. Doch gerade in Görz und Umgebung

(und in Triest) konnten die Görzer Slowenen ihre zahlreichen katholischen Vereine, Kirchenchöre, kulturellen Verbände bewahren, die auf der jugoslawischen Seite im Sturm der ersten Nachkriegsjahre brutal ruiniert worden sind. In Nova Go-rica, dem neuerbauten Zentrum für das jugoslawische Görzer Gebiet, war es bis heute nicht möglich von den zuständigen Behörden eine Baubewilligung für die neue Stadtkirche zu erreichen. Nova Gorica bleibt ohne Kirche. Die Gemeindebehörden erklärten, die Baubewilligung erst nach Gründung einer regulären Diözese für das jugoslawische Küstenland und Slowenisch-Istrien (heute

Apostolische Administratur Köper/ Capodistria) durch den Vatikan ausstellen zu wollen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der in Jugoslawien deklarierten „Scheidung von Kirche und Staat“ bei gegenseitiger Nichteinmischung. Die systematische Ausschaltung der Katholiken im öffentlichen Leben und, beim Broterwerb, von allen wichtigeren Positionen gilt somit als innere Angelegenheit Jugoslawiens, für die Verweigerung eines Kirchenfoaues wie-.deruim müssen außenpolitische Motive herhalten.

Der Standpunkt des Vatikans zur Gründung einer Diözese Koper/Ca-podistria ist nach wie vor der gleiche wie im Falle der deutsch-polnischen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze: die Gründung von Diözesen in den Grenzgebieten kann erst nach

Erledigung der Grenzfragen durch die betroffenen Staaten erfolgen. So der Titularbischof und Apostolische Administrator von Köper, Dr. Janez Jenko, in einem Interview, das er dem Triester ^leridiano“ gewährte, als er unlängst aus Rom zurückkehrte.

Für gewisse Kreise in Triest dürfte das Interview mit dem Titularbischof von Köper sensationell gewesen sein. Der Streit um das Gebiet von Köper (die Zone B) und seine Zugehörigkeit zu Italien (da es formell nie abgetreten wurde) drückt die politische Stimmung in Triest, auch die kixchenpolitische, und kommt des öfteren auch im Diöze-sanwochenblatt „Vita Nuova“ zutage. Der Triester Bischof, Msgr. Antonio Santin, ist Bischof von Triest und von Köper.

Die zahlreichen slowenischen Vereine in Triest möchten nun ebenfalls ein dem Görzer ähnliches Pastoralzentrum errichten, finden jedoch im Triester Milieu dafür weniger Verständnis. Einerseits ist die

liberale Tradition hier stärker als in Görz, anderseits gibt es in der Öffentlichkeit einen größeren Einfluß der italienischen „Nazionalitä“ und des jugoslawischen Kommumsmus.

Die slowenischen Priester sind als Kapläne bei italienischen Pfarren angestellt und tragen daher zweierlei Verantwortung: als Pfarrkapläne und als Seelsorger für die slowenischen Pfarrkinder; als Kapläne sind sie allerdings vollkommen auf den guten Willen der italienischen Pfarrer angewiesen.

Die slowenischen Messen in den insgesamt 10 Stadtkirchen Triests sind verhältnismäßig schwach besucht. Ein Grund dafür wäre wohl noch die Erinnerung an die faschistische Zeit,. als die Slowenen gerade in Triest am meisten verfolgt, alle slowenischen Vereine unter-

drückt und slowenisohe Messen verboten wurden, und als auch vatikanische Stellen auf die Bitten um Vermittlung antworteten: „Wozu? In zehn oder zwanzig Jahren wird sowieso alles italienisch sein.“

Als 1938 zwei slowenische Priester im vatikanischen Staatssekretariat ein Memorandum über die Unterdrückung der slowenischen und der kroatischen Sprache in Istrien und im Seminar von Koper/Capodistria einreichten, fragte Msgr. Tardini verwundert: „Ormai la.vostra popo-lazione, dopo tanti anni, non ha an-cora imiparato la lingua italiana? — Hat ihr Volk nach so vielen Jahren noch nicht italienisch gelernt?“ Sohon Jahre vorher hatten unter faschistischem Druck auf Wunsch des Vatikans Monsignore Sedej, Erzbischof von Görz (Slowene) und Monsignore Fogar, Bischof von Triest, zurücktreten müssen. Und auch heute, im demokratischen Italien, hindert niemand im benachbarten Erzbistum Udine die Parolen: „Via i preti slavi! — Weg mit den slawischen Priestern!“

So bleibt also die einst blühende katholische Tradition und kulturelle Tätigkeit der Slowenen, da sie auch in der Teilrepublik Slowenien fast vollkommen unterdrückt wurde, nur in Görz lebendig. Hier gibt es die Katholische Buchhandlung (Libreria Cattolica — Katoliska knjigarna) auf der Piazza Vittoria (dem alten Trau-nik) die „Katoliska tiskarna“ (Druk-kerei), den „Katolisko tiskovno druätvo“ (Presseverein), den Slowenischen Katholischen Akademikerverein, die Internate „Zavod sv. Druzine“ und „Alojzijewisce, das „Katoliska dorn“ (Kulturheim), die Wochenzeitung „Katoliski glas“ (Katholische Stimme). Sie alle bewahren heute die katholische Überlieferung und finden gerade in der katholischen Identität einen hohen Wert, ohne modernistische Strömungen, und ohne aufgeregte Dialoge. Gerade deswegen sind sie erfolgreich, ökumenisch und christlich, und halten gute Kontakte zu den orthodoxen Gemeinschaften in Mazedonien und Bulgarien.

In Görz und in Triest gibt es auch •/.ahlreiche slowenische Kirchen-chöre/;dSe man'“aÖf ti&f“Jugoslawischen Seite in der Nachkriegszeit unterdrückt hat. Diese Chöre halten die slowenischen Gottesdienste, die Sonn- und Feiertage lebendig. Die Volksseele der Slowenen findet man heute hier, in Görz.

In diesem Jahr feiert der einzige slowenische Verlag im Küstenland, der die faschistische Zeit überlebte, sein 50jähriges Jubiläum: Die „Go-riska Mohorjeva Druzba“ (Görzer St. Hermagoras Bruderschaft). Gegründet wurde sie im Jahr 1924 vom Görzer Erzbischof Franciscus Borgia Sedej und sie sorgt dafür, daß die katholischen Slowenen jedes Jahr ihren Kalender und gute Bücher erhalten, eine „Büchergabe“, wie sie das nennt. Zum Jubiläum schickte Papst Paul VI. dem Verlag sein Photo und Worte der Anerkennung für seine kulturelle Mission.

Die kulturellen Leistungen und der geistige Reichtum der kleineren Volksgruppen 'bleiben den großen europäischen Nationen leider zumeist unbekannt. Um aber zu einem christlichen Europa zu gelangen, müßten wir uns aber manchmal dessen bewußt werden, daß auch Europa seine Dritte Welt hat.

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