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Europas Hilfe zur Emanzipation

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Gestern noch Abgeordneter zum Nationalrat, heute Interessenvertreter der neuen demokratischen Regierung der Republik Slowenien in Wien: Die harte Bewährungsprobe für Karel Smolle und die Mitarbeiter des Wiener Verbindungsbüros kam praktisch über Nacht.

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Gestern noch Abgeordneter zum Nationalrat, heute Interessenvertreter der neuen demokratischen Regierung der Republik Slowenien in Wien: Die harte Bewährungsprobe für Karel Smolle und die Mitarbeiter des Wiener Verbindungsbüros kam praktisch über Nacht.

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Über Nacht, ja bereits in der ersten Nacht des souveränen Slowenien vom 26. auf den 27. Juni, hatte das Wiener Verbindungsbüro seine Bewährungsprobe zu bestehen. Bis sechs Uhr früh hatten wir auftragsgemäß bereits die wichtigsten Persönlichkeiten Österreichs und auch anderer europäischer Länder informiert.

Und die ersten beiden Nächte brachten uns auch die ersten erschreckenden Erfahrungen. Während sich Österreich, allen voran Außenminister Alois Mock, schon seit Herbst sehr intensiv auf die neue Situation in Jugoslawien und insbesondere in Slowenien vorbereitet hatte, also höchstens in bezug auf den Zeitpunkt überrascht wurde, haben wir bei unseren Telefonatversuchen mit anderen europäischen Hauptstädten festgestellt, daß Europa im Tiefschlaf lag.

Die wenigen, die wir erreichten, taten ungläubig: Krieg? Wo? Was? In einem europäischen Außenministerium haben wir überhaupt nur einen „Night-watchman" (Nachtwächter) angetroffen. Wir waren erschüttert.

Konnte jemand die Zeichen an der Wand übersehen haben? Es ist ja schon vorher manches (nicht) passiert. Die Menschenrechtsverletzungen durch föderative Organe der jugoslawischen Volksarmee (Beispiel Kosovo) wurden nicht bedingungslos geächtet. Der Primat der Politik - unter demokratischer Kontrolle - vor der Armee wurde von Jugoslawien nicht gefordert. Gegen die serbische Expansion auf Kosten der anderen Völker oder der Autonomen Provinzen

wurden nicht einmal Sanktionen angedroht...

Eine mit ungelösten Problemen überfrachtete Zukunft hat in Jugoslawien mit voller Brutalität der jugoslawischen Volksarmee an unsere Tür geklopft. Nach dem Kalten Krieg, der Entspannung, der Abrüstung, nach vertrauensbildenden KSZE-Beschlüssen ist es daher dringend notwendig, die jugoslawische Krise in ihrer geopolitischen Konzeption zu lösen. Also in dem Raum, in dem sie besteht.

Die Formel „besser ein mit militärischer Gewalt oder internationalem Druck aufrechterhaltener Staat als mehrere dezentrale autonome oder souveräne staatliche Einheiten" ist falsch. Im Gegenteil, eine rasche Stärkung der einzelnen Elemente des ehemaligen jugoslawischen Staatsgebietes ist vordringlich, um eben diese Elemente in die Lage zu versetzen, partnerschaftlich miteinander zu sprechen und umzugehen. Zu fordern ist ein sofortiger umfassender Minderheiten-und Volksgruppenschutz, der in bestimmten Bereichen auch Elemente der politischen Autonomie bis hin zu parastaatlichen Strukturen beinhalten muß, inklusive politischer Schlichtungsgremien.

Was wäre jetzt sinnvoll?

Die Einberufung einer vertrauensbildenden Konferenz „KSZE Südost" als ständiges Organ aller Balkanstaaten und aller an die Balkanstaaten grenzenden Staaten, unter verpflichtender Beteiligung der einzelnen Regionen und Volksgruppen, mit einem ständigen Büro (unter Beteiligung von Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Griechenland, Albanien, Slowenien, Kroatien, Jugoslawien, Italien, Österreich), mit den verpflichtenden Tagesordnungspunkten Volksgruppenschutzgarantie und demilitarisierte Bereiche.

Die Durchführung einer speziellen Sicherheitskonferenz zum Abschluß eines Sicherheitspaktes Europa-Südost unter (Beobach-ter-)Beteiligung der NATO und der Sowjetunion.

Letztlich die Abhaltung einer europäischen Sicherheitskonferenz mit dem Ziel der Vereinten Nationen Europas, mit eigenem Sicherheitsrat oder eventuellem noch effektiverem Sicherheitsmechanismus, die Einrichtung ständiger Konferenzen der Staaten der Regionen und der Volksgruppen, eine national gemischte Eingreiftruppe als Sicherheitsinstrument. Man sollte sich endlich davon befreien, europäische Probleme immer nur partiell lösen zu wollen.

So wie das Konzept des EG-Europa kein gesamteuropäisches Konzept sein kann, so ist es auch nicht möglich, einfach NATO-Sicherheitselemente auf ganz Europa zu übertragen. Daher sollte sich Europa in drei große Sicherheitszonen aufgliedern, in den bestehenden NATO-Bereich, in einen Bereich Sicherheitszone Europa Süd-Südost und eine Sicherheitszone Europa-Nord beziehungsweise Nordost.

Großräumiges Denken ist gefordert

Die Aufgabe der neuen europäischen Staaten des europäischen Ostens und Südostens bestünde außenpolitisch vor allem auch darin, zu begreifen, daß sie selbstverantwortlich in einem bestimmten Raum leben und daß ihre Außenpolitik neben Elementen des eigenen staatlichen Egoismus dringend auch Elemente zwischenstaatlicher, nachbarstaatlicher und regionaler, aber auch großräumiger Beziehungen beinhalten muß.

Daher sind die neuen Länder des Ostens, Nordostens und Südostens einzuladen, sich vor allem auch außenpolitisch zu emanzipieren, souverän zu werden. Es ist das Maß zwischen vielleicht noch verständlicher Nabelschau und globalen Konzepten zu finden.

Die Grundlage muß jedoch die Selbstbestimmung der Völker bleiben. Daher sind europäische Länder vor allem angehalten, den Balkan nicht wieder nur als Interessensphäre zu betrachten, sondern den Völkern und Staaten dieses Raumes bei deren Emanzipation behilflich zu sein.

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