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Europas Riß geht durch Jugoslawien

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Eine der Ursachen für die Kluft zwischen den jugoslawischen Völkern Serbien und Kroatien respektive Slowenien liegt im konfessionellen Bereich. Dieser Riß, der auch Europa entzweit, erweist sich als stärker als jene „Blutbande", auf die man vor mehr als 70 Jahren in Umsetzung der südslawischen Idee ein Gesamtjugoslawien aufzubauen versuchte.

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Eine der Ursachen für die Kluft zwischen den jugoslawischen Völkern Serbien und Kroatien respektive Slowenien liegt im konfessionellen Bereich. Dieser Riß, der auch Europa entzweit, erweist sich als stärker als jene „Blutbande", auf die man vor mehr als 70 Jahren in Umsetzung der südslawischen Idee ein Gesamtjugoslawien aufzubauen versuchte.

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Der kroatische Historiker Tadija Smiciklas (1843-1914) vertrat die Meinung, daß Kroaten und Serben ursprünglich ein Volk gewesen seien, das durch die „Religion" entzweit worden sei. Er meinte natürlich nicht die Religion im engeren Sinne, sondern ihren kirchenpolitischen und kulturgeschichtlichen Aspekt. Entscheidend für die Entzweiung dieses ursprünglich einen Volkes war nach Smiciklas die Tatsache, daß der eine Teil - die Serben - unter den Einfluß des Ostens beziehungsweise der Orthodoxie und der andere -die Kroaten - unter den Einfluß des Westens respektive der römischen Kirche geraten war.

Im Osten war das Verhältnis zwischen Kirche und Staat vom sogenannten Cäsaropapismus geprägt. Die Serben wurden vom Osten aus christianisiert, daher war der serbische Staat von Anfang an von diesem Staatskirchentum und die Kirche vom Cäsaropapismus gekennzeichnet. Im 19. Jahrhundert, als Nationen im modernen Sinn zu entstehen begannen, führte dies dazu, daß das Serben-tum und die Orthodoxie kaum voneinander unterschieden wurden. Nach den serbischen Verfassungen von 1880, 1901 und 1903 war die orthodoxe Kirche Staatsreligion und als solche unumstrittene (Mit)trägerin der serbischen Nationalflagge und eine Verfechterin der großserbischen Idee, die die Wiederherstellung des Reiches Dusans (1331-1355) zum Ziel hatte.

Im Westen tobte lange Zeit der Kampf zwischen Papsttum und Kaisertum um die (weltliche) Vorherrschaft., wobei am Ende das Papsttum als Sieger hervorging. Im Gegensatz zu den Serben waren die Kroaten seit ihrer Christianisierung dem Einfluß der römischen Kirche ausgesetzt, wenn auch die „heiligen Brüder" Cyrill und Method, die aus dem Osten kamen, der Kirche der Kroaten ihren Stempel aufdrückten. Sowohl in der Zeit der einheimischen Herrscher als auch in der Personalunion mit Ungarn seit 1102 und in der Habsburger Monarchie seit 1527 wurde Kroatien immer „katholisch regiert", es war immer ein katholisches Land im Rahmen der weltumspannenden katholischen Kirche, die keine Nationalkirchen kennt.

Verfechterin Großserbiens

Im 19. Jahrhundert war der hohe katholische Klerus in Kroatien dem Herrscherhaus Habsburg ergeben und daher nicht gerade kroatischnational, noch weniger jugoslawisch orientiert. Der Bischof von Djakovo, J.J. Stroßmayer, der die Loyalität zum Herrscherhaus mit der Südslawischen Idee zu verbinden suchte, hatte seine Anhänger hauptsächlich unter dem niederen Klerus.

Mit der Entstehung des „Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen" (SHS) 1918 änderte sich das ideologische Bild des katholischen Klerus in Kroatien radikal. Die katholische Kirche sah sich nun nicht mehr einem katholischen Kaiser, sondern einem orthodoxen König gegenüber. Sie verlor ihre privilegierte Stellung an die serbisch-orthodoxe Kirche. Aus diesem Grund wurde die Mehrheit sowohl des hohen, ehemals kaisertreuen, als auch des niederen, ehemals jugoslawisch orientierten Klerus nun kroatischnational. Die katholische Kirche profilierte sich als Oppositionskraft und als Verfechterin der Interessen des katholischen kroatischen Volkes gegen die „orthodoxe Zentrale" in Belgrad.

Diese Zeit und diese Atmosphäre prägten den jungen Priester und späteren Zagreber Erzbischof und Kardinal Alojzije Stepinac, der in vielerlei Hinsicht als ein typischer Vertreter des kroatischen katholischen Klerus jener Zeit bezeichnet werden kann. Ein Kind seiner Zeit, ein treuer Diener und „tapferer Kämpfer" der katholischen „ecclesia mi-litans", in diesem Fall gegen die „schismatische" (orthodoxe) Staatsmacht, die zugleich (groß)serbisch war, mußte zwangsläufig kroatischnational sein. Es ist daher kein Wunder, daß er für den kroatischen Ustascha-Staat, dessen Führung sich „ultrakatholisch" wähnte, eine Schwäche zeigte und an diesem verbrecherischen Regime durchaus „positive Elemente" zu erkennen glaubte. Stepinac geschieht jedoch Unrecht, wenn man ihn mit dem Ustascha-Regime, dem er durchaus Widerstand geleistet hat, völlig identifiziert.

Kroatischnationale Kirche

Nach dem Sieg der Kommunisten 1945 änderte sich die Stellung sowohl der orthodoxen als auch der katholischen Kirche von Grund auf. Mit der totalen Kontrolle und Bevormundung seitens des Staates konnte sich die orthodoxe Kirche aufgrund ihres Charakters und ihrer historischen Entwicklung zweifellos leichter abfinden als die katholische. Das eigentliche Problem für die serbisch-orthodoxe Kirche war von Anfang an die Unterwerfung unter die atheistische Staatsmacht; diese wurde aber relativ rasch gelöst. Die Kirchenführung kam sehr bald zur „Überzeugung", daß die Koexistenz auch mit den Kommunisten möglich ist. Die große Mehrheit des Klerus organisierte sich in den regimetreuen „Priestergesellschaften" und erklärte sich bereit, an dem Aufbau der „sozialistischen Gesellschaft" mitzuarbeiten. Opposition oder Dissidenten gab es unter der orthodoxen Geistlichkeit kaum.

Ganz anders verhielt es sich mit der katholischen Kirche in Kroatien. Sie ging geschlossen in die Opposition. Sich der staatlichen Macht zu unterwerfen und noch dazu einer atheistischen, antiklerikalen und - man war davon überzeugt - einer antikroatischen, war für sie undenkbar. Kardinal Stepinac wurde in seinem kompromißlosen Widerstand und seiner Standfestigkeit gegenüber dem kommunistischen Regime zum Vorbild für die Gläubigen und die Priester. Die Kirchenspitze mit Kardinal Franjo Seper und später Kardinal Franjo Kuharic hielt an den „alten Grundsätzen" (antikommunistisch und kroatischnational) fest.

Nach dem Machtwechsel in Kroatien vor einem Jahr konnte die katholische Kirchenführung ihre Freude darüber nicht verbergen, daß eine ihr wohlgesonnene Partei an die Macht gekommen war, auch wenn Kardinal Kuharic immer wieder betonte, daß sich die Kirche aus der Tagespolitik heraushalten wolle. Nun befindet sie sich in einer ungewöhnlichen Rolle; sie ist nicht mehr in der Opposition, ihren kroatischnationalen Charakter hat sie aber natürlich beibehalten und wird dazu von den Machthabern ermuntert.

Die serbisch-orthodoxe Kirche erlebte ebenfalls eine Renaissance, obwohl in Serbien die Kommunisten an der Macht blieben. Slobodan Milosevic verstand es, sie als Instrument seiner Kosovo- und Kroatienpolitik einzusetzen. Unter dem Kommunisten Milosevic darf sich die orthodoxe Kirche wieder als ein Pfeiler des Serbentums fühlen und uneingeschränkt (groß)serbisch sein.

Der Autor ist Universitätsassistent am Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Wien.

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