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Evolution ist Spekulation

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Der große Basler Biologe Adolf Portmann äußerte sich stets zurückhaltend gegenüber den Spekulationen der verschiedenen Evolutionshypothesen. Den Darwinismus lehnte er ab, weil die auf Mutation und Selektion reduzierten Evolutionsfaktoren nicht solche Merkmale der Lebewesen erklären, die über ihren Erhaltungswert hinausgehen; nämlich die Darstellungswerte wie Gestalt, Muster, Farbenpracht und Harmonie. Portmann glaubte nicht an eine wissenschaftlich bewiesene Evolution, lehnte jedoch den Gedanken an eine solche nicht ab. Die Strenge seiner Wissenschaftlichkeit zwang ihn zur Aussage: „Ich glaube vorderhand nicht daran, daß die Evolution ein im Prinzip durchschautes Geschehen ist. Mehr als eine solche bekennende Aussage erscheint mir heute unmöglich."

Jedem Naturwissenschaftler, der Augen für die Schönheit der Schöpfung und Mut zur Demut hat, muß es vor der Liebelosigkeit und dadurch Häßlichkeit der dar-winistischen Mechanismen grauen. Gewiß spielen Mutation und Selektion in der Schöpfung eine Rolle, aber bei weitem nicht eine hinreichende. Die Proklamation einer Teilwahrheit zur ganzen Wahrheit — wie es die Materialisten tun — gehört zu den schlimmsten Lügen, weil bei Rückfragen immer auf die wahren Teile hingewiesen werden kann.

Es wäre zu wünschen, daß die Naturwissenschaftler, welche eine der vielen, z. T. sich widersprechenden Evolutionstheorien vertreten, in aller Deutlichkeit und immer wieder betonen, daß es sich bei diesen Betrachtungen um Spekulationen handelt, die mit den Methoden der Chemie und Physik, also durch Messungen im systematisch-reproduzierbaren Laboratoriumsexperiment, nicht

prüfbar sind. Es handelt sich deshalb bei den Evolutionstheorien nicht um nüchterne Naturwissenschaft, sondern um phantasievolle Naturspekulationen, nicht um ein Wissen, sondern um einen Glauben. Viele der Evolutionstheorien beruhen auf dem Glauben, nicht an Gott zu glauben. In diesen Theorien darf alles die Ursache der Schöpfung sein, auch die unwahrscheinlichsten Wahrscheinlichkeiten und Zufälle, nur nicht Gott.

Gewiß sind in der Naturwissenschaft Spekulationen nicht verbo-

ten; wenn aber Spekulationen angestellt werden, die im Laboratorium niemals verifiziert beziehungsweise falsifiziert werden können, so ist es für einen seriösen Naturwissenschaftler Pflicht, dies mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Bei den Vertretern der verschiedenen Evolutionstheorien wird diese Pflicht aber kaum wahrgenommen.

Der Göttinger Anatom Erich Blechschmidt hat bewiesen, daß das sogenannte „biogenetische Grundgesetz" von Ernst Haeckel eine Spekulation ist, die den Tatsachen nicht entspricht und daß der menschliche Embryo vom ersten Tag an Mensch ist. Eine Tatsache, die in Göttingen in Form der „Humanembryologischen Dokumentationssammlung Blechschmidt" von jedermann eingesehen werden kann. Obwohl durch diese seriöse Forschungsarbeit widerlegt, geistert Haek-kels Spekulation, nach der der Mensch im Mutterschoß verschiedene Tierstadien einer hypothetischen Evolution durchlaufen soll, nach wie vor als eine wissen-

schaftlich bewiesene Tatsache in den Schulbüchern herum.

Und von einer Evolution der Reflexion, also des Ich, kann überhaupt keine Rede sein. Entweder ist das Ich da oder es ist nicht da; daß aus einem Un-Ich zuerst ein Vor-Ich, dann ein Kaum-Ich und dann - immer icher werdend — ein Ich-bin-Ich wird, ist so undenkbar wie ein viereckiger Kreis. Wer es mit der Erkenntnis als einem Produkt des Denkens ernst nimmt und sich nicht mit molekularbiologischen Spekulationen begnügt, wird am Bild der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht rütteln.

Die Schöpfung ist ein unbegreifliches Geheimnis, es kann mit den Mitteln der Wissenschaft nicht gelüftet werden. Ein Wissenschaftler, der nicht an die Wissenschaft, sondern an Gott glaubt, der also die Wissenschaft ernst nimmt, wird Goethe zustimmen: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschli-che erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren."

Es wäre ungereimt, Gott belehren zu wollen, wie er die Welt zu schaffen gehabt habe. In seiner Allmacht ist ihm gewiß beides möglich, nämlich sowohl durch einmalige Akte — durch Immana-tion — als auch durch Werdung — Evolution — zu schaffen. Mit der Naturwissenschaft läßt sich weder das eine noch das andere beweisen. Nur etwas ist theologisch, philosophisch und erkenntnistheoretisch unhaltbar: Daß der menschliche Geist durch Evolution aus tierischer Seelenhaftigkeit entstanden ist. Der Mensch ist von Anfang an ganz Mensch, er ist dadurch der „ganz Andere" der Schöpfung, wie ihn Adolf Portmann nennt.

Der Autor ist Professor für physikalische Chemie an der Universität Basel.

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